Yes, Please 2021

Profumo
21.11.2023 - 09:52 Uhr
21
Top Rezension
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft

Ja, bitte, gerne mehr davon!

Immer wieder gibt es sie, diese Phasen, da ich regelrecht Duft-müde bin, mein Interesse an den unzähligen Neuerscheinungen erlahmt, und meine Aufmerksamkeit sich glücklicherweise wieder anderen Dingen widmen kann, die mir mindestens ebenso am Herzen liegen.
Zuverlässig aber, über kurz oder lang, kommt dann doch wieder ein Vertreter seiner Zunft um die Ecke, mich aus der olfaktorischen Lethargie zu reißen und daran zu erinnern, wie aufregend und spannend die Duftwelt doch sein kann, und wie schön es ist, für sie noch „brennen“ zu können.

Notwendigerweise muss aber keine Neu-Entdeckung dafür verantwortlich sein: es kann mich auch ein schon längst erschnupperter Duft entflammen, der mir zunächst womöglich gar nicht weiter auffiel, oder ein anderer aus der Reihe seiner Mitstreiter stahl ihm die Show, oder ich war einfach noch nicht bereit für ihn, musste erst einen Umweg über Duft X und Duft Y gehen, oder es war schlicht der Zufall, der mir die Probe erneut in die Hände spielte – manchmal braucht’s ja ein paar Begegnungen, bis es Klick macht!

Vor zwei Jahren fand ich „Yes, Please“ jedenfalls ganz nett, aber offenbar nicht nett genug, dass er mich, neudeutsch gesagt, ‚abholte’.
Damals bekam ich ein ganzes Probenset von Ömers neuer Duftserie, die ich im Großen und Ganzen zwar ziemlich herausfordernd fand, aber nicht uninteressant. Wie auch: Ömer İpekçi kann gar keine uninteressanten Düfte machen, zumindest kenne ich keine! So richtig vom Hocker gehauen hat mich trotzdem keiner.
Zunächst.

Das Probenset zog weiter, aber doch hatte ich „Flesh“ einige Monate später erneut unter der Nase und war begeistert, restlos. Wieder einige Monate später war es diesmal „Yes, Please“, und ich dachte: Wow!, was für ein toller Duft! Wie konnte ich ihn vorher so übersehen haben?!

Ich fürchte, die ganze Reihe – der Parfümeur nennt sie seine „Reset Collection“ – neigt dazu übersehen zu werden, denn im Gegensatz zu seinen vorangegangen Werken, sind die neuen sicherlich sperriger, disharmonischer, weniger ‚catchy’.
Mögen sie Ömers künstlerische Potenz auch noch deutlicher offenbaren als seine ersten Werke, sind sie halt doch weniger Puccini, als vielmehr Schönberg, will sagen: weniger eingängig, und ja, auch weniger trivial. Nicht, dass seine Erstlinge trivial gewesen wären, nein (auch Puccini ist nicht trivial, jedenfalls meistens), aber die ein oder andere olfaktorische Arie war doch schneller und leichter dechiffrierbar: so intonieren Rose und Amber beispielsweise den allzu vertrauten Orient-Sound; Patchouli, Zistrose und wurzeliges Vetiver das dunkle Erden-Thema; Ambra, Mastix, Lavendel und ein Kräuter-Chor besingen wiederum die mediterranen Küstenlinien. Alles irgendwie bekannt und verortbar, immerhin aber eigenwillig und charakterstark genug, eine eigen Handschrift erkennbar werden zu lassen.

Aber „Yes, Please“, „Purpl“, „Flesh“ und „Blacklight“?
Gut, „Blacklight“ erschließt sich noch halbwegs zügig: der Duft ist kühl, zwischen grellen Aldehyden und tiefschwarz-ledrigem Rauch changierend gibt er duftgewordenes Schwarzlicht recht plausibel wieder. Und „Flesh“? Nun ja, der Moschuspuder, Iris und Ambrette: das bekannte Peau-Thema, aber wozu um Himmels Willen der Eimer Wandfarbe? „Purpl“ schließlich mit Vinyl, Schweiß und Erdbeeren – what the f*ck?! Und nun dieser Shake aus Cognac, Birne und Grapefruit, garniert mit gepfefferter Rose und umweht von undefinierbarem Stink, der mich beinahe würgen lässt.
Von wegen „Yes, Please“ – „No, Thanks“!!!

Was ist das?
Meist verbergen sich animalische Beimischungen ja eher zwischen den Basisnoten: hier ein bisschen fäkales Zibet, dort eine Spur ledriges Bibergeil, ein Hauch dreckig-geiler Moschus womöglich. Aber das hier riecht nicht nach Tier und fällt quasi mit der Tür ins Haus, einfach so, ‚in your face’, patsch!

Tja, keine Ahnung. Die wenigen auffindbaren Kommentare zu diesem Duft stochern eher im Nebel. Der Szechuanpfeffer? Die Kombination von Grapefruit, Birne und Cognac? Oder doch eine fiese Moschus-Verbindung?
Jedenfalls müft’s.
Irgendwie aber nicht unangenehm.
Von Test zu Test – dieses bizarre Intro fesselt mich zusehends – beginnen die gesträubten Nasenhaare sich tatsächlich langsam zu entspannen, und nach einer Weile, empfinde ich diese Störnote, diesen Party-Crasher eines ansonsten recht harmonisch rosig-fruchtigen Miteinanders, plötzlich sogar attraktiv!
Selten hat mich das erneute, mehrfache Testen eines Duftes derart eines Besseren belehrt. Ja, ich muss sogar sagen, dass es mir das wahre Wesen dieses Werkes erst nach und nach gelehrt hat. Womit ich wieder bei Schönberg wäre, der sich ebenfalls nicht sofort erschließt, in den man immer wieder tief hineinhören muss, wie man hier auch seinem ersten Eindruck nicht trauen, sondern immer wieder tief hineinriechen sollte.

Heute empfinde ich diese Störnote überhaupt nicht mehr störend, ganz im Gegenteil – sie würde mir fehlen, wäre sie plötzlich nicht mehr da. Ja, sie muss da sein, es braucht sie. Womöglich wäre der Duft ohne sie einfach zu harmlos. Jedenfalls gewinnt er mit ihr nicht nur Spannung, sondern auch Delikatesse, einen unerwartet attraktiven Reiz, der mich auf die Frage: mehr davon?, augenblicklich antworten ließe: yes, please!

Später morpht dieser disharmonische Start-Akkord zusehends in einen versöhnlichen, die Sinne schmeichelnden Mehrklang aus fruchtigen Akzenten, in schöner Balance zwischen süß und sauer gehalten, einer floralen Präsenz, ohne jede Blumenladen-Stickigkeit oder aasig-süßlicher Indolik, einer apart schnapsigen Anmutung, durchwölkt von feinen Weihrauchschlieren, dezent mit Vanille aromatisiert.
Ein fernes Echo des initialen ‚Gestankes’ aber bleibt bis zuletzt erhalten, schwächer werdend zwar, aber präsent genug um die Spannung zu bewahren und die Attraktivität zu erhalten.

Ömer empfiehlt übrigens:

„For your first time, I highly recommend putting on a sweet song and overspraying the fragrance. Even if you are normally a skeptical jerk.“

Me, a skeptical jerk?
No, definitely not.
Therefore, yes please, more of this!
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