Tendre est la nuit obscur 2013

ElAttarine
24.03.2024 - 09:07 Uhr
25
Top Rezension
7
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft

Mich bergen ins zärtliche Dunkel

… weck mich nicht auf…! Lass mich träumen von
wilden Felltieren Weihrauchfedern
unsterblich rufen Immortellen im Zimtwürzpuder
zärtlich wie die Nacht… - Ja, Dunkelheit und Undurchsichtigkeit können sehr Bergendes, Schützendes, ja Menschenfreundliches haben.
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Ihr großer Wunsch war Klarheit. Es war ihr alles zu undurchsichtig geworden in ihrem Leben. So hatte sie am Nachmittag einsam den Berg bestiegen und sich einen Platz unten im erloschenen Vulkankrater gesucht. Es war ihr Wunsch gewesen, eingesogen und mit neuer Klarheit wieder ausgespien zu werden. In der Dämmerung erschienen die Sterne und der Mond am klaren Himmel. Kleine Tiere und unbekannte Vögel machten seltsame Laute. Sie beobachtete, wie die ersten Sterne und auch der Mond am Kraterrand wieder untergingen, als sie hineinkatapultiert wurde in die Ewigkeit. Auf einmal war sie ganz, ganz, ganz weit weg, im Nichts, in der Ewigkeit, im Weltraum. Alles war absolut hell und klar und gnadenlos kahl, ein Ort, an dem es keine Bewegung gibt, kein Leben, keine Polarität. In dieser gnadenlosen Klarheit gab es auch kein Du, das irgendwas hätte gefragt werden können. Dieser Stillstand in Klarheit und Ewigkeit war gnadenlos, entsetzlich und sehr anstrengend. Es war erbarmungslos, aber sie hatte keine Angst: Sie dachte an das Leben auf der Erde, daran, dass sie es nicht verstand, dass so Vieles dunkel bleibt, aber es war ihr klar, wie wundervoll es alles ist... - Erst die beginnende Morgendämmerung beendete dieses Ringen, und noch im Dunkeln stieg sie den Berg wieder hinab und kehrte mit herablaufenden Tränen zurück in die Welt des Lebendigen. Kleine gelbe Blumen vertrauten sich der Dunkelheit an wie kleine Sterne. Seitdem hütet sie das Wissen darum, wie wertvoll auch das manchmal Unklare und Undurchsichtige ist und dass sie Klarheit in die Welt bringen kann, weil sie auch darum weiß, wie entsetzlich brutal die Klarheit sein kann.
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Lass mich in meine Träume reisen… Behüte meine Träume, meine kleinen und großen Begehren, meine heimlichen Wünsche. Ganz und gar unschuldig sind sie als Wünsche, fast kindlich, aber dabei doch erwachsen, weil ich alles schon gesehen habe… In der Dunkelheit, in die ich vor mir selbst und doch gleichzeitig zu mir selbst fliehen kann… Hier verschwimmen die allzu scharfen Grenzen, die das helle Tageslicht erzeugt. Und wenn sich so manche Klarheiten als bloß scheinhaft erweisen, zeigt die Nacht, in der Grenzen verschwimmen, viel Wichtigeres auf als die grelle Helligkeit.
„O sleep, why dost thou leave me,
why thy visionary joys remove?
O sleep, again deceive me,
to my arms restore my wand’ring love!”
(aus Händels “Semele”)
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Beide Duftvarianten (obscur und clair) von „Tendre est la nuit“ wurden nach F. Scott Fitzgeralds Roman „Tender is the Night“ benannt, in dem es unter anderem um die Sinnleere eines oberflächlichen Lebensstils geht und um Beziehungskrisen und Exzesse der „Goldenen Zwanziger Jahre“, aber auch um die wichtige Bedeutung all dessen, was aus dem Tageslicht ins Dunkle verdrängt wird, sich aber doch immer wieder Berechtigung verschafft.

Delphine Thierry hat auch hier einen Duft von großer Feinheit und Tiefe geschaffen.
Bei mir beginnt er direkt mit Animalik: Ich nehme beides wahr, Zibet und Bibergeil, dazu Szechuanpfeffer und Ambrettesamen, die ich sehr mag. Immortellen und Karotte sind dabei, aber bei mir eher zurückhaltend. (Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass ich hier Restproben getestet habe – bin sehr gespannt auf einen Test aus dem Flakon.) Davana steuert eine ganz leicht likörige Blumigkeit bei, wie von kleinen gelben Blumen, die sich dem allzu hellen Tageslicht verschließen, sich aber in der Dunkelheit der Nacht zu öffnen wagen. Cabreuva habe ich bisher noch nie bewusst wahrgenommen; es soll warm, weich, süß, holzig und leicht blumig duften, als Referenzen werden teilweise Rosenholz und Sandelholz angegeben – das kann ich nicht einzeln herausschnuppern, passt aber gut zum Gesamteindruck. Auf jeden Fall entfaltet sich später eine sehr feine zartsüßpudrige Amberbasis, die dann noch Weihrauch und Labdanum freigibt. Patchouli mag ich sehr, finde es hier aber auch nicht als einzeln hervortretende Note wieder.
Bei mir im Ganzen eine recht lineare, ruhige Entwicklung, aber eben doch bewegt und nicht monoton.
Dieser Duft feiert das Leben – aber nicht laut und grell und groß, sondern fein und zärtlich und menschenfreundlich.

Mit Dank an @Midnights. und @Floyd , die verabredet bzw. als Überraschung mir ermöglicht haben, ausführlich zu testen. Inzwischen verlängert er meine Wunschliste…
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