Red Vetiver
Red Vetyver

VanVeen
07.07.2012 - 08:56 Uhr
14
Top Rezension
8
Duft

Welcome to the Desert of the Real

Erkundung, Part X

Mit dem Label "Luxus" ist es ein bisschen wie mit Antibiotika: Je mehr man es auf Banalitäten anwendet, desto wirkungsloser wird es. Es gibt aber keine Alternative. Und je größer die Weltbevölkerung wird und je größer der Wohlstand darin, desto kritischer wird die Lage.

Luxus ist längst in einer umgekehrten Legitimationskrise: Je besser die Welt wird, desto schwieriger wird es, ein Image nach oben noch abzusetzen; nicht, weil das die wütenden Massen aufbringen würde, sondern weil die wütenden Massen ihr Stück vom Luxus haben wollen und bezahlten könnten, aber einfach nicht glauben wollen, daß Ihr Stück vom echten Luxus so banal hergestellt, beworben und an alle vertrieben wird wie ihr Stück Kamps-Brot.

Es scheint drei Auswege zu geben.

Ausweg eins, manche Marken weichen tatsächlich nach oben aus, erhöhen die Preise und/oder machen sich rar. (Oft, nach ein paar Jahren, wenn sie genug Nimbus gesammelt haben, werden sie dann abgesenkt und in der breiten Masse ausgeschlachtet, während weiter oben die nächste Markengeneration vorbereitet wird. Absolut rational, wenngleich etwas schamlos: funktioniert ausgezeichnet.)

Ausweg zwei, das Genuin-Artisanale. Wenn man das Glück hat, noch einen richtigen Bäcker zu kennen, oder einen richtigen Schneider, oder einen richtigen Winzer, kann man oft für kleine Preise gutes Brot, sitzende Hosen oder sagenhaften Moselweißwein bekommen. Die Leute, die diese Sachen machen, machen sie nicht um reich zu werden, sondern weil die Herstellung guter Sachen zu ihrem Konzept eines guten Lebens gehört. Ihre Produkte sind oft besser, günstiger und schöner als alles, was die Industrie fertigt, aber sie sind extrem selten, man findet sie kaum im Internet und wenn man sie findet, sind sie nur durch jahrelanges, geduldiges trial-and-error von Stümpern und Spinnern zu unterscheiden. Funktioniert also nur für ein paar Glückliche.

Ausweg drei, Heritage Dilution, Das Große Als-Ob, das funktioniert, weil alle wissen, daß die Wahrheit Fake ist. Wer Legitimation braucht, schaut in die Geschichte. Nun ist die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts äußerst problematisch für Luxus -- die Moderne ist an sich zu sozial bemüht, um sich als Tranditionslinie für elitären Konsum zu eignen. Es gibt deswegen den (bereits erwähnten) mehr oder weniger erfolgreichen Versuch, diesen sozial/demokratischen Geist aus der Moderne einfach wegzulügen, viel häufiger ist aber den Rückgriff auf noch ältere Traditionslinien. Gerade die erzreaktionäre deutsche Werbebildersprache überschlägt sich ja in der Darstellung heiler prä-industrieller Warenwelten: Alpenmilch in Holzkrügen, Klosterbrauereien, handwerkliche Traditionen und Gesichter, die sagen: Das ist mein Produkt, dafür stehe ich mit meinem Namen. Und in Shanghai setzen neu eröffnete vierzigstöckige Hotels rote Pagoden auf ihre Dächer, gern auch mal unter der Marke einer vor Jahrzehnten untergegangenen amerikanischen Restaurantkette: Im verzweifeltem Versuch, im Nichts, in dem das Neue in einer 7-Milliarden-Menschen-Welt nun einmal entsteht, historisch-legitimatorisch irgendwie zu ankern.

Womit wir bei Pierre Montale wären. Pierre Montale ist ein französischer Parfumeur, ein stiller, ernster Handwerker, der auf einer Bildungsreise in den Orient in Kontakt mit interessanten Duftstoffen kam, eine Leidenschaft dafür zurück in die Hauptstadt des Luxus, Paris, gebracht hat, und von dort aus, mit seinem nach ihm benannten Haus Montale, die Welt erobert hat.
Leider, so liest man, scheint niemand Pierre Montale jemals gesehen zu haben. Es gibt keine Interviews von ihm, und seine Geschichte in tausend und einer Nacht ist ebenfalls undurchsichtig. Die Marke jedenfalls scheint ihm nicht persönlich zu gehören, sondern einem Herrn Ammar Atmeh, wohnhaft in Dubai. Möglicherweise, nur möglicherweise, so sagen die Gerüchte, gibt es gar keinen Pierre Montale, sondern nur ein tatkräftiges Stück Kapital im (gar nicht mal so 1001-Nacht-haften) Nahen Osten, das ihn sich ausgedacht hat, um ein ziemlich großes und schnell hochgezogenes Programm von Düften gehobener Qualität zu verkaufen.

"Red Vetyver" ist (wie hier ausgiebig besprochen) eine Variante von Terre d'Hermès, und hier wird es endgültig spannend: Hermès ist eine der unbeugsamsten Luxusmarken, mit Ausnahme dieses Dufts kompromisslos nach oben ausgewichen und grimmig von dort, in feinen Lederslippers, auf die kalten gierigen Grapschefinger von LVMH tretend.
Terre d'Hermès allerdings wird nicht von Leuten getragen, die sich sonst Hermès leisten. Von all den Männern am Düsseldorfer Hauptbahnhof letzte Woche -- und da war viel dabei --roch nach Terre d'Hermès der eher knuffige Typ mit dem schwarzen Sakko, der Jeans und der schwarzen Notebooktasche aus Kunststoffgewebe (darin zweifellos ein Lenovo oder Toshiba).

"Red Vetyver" riecht (ab der Herznote) ziemlich genau so, also vor allem herrlich nach Zeder, kostet aber etwas mehr. Es ist also: Die von einem vermutlich fiktiven französischen Wunderparfumeur aus Dubai heraus erzeugte Upmarket-Variante des von einem wirklichen Meister formulierten, hervorragenden Downmarket-Dufts einer der bestlegitimiertesten Luxusmarken der Welt. Wenn das nicht cool und zeitgemäß ist, weiß ich auch nicht.

Riecht auch toll: Scharf am Anfang, dann rund und hell nach Zeder. Bei "Red Vetyver" und Verwandten gibt es diesen Mit-der-Nase-Trinken-Wollen-Effekt, die Formel scheint aufs Direkteste auf einen Rezeptor loszugehen.
Man muß allerdings vorsichtig sein damit: Mir ist das schnell viel zu viel in seiner Direktheit. Und auch wenn der Duft immer angenehm bleibt - wenn man ihn über den Bahnsteig riecht, denkt man sich doch schnell ein etwas herablassendes: Ach, sieh an, Du!
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