Palonera
22.05.2014 - 17:31 Uhr
20
Top Rezension
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
7
Duft

grauer Himmel, rauhe See

Die unterschiedlichsten Reisen hatten wir schon miteinander unternommen, Ellen Covey und ich.
In die Berge hatte sie mich geführt und auf die Bühne, durch Getreidefelder und Regenwälder, hatte mich die Sterne sehen lassen und ihr ganz persönliches Salamanca – und nun wollte sie mir allem Anschein nach auch noch das Meer zeigen.
Nicht das türkisblaue mit den weißen Schaumkronen jedoch, die sacht an puderzuckrige Strände schwappen, nicht den salzigen Wind, der über schroffe Klippen fährt, auch nicht die elegante schneeweiße Yacht auf hoher See – derlei Klischees darf man von Ellen Covey nicht erwarten, so schön sie auch sein mögen.
Ein wenig rauher geht es in ihren Düften zu, ein wenig naturbelassener, eigensinniger und nicht selten auch spröder.
Daß sie damit nicht jedermanns Geschmack trifft und mitunter sogar kräftig aneckt, nimmt sie in Kauf – doch auch wenn mir dieser Charakterzug ungemein sympathisch ist, begab ich mich insbesondere nach Ergoproxys Kommentar mit recht gemischten Gefühlen in den Test.

Herb, graugrünbraun und sehr streng eröffnet "Kingston Ferry" und macht damit bereits in den allerersten Sekunden klar, daß ich mich gar nicht erst auf eine gemächliche Kreuzfahrt einzustellen brauche.
Grauer Himmel und wilde See, Gummistiefel und Friesennerz kommen mir in den Sinn.
Rasch wird es dunkel, feuchtholzig-würzige Nuancen tragen den Duft des noch nicht weit entfernten, koniferenbestandenen Festlands herüber, vermischen sich mit dem Geruch von Rauch, Maschinenöl, heißem Gummi und einer Spur von Teer.
Überraschend echt wirkt das – ich fühle mich um Jahre zurückkatapultiert und auf die Decks von Fähren nach Schweden, nach England gestellt, mitten hinein in die scharfen Gerüche der riesigen Schiffe.
Heißes Metall irgendwo tief unter meinen Füßen, schwarze Rußpartikel in der Luft - im Windschatten neben mir dreht sich ein Mann eine Zigarette, würzigwarmes Tabakaroma zieht goldbraune Fäden durch das dunkelgraue Konglomerat harter, düsterer, schwerarbeitender Geruchsnuancen.
Für Augenblicke fühle ich mich auch nach "Salamanca" versetzt, rieche den dunklen, heißen, weichen Teer – doch "Kingston Ferry" wirkt weniger harsch, weniger resolut in seiner Düsternis, das verhindern anhaltend ätherische Obertöne und die auch hier präsente, jedoch weniger würzige Coveyade.

"Kingston Ferry" ist ein bemerkenswerter Duft – sehr authentisch, sehr kraftvoll, sehr maskulin.
Ich kann ihn mir sehr gut an großen, breitschultrigen, knackbepoten, dunkelhaarigen Zupack-Kerlen vorstellen, wortkarg und von scheinbar unerschöpflicher Energie – und vielleicht war es genau dieses Bild von einem Mann, das Ellen Covey zu diesem Duft inspiriert hat.
Wer weiß...?
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