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Top Rezension
Hervé im hellen Seidenschal
Nach dem Konzert standen wir auf knirschendem Kies um hohe Tische, die in weiße Hussen eingekleidet waren, und tranken etwas zu warmen Chardonnay. Neben uns stand ein Mann in meinem Alter - schlank, aber nicht sportlich, teure Wildlederloafer, Saint Laurenteske Intellektuellenbrille und welliges, halblanges Haar, das er sich immer wieder hinter die Ohren strich, wobei man seine nicht minder teure Uhr kaum ignorieren konnte. Dazu trug er - schrecklichster aller Schrecken - einen dieser leichten Kaschmir-Seidenschals für Herren, die man im Laden mit den orangenen Tüten für ab fünfhundert Euro kaufen kann.
Männer in solchen Seidenschals heißen nie Rüdiger oder Kai-Uwe - das wäre zu banal (und kann auch niemand aussprechen in Portlands oder Belgrads aufstrebender Street Art-Szene) - deswegen haben wir unseren Schalträger Hervé genannt. Irgendwann klingelte Hervés Handy, er stellte seinen etwas zu warmen Chardonnay auf den weiß eingehussten Tisch und zischte unwillig: 'Ja, was ist denn?' Dreißig Sekunden halblautes Gemurmel, genervter Blick auf die Jaeger Le Coultre, dann: 'Zwanzigtausend? Nein, sag ihm achtzehn, und dabei bleibt's!' Bezaubernder Blick in die Runde, wellige Haare hinters Ohr. 'Bitte entschuldigt.'
Nichts an Männern wie Hervé - oft im Kulturmanagement oder Verlagswesen unterwegs, und 'unterwegs' ist so ein Schal mitunter ja ganz praktisch - ist durchschnittlich, darf durchschnittlich sein. Zwar tragen nicht wenige von ihnen Terre d'Hermès - natürlich im Geschäft mit den orangenen Tüten und nicht bei Karstadt eingekauft - viel lieber aber trügen sie streng limitierte Kreationen, die nur vier Wochen lang - auf Einladung! - in einem Guerilla-Store in Tokyo zu bekommen waren. Wenn's das nicht gibt, und Terre d'Hermès doch zu profan wird, tut's notfalls auch einer von Kurkdjian - schon weil sich der Name so schön schwierig schreibt.
Francis Kurkdjians Aqua Vitae ist ein Duft, der gern schwieriger wäre, als er tatsächlich ist - ein bisschen wie unser Hervé im gemusterten Seidenschal. Er startet harmlos zitrisch leicht (das Spannungsfeld aus kalabrischen und sizilianischen Aromen bemerkt Hervé sofort) und lässt der Kopfnote etwas unlocker Laues folgen, das seltsam unentschlossen zwischen kühl und warm verharrt (Hervé glaubt eine Metapher auf Adorno zu erkennen) - als dimme das Hedion Tonka und Guajakholz etwas herunter. Er ist nicht heiß, nicht kalt, nicht frisch, nicht würzig und nicht künstlich clean, doch ärgerlich mutlos - und kein Lebenswasser.
Fazit: kein schlechter Duft. Vielleicht ein Fehler im Erwartungsmanagement, dass von einem Kurkdjian stets mehr erwartet wird als nur 'nicht schlecht'. Auch Hervé ist nicht ganz sicher, ob er bei Aqua Vitae bleiben wird. Er streicht sich die welligen Haare hinters Ohr, ordnet den hellen Seidenschal und nimmt sich vor, später bei belgischem Trip-Hop darüber nachzudenken.
Männer in solchen Seidenschals heißen nie Rüdiger oder Kai-Uwe - das wäre zu banal (und kann auch niemand aussprechen in Portlands oder Belgrads aufstrebender Street Art-Szene) - deswegen haben wir unseren Schalträger Hervé genannt. Irgendwann klingelte Hervés Handy, er stellte seinen etwas zu warmen Chardonnay auf den weiß eingehussten Tisch und zischte unwillig: 'Ja, was ist denn?' Dreißig Sekunden halblautes Gemurmel, genervter Blick auf die Jaeger Le Coultre, dann: 'Zwanzigtausend? Nein, sag ihm achtzehn, und dabei bleibt's!' Bezaubernder Blick in die Runde, wellige Haare hinters Ohr. 'Bitte entschuldigt.'
Nichts an Männern wie Hervé - oft im Kulturmanagement oder Verlagswesen unterwegs, und 'unterwegs' ist so ein Schal mitunter ja ganz praktisch - ist durchschnittlich, darf durchschnittlich sein. Zwar tragen nicht wenige von ihnen Terre d'Hermès - natürlich im Geschäft mit den orangenen Tüten und nicht bei Karstadt eingekauft - viel lieber aber trügen sie streng limitierte Kreationen, die nur vier Wochen lang - auf Einladung! - in einem Guerilla-Store in Tokyo zu bekommen waren. Wenn's das nicht gibt, und Terre d'Hermès doch zu profan wird, tut's notfalls auch einer von Kurkdjian - schon weil sich der Name so schön schwierig schreibt.
Francis Kurkdjians Aqua Vitae ist ein Duft, der gern schwieriger wäre, als er tatsächlich ist - ein bisschen wie unser Hervé im gemusterten Seidenschal. Er startet harmlos zitrisch leicht (das Spannungsfeld aus kalabrischen und sizilianischen Aromen bemerkt Hervé sofort) und lässt der Kopfnote etwas unlocker Laues folgen, das seltsam unentschlossen zwischen kühl und warm verharrt (Hervé glaubt eine Metapher auf Adorno zu erkennen) - als dimme das Hedion Tonka und Guajakholz etwas herunter. Er ist nicht heiß, nicht kalt, nicht frisch, nicht würzig und nicht künstlich clean, doch ärgerlich mutlos - und kein Lebenswasser.
Fazit: kein schlechter Duft. Vielleicht ein Fehler im Erwartungsmanagement, dass von einem Kurkdjian stets mehr erwartet wird als nur 'nicht schlecht'. Auch Hervé ist nicht ganz sicher, ob er bei Aqua Vitae bleiben wird. Er streicht sich die welligen Haare hinters Ohr, ordnet den hellen Seidenschal und nimmt sich vor, später bei belgischem Trip-Hop darüber nachzudenken.
5 Antworten


Das AcquaV kenne ich nicht und mag ich auch nicht kennen lernen, mit den Düften vom Herrn Kurkdjian kann ich eh nicht.
erwecken können. Und schön, dass du deine mit uns teilst!