Les Nombres d'Or - Rose Etoile de Hollande 2012

Undine
25.09.2013 - 09:29 Uhr
10
Flakon
5
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Ein Rosenleben

Rosen, zum Ersten:
Juni. Morgens vor der Arbeit durch den Garten streifen und die Nase in Blüten stecken. Hier volle, satte Damaszener-Süße, da tiefer, dunkler Rose-Rouge-Duft, dort die eigenwillige Myrrhe-Note englischer Rosen; woanders – bei gelben, zartrosafarbenen oder weißen Blüten – leichte, frische Aromen mit fruchtigen Beiklängen, reife Banane, weißer Pfirsich, süßwürziger Apfel, etwas Orange.

Nach Feierabend in die Handschuhe schlüpfen, ellbogenlang, stacheldicht. Die Schere her, Welkes abschneiden. Nach getaner Tat die nach Leder und Grünem riechenden Hände eintauchen in den Eimer voller Blütenblätter, Düfte aufwirbeln. Rosen, Rosen, Rosen, nun unterlegt mit einem Hauch von Erde und Heu, trockener als am Morgen, zerbrechlicher, hinfälliger.

Juni-Besuch in einem fremden Garten. Im Rosenbeet wachsen Kräuter. Nicht nur Lavendel, der Rosen gern zugesellt wird, sondern auch Thymian, Majoran, Ysop, Bohnenkraut, Rosmarin. Absicht, sagt die Gärtnerin: Rosenduft pur ermüde mit seiner Lieblichkeit; im Kontrast zur herben Bitterkeit drumrum nehme man ihn viel intensiver wahr.

Rosen, zum Zweiten:
Sie ist eine berühmte Unbekannte, die Kletterrose 'Etoile de Hollande', die Modell gestanden hat für Mona di Orios olfaktorisches Pflanzenporträt (ein Exemplar davon, so heißt es auf der Firmen-Website, habe die Parfümeurin kennengelernt an der Wand des Hauses im provençalischen Cabris, in dem sie lange gearbeitet hat). Vielen Rosenliebhabern ist die Sorte dem Namen nach geläufig. Doch in kaum einem Garten ist sie zu finden, kaum jemand – ich auch nicht – kennt mehr von ihr als Beschreibung und Bilder in der Datenbank www.helpmefind.com. Denn Liebhaber mit Sammler-Tendenz sind Snobs ;-): Kostbaren Gartenplatz (und davon braucht eine Kletterrose viel) ausgeben für eine gewöhnliche Teehybride in noch gewöhnlicherem Scharlachrot? Och nö, Rarissima sollen es sein, halb vergessene Sorten, päppelbedürftige Sensibelchen. Und ausgefallene Farben, Mauve, Bläulichviolett, Milchkaffeebraun, fast schwarzes Rot.

Rosen, zum Dritten:
Rosenparfums? Für mich Dauerfrust. Schwer, zuckrig, seifig, synthetisch, stechend, auftrumpfend, (vor)laut, vulgär, überwürzt, gestelzt, banal, brav, zum Gähnen bieder, mädchenhaft niedlich bis zum Fürchten neckisch – alles, was ich partout nicht leiden kann, war über die Jahrzehnte dabei. Nie Rosenduft, wie ich ihn liebe. Die Suche danach hatte ich längst aufgegeben, skeptisch nahm ich das Pröbchen zur Hand.

Und dann die Überraschung: Das ist es.

Rose. Lieblichkeit ohne Süße, Kraft ohne Schwere. Frisch-fruchtige Noten mischen mit, doch ganz leise – die Farb-Frage ist sofort geklärt: kein Damaszener-Tiefrosa, kein schwarzer Samt, kein Weiß, kein Gelb, diese Rose blüht leuchtend dunkelrot. Zu Anfang kann sie sich noch nicht ganz durchsetzen, spielt nur eine von zwei (oder drei?) Hauptrollen, neben Erde und taufeuchtem Grün. Rasch wird das Blütenaroma deutlicher, ohne seine Transparenz zu verlieren. Zugleich erwacht Würziges, wie man es aus anderen Mona di Orio-Düften kennt (da ist sie, die Gärtnerinnenweisheit, dass herbe Kontrast-Aromen dem Rosenduft gut tun ;-)...). Auch in der Folge bleibt die Rose nie allein, sie hat immer Begleiter. Die einzeln zu identifizieren, fällt mir freilich schwer, sie sind stets innig miteinander und mit dem Rosenduft verschränkt zum Gesamt"bild". Zu Beginn empfinde ich "Junimorgen", siehe oben; ein paar Stunden später ist es "Juniabend", ebenfalls siehe oben. Zwischendrin und danach sind da eine mittagsglühende Bruchstein-Mauer, kalkig staubend; dichtes Gezweig mit Gewitterschauertropfen drauf; Laub am Boden, erdig, modrig; lange Schatten im Licht der sinkenden Sonne; und schließlich eine milde Sommernacht, in die die hinreißend weiche, warme Basis regelrecht einzumünden scheint, immer noch rosig, aber nun nicht mehr "pflanzlich" getönt, sondern harzig-balsamisch.
Über den gesamten – langen! – Verlauf ist der Duft aufs Delikateste ausbalanciert. Perfekt. Jedoch nicht im Sinne kalter, steriler Floristenrosen-Perfektion. Mona di Orios olfaktorische Rose hat Macken, hier ein Blattläuschen, dort ein Insektenfraßloch, da eine bereits vergangene Blüte. Sei's drum, morgen werden sich neue Knospen öffnen. Und übermorgen, nächste Woche, nächstes Jahr...

Von "verwobenem Stoff" hat Louce in ihrem Kommentar zu Mona di Orios Oud-Duft gesprochen. Und davon, dass die in der Pyramide gelisteten Duftnoten nicht für sich selber wichtig sind, sondern nur als Begleiter der Hauptnote, als deren "Fassung". So ähnlich ist es auch hier. Wobei mir ein musikalischer Vergleich treffender vorkommt. Denn der Duft ist nicht statisch, sondern fortwährend in Bewegung, ein Prozess in der Zeit: Die "Begleiter"-Noten orchestrieren die Zentralnote und entwickeln sie dabei – eine kleine Motivzelle wächst zum Thema, dessen Ausdrucks- und Klangpotenzial entfaltet und ausgelotet wird. (In farbenreicher, aber kleiner Besetzung, Kammerorchester: Der Duft ist zwar deutlich vernehmbar, doch er bleibt körpernah.)

Ein Rosenparfum? Nein. Mehr.
Der Duft erzählt ein Rosenleben. Ein Leben. Leben.

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Gleichzeitig mit der Duftbestellung habe ich eine zweite Bestellung auf den Weg gebracht – für die Rose 'Etoile de Hollande'. Der Flakon ist längst da, mit der Pflanze wird es noch dauern: Bei Rosenschulen beginnt die Ernte frühestens Mitte Oktober. Bis dahin werde ich einen passenden Platz im Garten gefunden haben. Und im nächsten Sommer werde ich wissen, ob Mona di Orios Rosen-Porträt eher naturalistisch ist oder eher abstrakt ;-).
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Nachtrag 31.10.13:
Heute habe ich sie gepflanzt, die Rose 'Etoile de Hollande'. Möge sie gut durch den Winter kommen und dann im Juni duuuften :-).
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