Habanita 1924 Eau de Toilette

Version von 1924
Clover
05.02.2011 - 10:11 Uhr
32
Top Rezension
10
Haltbarkeit
10
Duft

Wölfin, Göttin, wilde Frau

Gestern war es genau zwei Wochen her, dass ich zeitgleich! zwei verschiedene Versionen dieses extrem aufregenden Duftes in Form von Pröbchen bei mir zu Hause willkommen heißen durfte: Tausend Dank, liebe Odeur, für die aktuelle Habanita, und an die wunderbare LaTanguera herzlichen Dank für die Vintage–Version, die (wie schon beschrieben) tatsächlich nochmal eine ganz andere Liga darstellt.

Aber der Reihe nach.
Ich sprühe die Lady also auf, links neu, rechts alt. Mein Freund sitzt mit diesem „gleich dreht sie wieder durch“-Gesichtsausdruck daneben und beobachtet mich, während ich zaghaft zu schnuppern beginne. Ehrfürchtig, klar. Geht ja hier nicht um irgendein neues Mode-Wässerchen, sondern um die große Habanita- eine, die immerhin des Öfteren in einem Atemzug mit Shalimar genannt wird. Der Sache muss ich nachgehen.

Was passiert?
Bereits im allerersten Moment ist mir klar: Das hier ist echt. Wahr und dicht und schonungslos. Passende Assoziationen sind sofort präsent, Habanita überwältigt mich geradezu mit ihrer Dominanz und Intensität, und erst mit der Zeit schaffe ich es, der Sache ein wenig auf die Spur zu kommen: In der Kopfnote tritt eine dunkle Himbeere auf, flankiert von einer Note überreifen Pfirsichs (so reif, als wäre gerade jetzt der perfekte und zugleich auch allerletzte Moment, ihn zu genießen) und begleitet von einer geradezu hypnotisch schönen Orangenblüte, tief und vollmundig, völlig ohne Kitsch. Naja, Kitsch würde wahrscheinlich auch sehr zeitnah zugrunde gehen angesichts dessen, was man von Beginn an spüren kann: Einen Abgrund. Endlos, dunkel und voller Geheimnisse nähert er sich mit jeder Sekunde. Oder nähere ich mich? Erst jetzt begreife ich jedenfalls, dass da aktuell noch mehr präsent ist, als ich zunächst wahrnehmen konnte: Leder, und Eichenmoos! Tiefe und Rauch. Das Ganze ist hintergründige, tiefe Weiblichkeit ohne jeden Barbie-Effekt; wie in einem Vulkan brodelt hier die pulsierende Essenz von furchtloser, wilder Sinnlichkeit und durchdringt die gesamte Komposition mit der unwiderstehlichen Kombination von Empfindsamkeit und Stärke. Was für eine Erfahrung! Da sind süffige, in dichter Pracht stehende Blüten; besonders Jasmin und Flieder nähern sich angstfrei dem heißen Herz der wilden Frau, während Heliotrop und Ylang Ylang, bereits dem Bann ihrer Intensität erlegen, selbstvergessen eine dunkle und süße Melodie anstimmen . La Tanguera schrieb ja schon, die Herznote von Habanita würde an das Räuchern von Harzen und Hölzern erinnern- dem möchte ich unbedingt zustimmen. In der Vintage-Version ist das Rauch-Aroma von noch hinreißenderer Üppigkeit und Opulenz; bei beiden jedoch verbreitet Benzoeharz eine trockene, herbe Süße, die durch die Iriswurzel noch unterstützt wird. Diese Art der trockenen Hitze macht das Ganze regelrecht explosiv und vermittelt wilde Entschlossenheit und ungezähmte, jederzeit entflammbare Sinnlichkeit.

Die Zigeunerin, die wir hier erleben dürfen, hat schwarze Augen und tanzt in wilder Ursprünglichkeit ums Feuer. Ihr Begehren ist ungestüm und tief, die Leidenschaft kommt aus dem Innersten ihrer Seele. Wenn Sie jemandem aus der Hand liest, sagt sie schonungslos alles, was sie sieht- selbst das, was man lieber nicht hören möchte. Sie sieht ins gleißende Licht, ohne zu blinzeln und fühlt sich geborgen im finstersten Wald. Sie hat alles gesehen und ihr ist kein Gefühl fremd, aber sie ist nicht abgestumpft, sondern emphatisch und voller Weisheit. Sie schert sich nicht um Konventionen, sondern hört immer auf den Ruf der Natur und den Schlag ihres eigenen Herzens. Sie erklimmt die Berge der Euphorie und durchwandert Täler tiefster Trauer. Sie ist absolut furchtlos, ihr Lachen ist kehlig und ihre Stimme rauchig und sanft. Sie ist uralt und ewigjung, Mutter und Tochter, Schamanin und Geliebte, Kriegerin und Trösterin. Ihre Zeit ist das Jetzt. Nichts entfernt sie von sich selbst, sie schöpft ihre Kraft aus dem ursprünglichen Sein. Ja, da ist Sehnsucht, sogar Gier- meiner Empfindung nach jedoch nicht nach dem, was war oder sein wird, sondern nach dem Leben selbst!

Ich fühle hier eine tiefe, ungezähmte Freude; eine Einladung, das auszuschöpfen, was jeder einzelne Moment zu bieten hat. Das eigene Potential zu nutzen und aus vollem Herzen und ganzer Seele alles zu geben, ohne Rücksicht auf Verluste oder den „guten Ruf“. Man selbst zu sein, die eigenen Abgründe zu begrüßen und es zu wagen, sie sich zu eigen zu machen. Das Wagnis einzugehen, ganz zu werden. Die Essenz des Lebens zu spüren. Ohne jede Selbstvergessenheit das eigene Sein auszuleuchten. Bewusstheit zuzulassen, bis an die Schmerzgrenze- um am Ende gemeinsam mit der wilden Frau um das Feuer des Lebens zu tanzen, bis es zu Rauch wird.

Am Ende schmiegt sich Habanita mit sanft ledriger, vanillig-süßer Moschuspudrigkeit an meine Haut und bleibt noch eine ganze Weile bei mir, bevor sie sich schließlich mit einem Augenzwinkern verabschiedet. Ich glaube, sie ahnt wohl, dass ich ihrem Temperament nicht jeden Tag folgen kann… Trotzdem hallt mir der Klang ihres tiefen Lachens noch in den Ohren, und mir ist klar: Jede Tür, die ich ihr öffne, öffne ich auch manch unbeachtetem Teil von mir selbst.
Anmerkung:
Eine Ähnlichkeit zwischen Habanita und Shalimar sehe ich persönlich –wenn überhaupt- nur in der bei beiden sehr selbstverständlichen und gleichzeitig mystischen Sinnlichkeit, die sich für mich aber auf völlig verschiedenen Gefühlsebenen manifestiert. Wenn Habanita eine Wölfin ist, die in nächtlicher Jagd ihrem Instinkt und der wilden Sehnsucht ihres Herzens folgend eine absolute Unmittelbarkeit und Entschlossenheit auslebt (und diesen Schritt ins Unbekannte auch von ihrem Träger erwartet), erscheint Shalimar für mich als Katze. Sie ist sanfter und anmutiger, aber ebenfalls tief in ihren Instinkten verwurzelt. Sie leitet mich nicht, ist aber bereit, mich auf sanften Pfoten lautlos zu begleiten. Sie zwingt mich nicht zur Offenbarung, aber sie ist schnurrend bei mir, wenn ich auf etwas stoße, das mich schaudern lässt…und wenn nötig, hat auch sie messerscharfe Krallen.
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