Sea Censored
Sea Angel
2017

mado
28.06.2017 - 18:27 Uhr
24
Top Rezension
7
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
2
Duft

Zwischen Poesie, Realität und Ernüchterung

Wie soll ich hier nur anfangen...? Mit dem Thema "Meer" kriegt man mich fast immer. Für mich ist Meer fast ausschließlich mit Schönheit, Reinheit und Klarheit verbunden. Umso mehr freute ich mich auf meine Abfüllung zu diesem neuen Duft - Danke an die liebe Anke (FRAgrANTIC) dafür!

Mein Vorredner bzw. -schreiber Can hat hier fantastische Worte gewählt. Poesie, wie sie für mich in ein Buch gedruckt gehört – ich würde es mir sofort kaufen! Ich male aber nicht in Worten, sondern bediene mich der einfachen Allgemeinsprache. Und meine Meerjungfrau ist leider tot. Mausetot, schon mehrere Tage oder Wochen. Eine Wasserleiche quasi.

Der Duft beginnt mit einer gedimmten Rose (es könnte durchaus auch Maiglöckchen sein) und erinnert mich an die Erfahrung, als Oma mich als kleiner Bub immer herzlich umarmte und mir einen dicken Schmatzer auf die Wange setzte. Ja, Oma roch genau so.

Die Rose fliegt vorbei, setzt aber zuvor einen undefinierbar blumig-lieblichen Akzent in den Duft, der bis zum Ende anhalten soll. Es wird bitterer – wenn man die Brücke zum Meer schlagen möchte – algiger, herber und vielleicht salziger, ohne dabei auch nur ein bisschen zu strahlen. Ich denke dabei an stehendes Gewässer. Sea Angel hat keinen Drive, keine Spitze, keine Bewegung. Es muffelt wie ein gut parfümiertes T-Shirt, das sich in die hinterste Ecke meines Schrankes verkrochen hat und dort jahrelang lag, ohne gewaschen zu werden. Der leicht würzige, hell-holzige Schlussakkord ist vielleicht noch das angenehmste an Sea Angel, aber trotzdem noch so unangenehm in meiner Nase, dass ich es einfach nicht riechen möchte.

Outing: Manchmal traue ich meinen eigenen Sinnen nicht so recht und frage zwei nette Arbeitskolleginnen nach ihrer Meinung. Sie freuen sich immer, neue Düfte mit mir zu testen. Kandidatin 1, die liebe D.. bekommt einen Sprüher auf ihren Unterarm. Und hält es noch nicht einmal 10 Minuten aus, bevor sie im Bad verschwindet, um den Duft abzuwaschen. Kandidatin 2, die taffe und immer ehrliche R., bittet mich nach 30 Minuten, die erste Probe, die ich auf ein Papier gesprüht und den Schreibtisch gelegt habe, doch bitte zu entsorgen. Weit weg – der ganze Raum würde danach "stinken". Okay, das ist mal ne klare Ansage...

Ich erkenne an, dass Sea Angel hochwertig ist. Ein Verlauf ist deutlich zu riechen und die Haltbarkeit plus Sillage vielleicht das stärkste, was mir jemals unter die Nase gekommen ist. Allein der Duft, sein Thema und seine Philosophie erschließen sich mir überhaupt nicht. Ich habe ein bisschen recherchiert: Parfümeur Angelo Orazio Pregoni wollte einen Meeresduft schaffen, der genau nicht für das "Klischee" des hellen, reinen und schönen Meeres steht. Anders sein und "gegen den Strom schwimmen" ist ja auch prinzipiell eine gute Sache. Einen Anti-Duft dieses Ausmaßes zu schaffen dann eher weniger. Am Anfang fühlte ich mich mit Sea Angel zumindest noch überfordert. Mittlerweile aber desillusioniert und ja, auch ein wenig angewidert. Oder um es mit R. Worten zu sagen: Das kann weg!

PS: Mein erster richtiger Kommentar bei Parfumo und dann gleich so ein Verriss... Ich bin eigentlich ein ganz lieber und grundsätzlich positiver eingestellter Mensch. Ehrlich!
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