Itineris 2016

Scentimeter
02.09.2022 - 06:16 Uhr
1
6
Preis
10
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
7.5
Duft

ein duftender Stummfilm von Gaunern, Kunstblumen und Galopprennpferden

Ein scharfer und nobler Duft steigt in meine Nase auf und in meinen Kopf, lässt dort eine Leinwand aufspannen, gebietet mit schneidender Stimme, am Projektor zu kurbeln beginnen. Es rattert, machinsch, gemahlener Pfeffer. Spannung + Vorhang, dann Vorspann. Was zu sehen ist:

(den Flakon habe ich zwar selber nicht, aber wie es so mit der Vorstellung ist – wie im Kino – es muss nicht alles haptisch vorhanden sein): Eine klare elegante Schrift auf einem weißen, um den Flakon laufenden Streifen, die wie ein Vorspann zu einem alten Film aufscheint. Fast erwarte ich, Eadweard Muybridges Rennpferd über den Streifen galoppieren zu sehen. Seriell und immer in Bewegung. ITINERIS: der Titel bedeutet – heimlich schaue ich bevor der Film beginnt nach – "Reise". Reise kann heißen, weg aber wohin? Seriell, und immer in Bewegung. Heißt es, Reise durch die Filmgeschichte? In meiner Interpretation findet diese Reise nur mit großen Hutschachteln und einem monochromatischen Kofferset statt. Aber zurück zum Flakon. Der dunkle, runde und geäderte Deckel (wie ein Zylinder auf dem Flakon) ist schlicht und schön – so stelle ich mir den Boden der riesigen Marmorhalle vor, die eine Gaunerfigur in der ersten stummen Sequenz in meinem Kopf jetzt durchquert. Das Schreiten wird plötzlich durch einen Eindruck gestört: Riecht es nach Chlor?
Unsicher schnüffelt die Hauptfigur, kräuselt die Stirn in der Großaufnahme, und fährt unbeirrt fort.

Leise nur von dem kurbeln der Projektoren begleitet und in einem Tempo, das gerafft ist wie Damenröcke beim Spung über ein Hindernis (sei es ein Bächlein oder die Leiche eines tyrannischen Ehemanns) fällt der Blick der Kamera, auf dem fließenden Stoff, auf die glizernde Hand einer Dame. In dieser Einstellung sehen wir edle Juwelen an Ringen, die weich gecremte Finger umfassen. Ihre geschliffene Form reflektiert das Licht, wirft es in Farben gebrochen zurück – in kapriziösen Scherben – und blendet mich im dunklen Kinosaal.

Der Seidenhandschuh stielt sich ins Bild, ergaunert, von klandestiner Diebeshand geführt, im Vorbeigehen einen Blumenstrauß. Ein Kunstgriff, künstlich? Sind die Blumen echt? Nicht? So ein Pech. Immerhin haben die Kunstrosen keine Dornen, die die kostbaren Handschuhe hätten perforieren können. Vorwärts: der Gang nicht gerade lässig, aber geschmeidig. Die falschen Blumen verschwinden unbemerkt unter dem dunklen Jackett. Die ersten Minuten sind so spannungsreich und scharf getaktet, dass ich fast nicht hinsehen mag. Dabei ist es doch so schön, was zu sehen ist:

Die Pomade im Haar und das Bouquet zurechtgelegt, beugt sich und küsst die juwelenbestückte Hand. Das skeptische Gesicht der reichen Dame, ihre schroffe, zusammengekniffene Mine, weicht einem wattigen Ausdruck: Moschusvernebeltem, vanillig verzückten Sandelblick. Amber und Psyche, oder was war das noch? Die weicher werdenen, stummen Blicke, die klimpernden Wimpern und die ratternde Linse singen mich in einen leiernden Schlummer, legen sich wie ein seidiger Schleier auf mir ab.

Den Rest vom Film habe ich nicht mitgekriegt. Bin eingenickt. Der Fortgang wird also hier nicht mehr aufgedeckt. Und mein Eindruck vom Stück? Ich weiß nicht recht. Das Schauspiel war ein bisschen aufgesetzt, aber irgendwie hat es mich trotzdem in seinen Bann genommen. Auch wenn der Stummfilm nur kurz dauert, hängen die Bilder noch lange nach.
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