Hypnotic Poison Eau Sensuelle 2010

Clover
08.03.2011 - 09:32 Uhr
29
Top Rezension
10
Haltbarkeit
10
Duft

Verführung

Oh, dieser wundervolle, rote, bittermandelige Herzensbrecher- wie ich ihn hasse. Und ich liebe ihn, nein, ich bin verliebt, und zwar gründlich. Gegen meinen Willen, gegen meine Überzeugung und auf Kosten meiner Glaubwürdigkeit hier bei Parfumo UND in der Parfümerie meines Vertrauens, wo ich vorher im Brustton der Überzeugung über ihn gelästert und ihn (scheinbar im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte) quasi als Trittbrettfahrer der Verdammnis beschimpft habe - indem ich Eau Sensuelle mit seinem großen Bruder Hypnotic Poison gleichsetzte, der auf meiner Haut bei einem arglosen Test so viel radikale Schwere und süße, plastikartige Künstlichkeit verbreitet hatte, dass es mir fast den Magen umdrehte.

Genau so war es zu Beginn scheinbar auch beim aktuellen hypnotischen Nachwuchs. Als ich ihn testete (auf einem Papierstreifen UND meiner Haut, sehr schlau) und sofort der Familienähnlichkeit gewahr wurde, die durch den unverkennbaren Bittermandel-Auftakt schlicht nicht auszublenden war, bekam ich große Angst vor dem Plastik-Overkill und konnte der weiteren Entwicklung leider nicht mehr folgen. Stattdessen wurde der Duft (unter Flüchen) brutal abgeschrubbt- begleitet von dem Vorsatz, nie nie nie wieder an roten, kugelartigen Flacons zu schnuppern, die schon im Vorfeld selbständig vor Ihrer Giftigkeit warnen. Der Papierfetzen flog derweil in die unendlichen Weiten eine meiner Taschen und ward fürs Erste nicht mehr gesehen.

Ich würde wohl noch immer so über Eau Sensuelle denken, wäre da nicht am nächsten Morgen besagter Papierstreifen erneut aufgetaucht, als ich die Tasche wieder einmal wechselte. Ich wusste interessanterweise im ersten Moment gar nicht mehr, welchen Duft ich gerade mit wachsender Gier inhalierte…aber er war hinreißend! Ganz weiche Mandel, unterlegt von Vanille und einem Hauch cremiger Orchidee und Sandelholz, wunderbar präsent, gleichzeitig wild und sanft und herb und irgendwie…hach! Dadurch, dass es sich bei der besagten Mandel keinesfalls um eine gewöhnliche, sondern definitiv um eine BITTERmandel handelte, war eine Verwechslung ausgeschlossen und ich musste mir, als mein Hirn diese Hürde genommen hatte, eingestehen, dass dieser kleine Bruder des alten Feindes -zumindest auf dem Papier und nach einer geraumen Weile- tatsächlich eine kleine Sensation war.

Nach zwei Tagen fruchtloser Grübelei also wieder zurück in die Parfümerie. Vorgegeben, andere Düfte testen zu wollen. Unauffällig nochmal Eau Sensuelle aufs Handgelenk gesprüht. Rausgegangen und bewusst und mit allen Sinnen den Duft in ganzer Fülle (und diesmal mit weniger Angst) wirken lassen, OHNE ihn abzuschrubben. Ergebnis: Ja, der Teststreifen hatte Recht! Die Rampensau von Bittermandel hat natürlich wieder ihren Sensationsauftritt. Aber dann: Warme Ylangblüten und eine Orchidee, die mich entfernt an Euphoria erinnert, jedoch volltönender und gleichzeitig sanfter ist (Vanilleorchidee?), bringen zusammen mit Heliotrop Weichheit und raumgreifende Fülle, während ausgerechnet Tuberose (normalerweise eine Bombe, die ihresgleichen sucht)hier mit diplomatischer Meisterhand die Brücke zwischen herber Kratzigkeit und sanfter Süße schlägt- so dass Eau Sensuelle tatsächlich noch „giftig“ genug ist, um sich Respekt zu verschaffen, gleichzeitig aber einen Charme hat, dem man einfach nur erliegen möchte. *Seufz*

Im Gegensatz zum ursprünglichen Hypnotic Poison ist hier auch im weiteren Duftverlauf weniger nasenbetäubende Süße und -Achtung an alle Fans des Originals- KEINE Spur mehr von diesem charakteristischen Gummi-Akkord. Dafür aber umso mehr Blumigkeit und Struktur, allerdings ohne ein Abgleiten ins Normale und Belanglose. Das würzig-sanfte Sandelholz schafft zusammen mit den anderen herberen Gewürznoten einen fein herausgearbeiteten Kontrast zum mittlerweile laut feiernden Gefolge der (ja, okay, ganz tollen) Bittermandel; alles ist so perfekt ausbalanciert und trotzdem noch in typischer HP-Manier dramatisch und sinnenbetäubend, dass man den Eindruck bekommt, es handle sich bei Eau Sensuelle tatsächlich um die geschliffene, veredelte Version des Klassikers. Weicher und runder- und mindestens ebenso hypnotisch. Als Basis ist da schließlich diese einzigartige und unvergessliche Melange von dunkler, herber Mandel und tiefsüßer Vanille, die zusammen mit dem sanften Nachhall von Orchidee dieses rote Wunder so verführerisch und (vielleicht ist das ein Nachteil) absolut wieder-erkennbar macht… aber das Risiko gehe ich ein, jawohl.

Der wissende Blick und das milde Lächeln der Verkäuferin, als ich (sichtbar geflutet von Glückshormonen) diesen Schatz am Ende zur Kasse trage, geben mir das deutliche Gefühl, gerade zum willenlosen Opfer einer raffiniert eingefädelten Hypnose, ja, einer geradezu geplanten Verführung geworden zu sein. Egal, ich bin jetzt glücklich mit ihm! Und welchen Spruch habe ich da neulich noch gelesen?

„Wenn der Weg schön ist, lass uns nicht fragen, wo er hinführt.“
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