Signature

Evernia 2021

YoungTallula
22.08.2023 - 10:54 Uhr
6
7
Preis
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft

Erwachsener Immergeher

Die Art, wie dieser Duft und ich zusammengefunden haben, ist schon ein bisschen famos. Dabei heißt „Evernia“ doch Eichenmoos ... na ja, wie dem auch sei.

Es war in einer kleinen aber feinen Parfümerie in Berlin genau vor einem Jahr, wo ich eigentlich die Seidenstraßen-Kollektion von Ormonde Jayne auskundschaften wollte. Der etwas ulkige, aber sehr nette Verkäufer zeigte mir alles, ließ es sich aber auch nicht nehmen mir direkt was zu empfehlen. So nach dem Motto: „Wenn ich dich so ansehe, könnte doch vielleicht der zu dir passen!“ Er griff zielsicher zu Evernia. Ich war nicht überzeugt. Zu maskulin, zu viel Kardamom, irgendwas erinnerte mich da an die 90er. Ich suchte was anderes.

Ich vertiefte mich dann in den folgenden Monaten erst mal in meine Erkundungen in alle möglichen Richtungen: cremig-vanillig, orientalisch-würzig, schwer und schwülstig, also alles, was mir früher nie gefallen hatte. Fiebrig schnüffelte ich mich durch neue Welten und fand auch so einige neue Lieblinge. (Und ich meinte auch immer wieder Duftnoten herauszufiltern, die ich gar nicht mochte, z.B. Guajakholz, oder auch: Kardamom und Eichenmoos.)

Doch vor einigen Wochen schlich es sich plötzlich unerklärlich an, so eine unbestimmte Sehnsucht … vielleicht nach einem bestimmten Parfüm, vielleicht nach einer bestimmten Note. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich bekam plötzlich eine Art Kardamom-Jeeper. Evernia schlich sich wieder in meine Gedanken, wie die hellgrüne Flechte des Eichenmooses, die sich langsam an der Baumrinde entfaltet. Da ich die großzügige Kulanz des netten Verkäufers in der kleinen Parfümerie nicht noch weiter strapazieren wollte (er hatte mir damals mehrere Pröbchen kostenlos mitgegeben), bestellte ich eine Abfüllung bei Essenza Nobile. Und Bääämm! Jetzt war ich infiziert. Großartiger Duft! Würzig, süß, frisch, besonders, ja unisex, aber auf einmal störte mich das gar nicht mehr.

Ich nehme aber vor allem auch den Kardamom wahr, muss ich sagen. Das, was ich in anderen Parfüms als Eichenmoos ausgemacht zu haben glaubte, rieche ich im Evernia gar nicht. Sonst war es mir immer leicht muffig oder wie ein billiges Duschgel oder Shampoo vorgekommen. Auch die sonstigen Noten sind eigentlich nicht so ganz meine Richtung … Irisbutter, Veilchen … aber so ist es ja oft. Eigentlich sagen die einzelnen Noten gar nichts aus, die Gesamtkomposition zählt.

Ich denke immer noch, dass Evernia ein bisschen wie die 90er Jahre riecht, aber „in the best possible way“, wie man so schön sagt. Ich mit meiner trockenen Haut muss ordentlich sprühen, aber dann bleibt mir die würzig-süß-frische Wolke mindestens 6 Stunden erhalten. Er ist cool, er ist erwachsen, er wirkt selbstbewusst und doch nahbar, immer zwischen herb-würzig und süßlich frisch changierend. Ich denke, dass er jahreszeitlich ein Immergeher sein könnte (habe ihn aber an kalten Tagen noch nicht getestet). Er macht sich sicherlich auch gut als Signature Scent und Männern steht er bestimmt mindestens genauso gut wie Frauen und allen dazwischen. Und er erscheint mir auch recht alterslos. Vielleicht jetzt nichts für Teenies, aber ansonsten passt diese dezente frische Würzigkeit überall hin.

Der Verkäufer lachte, als ich fast exakt ein Jahr später in seinen kleinen Laden trat und nach dem Evernia verlangte. Wie das halt manchmal so ist. Ich glaub, er war auch ein bisschen stolz so treffsicher empfohlen zu haben. Bevor ich hinausging rief er: „Warte, ich will dich noch mit dem Evernia einsprühen!“ Und so ließ ich mich bereitwillig einnebeln und ging grandios beduftet in den Nachmittag.
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