14.06.2015 - 13:36 Uhr

Meggi
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Meggi
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27
two nighter
„Hallo! Guten Morgen! Bitte aufwachen, bitte! Es wird laut hier jetzt! Und bitte machen mal Schreibtisch frei, ja?“ Nur mühsam drangen die Worte durch die Schicht bleierner Müdigkeit. Doch gleichzeitig war das gleißende Kunstlicht entflammt und hatte seinen Anteil geleistet. Kaffee. Kaffee. Aber vorher waschen. Seine erste Bewegung presste aus dem Hemdkragen einen leicht müffelnden Geruch hervor, der die Richtigkeit dieser Idee unterstrich. Und trotzdem roch es weitaus weniger schlimm, als zu vermuten gewesen wäre. Dieser Duft aus der Blechdose hatte gute Arbeit geleistet.
Langsam erhob er sich, die Arme waren eingeschlafen und kribbelten; gewiss war ein Abdruck des Handrückens auf der Stirn. Das plötzliche Geräusch des Staubsaugers bohrte sich ihm brutal in die Stirn. Scheiße, Mann, warum konnte die blöde Tusse nicht warten, bis er raus war? Na ja, hatte halt ihr Pensum zu erledigen. Erbärmlich genug, dieser Job. Die ganze Nacht putzen für ein paar lumpige Kröten. Hätte eben was Anständiges lernen sollen.
Kaum hatte er das Büro mit einem kleinen Kulturbeutel in der Hand verlassen, war die Reinigungskraft aus seinen Gedanken verschwunden. Er hatte es geschafft! Der Blick auf die Armbanduhr zeigte 5:48. Bevor ab acht Uhr allmählich die anderen kämen, wäre er fertig und würde dem Chef pünktlich um neun die Präsentation und den Prospekt-Entwurf mit den begleitenden Unterlagen vorlegen. Damit wäre er der zweitjüngste Mitarbeiter, der je einen ‚two nighter‘ hingelegt hatte; nach dem legendären Jay Ashun, der inzwischen London leitete. Töricht, sich mit dem zu vergleichen. Oder…?
Bei der improvisierten Morgentoilette dachte er weiter über den koryphäenhaften Pakistani nach. Unglaublich, wie der aus Nichts Geld machte. Einfach smarter war als alle übrigen im nanosekundenschnellen Billionen-Jonglieren rund um den Globus. Und auf diese Weise seinerseits Abermillionen an Bonus-Zahlungen scheffelte. Bei diesem Gedanken fiel ihm ein ärgerliches Gespräch mit seinem Vater ein; der hatte neulich gesagt: „Eure Sorte schneidet sich ein riesiges Stück aus dem Kuchen, ohne eine einzige Krume dazuzutun. Ihr schiebt bloß Geld hin und her, ohne irgendetwas zu schaffen oder zu nützen. Was Ihr gewinnt, muss anderswo jemand verlieren.“ Meine Güte, er hatte sich die Zeit für den Besuch bei seinen Eltern echt sonstwo abgekniffen und dann solche Sprüche. Anstatt froh zu sein, dass ihr Sohn aus dem Kleinstadt-Mief raus war…. Immerhin verdiente er mit Mitte Zwanzig im Monat deutlich mehr als sein Alter im ganzen Jahr. Das zählte. Und das Ende war lange nicht erreicht, in seiner Schreibtischschublade lag das Angebot für den Wechsel in die Londoner Niederlassung.
Und ehe er das annahm, hatte er seinen ersten ‚two nighter‘ bereits geschafft haben wollen. London. Traum jedes Investmentbankers, wie New York. Da wurden die richtig dicken Dinger gedreht, keine typisch-deutsch-nervige Bankenaufsicht mit ihren ewigen sozialistischen Bedenken. Nur offshore ging noch mehr. Mal sehen. Cayman Islands in ein paar Jahren? Aber erstmal London. Allein. Seine Freundin war stinksauer gewesen, dass er ihren Geburtstag gestern im Büro verbracht hatte und hatte ihm gemailt, dass sie nicht mitkommen würde. Dann nicht.
Und, Mann, der erste ‚two nighter‘ war heute im Sack! Er hatte schon mehrere ‚one nighter‘ hinter sich gebracht. Vorletzten Monat ein kleineres Ding für die Stadt Wuppertal. Ein raffinierter Schweizer-Franken-Yen-Deal, angedockt an ein cross-border-Leasing-Geschäft; damit konnte der Stadt-Kämmerer seinen Jahres-Etat um ein Viertel aufstocken oder besser: aufzocken. Wenn alles gut ging. Wenn nicht – sein Problem. Die Sache hatte ratzfatz durchgezogen werden müssen, bevor der Enthusiasmus im Rathaus abflaute.
Doch das war Pipifax gewesen, zwanzig Millionen Volumen. Die letzten beiden Tage war es um ein 750-Millionen-Paket von Wandelanleihen gegangen, die rasend schnell begeben werden sollten. Warum auch immer. Wahrscheinlich wollten die ihre Aktionäre bescheißen. Egal. Für Antworten auf solche Fragen gab keiner was. Wenn eine Emission bestellt wurde, wurde sie geliefert, und zwar pronto. Ende. Und manchmal war für sowas eben eine Doppel-Nachtschicht nötig.
So, einigermaßen frisch fühlte er sich nun. Zum Schluss griff er nach dem lustigen Blechfläschchen, das ein bisschen wie eine Handgranate aussah. Das Zeug war ein guter Tipp gewesen. Er hatte vorgestern Mittag rasch Kobberger auf der Zeil aufgesucht, um sich was zum Frisch-Machen zu besorgen, als sich die Doppel-Nacht im Büro ankündigte. Er benutzte normalerweise natürlich einen Hermès, hatte aber diesen hier als länger haltbare Alternative empfohlen bekommen. Passte gut. Roch ähnlich. Spritzig wie eine herbe Zitrusbrause zum Auftakt. Und die kristallene Frische blieb, obschon gedämpfter, bis weit in den Nachmittag hinein erhalten, während es von unten herauf ganz allmählich dezent, ruhig und erdig wurde, dabei kraftvoll bis zum späten Abend. Das war O.K. für DEN Jungstar im Investmentgeschäft und passend zu einem wahrhaft langen Tag. Er musste schließlich niemandem erzählen, dass das kein Hermès war.
So, jetzt der Kaffee, dann der letzte Feinschliff für die Emission. Und London rief.
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Alles Klischee? Mitnichten:
http://www.sueddeutsche.de/medien/master-of-the-universe-auf-arte-bereit-sein-leben-aufzugeben-1.1816044
http://www.spiegel.de/kultur/tv/der-banker-doku-ueber-finanzhai-in-frankfurt-a-975078.html
Sehr sehenswerter Film. Wird bestimmt mal wiederholt.
Vielen Dank an Dobbs für die Probe!
Langsam erhob er sich, die Arme waren eingeschlafen und kribbelten; gewiss war ein Abdruck des Handrückens auf der Stirn. Das plötzliche Geräusch des Staubsaugers bohrte sich ihm brutal in die Stirn. Scheiße, Mann, warum konnte die blöde Tusse nicht warten, bis er raus war? Na ja, hatte halt ihr Pensum zu erledigen. Erbärmlich genug, dieser Job. Die ganze Nacht putzen für ein paar lumpige Kröten. Hätte eben was Anständiges lernen sollen.
Kaum hatte er das Büro mit einem kleinen Kulturbeutel in der Hand verlassen, war die Reinigungskraft aus seinen Gedanken verschwunden. Er hatte es geschafft! Der Blick auf die Armbanduhr zeigte 5:48. Bevor ab acht Uhr allmählich die anderen kämen, wäre er fertig und würde dem Chef pünktlich um neun die Präsentation und den Prospekt-Entwurf mit den begleitenden Unterlagen vorlegen. Damit wäre er der zweitjüngste Mitarbeiter, der je einen ‚two nighter‘ hingelegt hatte; nach dem legendären Jay Ashun, der inzwischen London leitete. Töricht, sich mit dem zu vergleichen. Oder…?
Bei der improvisierten Morgentoilette dachte er weiter über den koryphäenhaften Pakistani nach. Unglaublich, wie der aus Nichts Geld machte. Einfach smarter war als alle übrigen im nanosekundenschnellen Billionen-Jonglieren rund um den Globus. Und auf diese Weise seinerseits Abermillionen an Bonus-Zahlungen scheffelte. Bei diesem Gedanken fiel ihm ein ärgerliches Gespräch mit seinem Vater ein; der hatte neulich gesagt: „Eure Sorte schneidet sich ein riesiges Stück aus dem Kuchen, ohne eine einzige Krume dazuzutun. Ihr schiebt bloß Geld hin und her, ohne irgendetwas zu schaffen oder zu nützen. Was Ihr gewinnt, muss anderswo jemand verlieren.“ Meine Güte, er hatte sich die Zeit für den Besuch bei seinen Eltern echt sonstwo abgekniffen und dann solche Sprüche. Anstatt froh zu sein, dass ihr Sohn aus dem Kleinstadt-Mief raus war…. Immerhin verdiente er mit Mitte Zwanzig im Monat deutlich mehr als sein Alter im ganzen Jahr. Das zählte. Und das Ende war lange nicht erreicht, in seiner Schreibtischschublade lag das Angebot für den Wechsel in die Londoner Niederlassung.
Und ehe er das annahm, hatte er seinen ersten ‚two nighter‘ bereits geschafft haben wollen. London. Traum jedes Investmentbankers, wie New York. Da wurden die richtig dicken Dinger gedreht, keine typisch-deutsch-nervige Bankenaufsicht mit ihren ewigen sozialistischen Bedenken. Nur offshore ging noch mehr. Mal sehen. Cayman Islands in ein paar Jahren? Aber erstmal London. Allein. Seine Freundin war stinksauer gewesen, dass er ihren Geburtstag gestern im Büro verbracht hatte und hatte ihm gemailt, dass sie nicht mitkommen würde. Dann nicht.
Und, Mann, der erste ‚two nighter‘ war heute im Sack! Er hatte schon mehrere ‚one nighter‘ hinter sich gebracht. Vorletzten Monat ein kleineres Ding für die Stadt Wuppertal. Ein raffinierter Schweizer-Franken-Yen-Deal, angedockt an ein cross-border-Leasing-Geschäft; damit konnte der Stadt-Kämmerer seinen Jahres-Etat um ein Viertel aufstocken oder besser: aufzocken. Wenn alles gut ging. Wenn nicht – sein Problem. Die Sache hatte ratzfatz durchgezogen werden müssen, bevor der Enthusiasmus im Rathaus abflaute.
Doch das war Pipifax gewesen, zwanzig Millionen Volumen. Die letzten beiden Tage war es um ein 750-Millionen-Paket von Wandelanleihen gegangen, die rasend schnell begeben werden sollten. Warum auch immer. Wahrscheinlich wollten die ihre Aktionäre bescheißen. Egal. Für Antworten auf solche Fragen gab keiner was. Wenn eine Emission bestellt wurde, wurde sie geliefert, und zwar pronto. Ende. Und manchmal war für sowas eben eine Doppel-Nachtschicht nötig.
So, einigermaßen frisch fühlte er sich nun. Zum Schluss griff er nach dem lustigen Blechfläschchen, das ein bisschen wie eine Handgranate aussah. Das Zeug war ein guter Tipp gewesen. Er hatte vorgestern Mittag rasch Kobberger auf der Zeil aufgesucht, um sich was zum Frisch-Machen zu besorgen, als sich die Doppel-Nacht im Büro ankündigte. Er benutzte normalerweise natürlich einen Hermès, hatte aber diesen hier als länger haltbare Alternative empfohlen bekommen. Passte gut. Roch ähnlich. Spritzig wie eine herbe Zitrusbrause zum Auftakt. Und die kristallene Frische blieb, obschon gedämpfter, bis weit in den Nachmittag hinein erhalten, während es von unten herauf ganz allmählich dezent, ruhig und erdig wurde, dabei kraftvoll bis zum späten Abend. Das war O.K. für DEN Jungstar im Investmentgeschäft und passend zu einem wahrhaft langen Tag. Er musste schließlich niemandem erzählen, dass das kein Hermès war.
So, jetzt der Kaffee, dann der letzte Feinschliff für die Emission. Und London rief.
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Alles Klischee? Mitnichten:
http://www.sueddeutsche.de/medien/master-of-the-universe-auf-arte-bereit-sein-leben-aufzugeben-1.1816044
http://www.spiegel.de/kultur/tv/der-banker-doku-ueber-finanzhai-in-frankfurt-a-975078.html
Sehr sehenswerter Film. Wird bestimmt mal wiederholt.
Vielen Dank an Dobbs für die Probe!
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