Profumo
31.01.2024 - 10:56 Uhr
39
Top Rezension
10
Flakon
9
Haltbarkeit
10
Duft

Heiser geraucht



Roberto Greco strikes again!

‚Oeillers’, ‚Porter sa Peau’ und nun ‚Rauque’ – einer nicht nur schöner als der andere, sondern auch interessanter. Wem der Glaube an die Innovationsfähigkeit und Finesse der Parfümerie ob der anschwellenden Flut monoton krakeelender Aromachemikalien-Gebräue zu entschwinden droht, der möge hier schnuppern (auch Rubini, Pekji und einige andere böten sich an) – Heilung ist nicht nur möglich, sondern garantiert!

Dabei war ich in Sachen ‚Rauque’ zunächst ein bisschen skeptisch. Corticchiato und Flores-Roux, die für die beiden Vorgänger zeichneten, gehörten ohnehin zu meinen Lieblings-Parfümeuren, zu denen Sheldrake aber bisher nicht gehörte. Gut, seine Arbeit mit Serge Lutens ist sicher sehr ordentlich, aber sie liegt mir nicht. Zu dicht und zu ölig empfinde ich sie häufig, zwischen den einzelnen Facetten fehlt mir der Raum, die Luft. Die wiederum brachte zuverlässig Kollege Jacques Polge mit: aldehydige Fluffigkeit, exquisite, aber sparsame Details, klare Linien, anders ausgedrückt – Eleganz à la Chanel!
Sheldrakes Handschrift, jedenfalls seine Lutens’sche, fand ich hier nicht, aber auch keine andere.

Nun also ‚Rauque’, und ich muss sagen: Doch, da ist was Eigenes, etwas, das im eigenen Schaffen zu wurzeln scheint – in der duftgewordenen Haute Couture Chanels ebenso wie in der manchmal überladenen Orientalik Serge Lutens’. Diesen beiden Polen entzieht sich ‚Rauque’ jedoch ein gutes Stück, gewinnt ein eigenes Profil und findet zu einer Duftsprache, die ich eher unter den frühen Werken von Malle oder den alten Carons verorten würde, als in den genannten Häusern.

An einen Malle-Duft erinnert mich ‚Rauque’ besonders, an Ropions wunderbares ‚Une Fleur de Cassie’, dessen zentrale Note, die Kassiablüte, auch ‚Süße Akazie’ oder ‚Vachellia farnesiana’ genannt und zur Untergruppe der Mimosengewächse gehörend, ähnlich prominent in ‚Rauque’ aufblüht. Den nicht übermäßig süßen, leicht holzig, oder eher heu-artigen Duft der Akazie inszenieren die beiden Parfümeure jedoch auf deutlich verschieden Weise. Während Ropion das Bouquet mit Rose und Jasmin recht floral und mit untergründiger Indolik ausarbeitet und es letztlich auf einer feinpolierten Basis aus Sandelholz mit dezentem Vanille-Hauch ausklingen lässt, nimmt Sheldrake doch einige weiter Protagonisten mit ins Boot, sodass ‚Rauque’ zwar zunächst vom Aroma der Süßen Akazie dominiert wird, doch längst nicht so ausdauernd wie im Falle von ‚Une Fleur de Cassie’.
Recht bald gesellen sich nämlich die typischen feucht-grünen Aspekte des Veilchenblattes hinzu, gefolgt vom dunkel-blumigen Ton der Narzisse, deren Duftschleppe so gerne mit einem frivolen Stink daher segelt, hier aber zum Glück nicht allzu sehr Fahrt aufnimmt, sondern vielmehr den Übergang zu einer Basis einleitet, die den Duft peu à peau in eine völlig andere Richtung manövriert: weg vom floral-heuig grünen Geplänkel, hin zum sonoren, schier endlos vor sich hin summenden dunkel getönten Ambrarome, das den Duftverlauf alles in allem mindestens ebenso dominiert wie der initiale Akazien-Akkord.
Osmanthus, Myrrhe und Pilze haben zwar auch ihren Anteil am Duftgeschehen, bilden aber eher eine Art Background-Chor, dessen fruchtige, harzige und erdige Facetten auf dem sich entfaltenden Ambrarome-Fond zu tänzeln scheinen, bevor sie gänzlich darin untergehen.

Ambrarome - wow, was für ein Material!
So richtig darüber gestolpert bin ich noch nie, jedenfalls nicht bewusst. Ambermax, ja, das kannte ich, der sinnlich-warme Amberton auf Steroiden quasi, oder Ambrocenide, die beliebte vollsynthetische süßliche Holzigkeit in der junge Männer so gerne baden, von Ambroxan ganz abgesehen, dem Mega-Booster der modernen Parfümerie.
Aber Ambrarome?

Was ich rieche: balsamisch-harzigen Amber, und zwar nicht zu knapp, doch da ist noch was anderes, noch mehr. Animalisches lugt deutlich hervor, aber auch irgendwie die Idee von dunklem, aromatischem Tabak, rauchigem Tee, altem Holz, hin und wieder was Salziges – ein wahres Kaleidoskop!
Hätte ich mich nicht schon längst mit echter Grauer Ambra (Ambergris) beschäftigt, man hätte mir diese Basis als gelungenen Ersatz der ebenso mythischen wie raren Wal-Substanz verkaufen können. Aber nein, Ambrarome ist kein wirklicher Ersatz, eher eine Annäherung, eine Art Übersetzung ins Vordergründige, ja Voluminöse, wärmer, sinnlicher, animalischer als die Ur-Substanz, die vergleichsweise zurückhaltender, leiser und hintergründiger agiert. An die Raffinesse der echten Ambra kommt Ambrarome zwar nicht ran, dafür ist es präsenter und hat deutlich mehr Power: eine muskulöse Ambra im Amber-Mantel quasi.

Interessant auch, wie alt diese Duft-Base ist: 1926 entwickelte sie der junge Hubert Fraysse gemeinsam mit seinem Bruder Georges für das eigene Unternehmen Synarome als Ersatz für die sündhaft teure, in Qualität wie Quantität natürlichen Schwankungen unterliegenden Grauen Ambra. Ähnliche Motive führten schließlich zur Einführung weiterer Basen wie Muscarome, Animalis und Cuir HF, ebenfalls noch heute häufig verwendete Duft-Bausteine.
Zentraler Bestandteil von Ambrarome ist Labdanum, bzw. dessen extrahierter Ethylester, der dem Harz der Zistrose ledrige, rauchige und würzige Aspekte entlockt. Über weitere Bestandteile der Base schweigt sich Synarome zwar aus, aber Versuche der Gas-Chromatographie haben wohl Civettone nachweisen können, aber auch kleine Mengen an Indol und Skatol.
Tja, man riecht’s. Aber, das riecht gut, und wie!
Im Gegensatz zu Ambergris, dessen animalische Facette eher flirrend, kaum fassbar scheint, ist sie hier doch recht handfest, aber zahm. Kein Vergleich zu Animalis-Krachern wie ‚Kouros’, ‚Figment Man’ oder der ersten Version von Diors ‚Leather Oud’.

So sehr Ambrarome aber die Basis dominiert, eine feine Ledernote vermag sich dennoch zu behaupten. Ein Ledernote, die eher an die guten alte birkenholzteerigen Cuirs de Russie erinnert, als an moderne, cleane, safranwürzige Cuirs wie beispielsweise Barrois’ ‚B683’.

Überhaupt die Bezüge zu Düften ‚der guten alten Zeit’ – sie sind recht zahlreich. Dabei ist ‚Rauque’ doch weit entfernt ein bloßer Nostalgieduft zu sein. Vielmehr versteht er es geschickt eine Aura des Vergangenen ins Heute zu transponieren, mit bekannten Mitteln zwar, aber in neuer Tonalität. Ähnliches ist Martin Fuhs mit Grautons ‚Pour Homme’ gelungen, wobei ich ‚Rauque’ weniger dezidiert als ‚Pour Homme’ labeln und es auch nicht so eindeutig einer bestimmten Duftära zuordnen würde. Vielmehr segelt der Duft viel weiter in die Annalen zurück, mit Anleihen aus den 20er, 30er und 40er Jahren, nebst einem deutlichen Twist in Richtung 70er.

Ziemlich Retro ist passenderweise auch der Flakon in den perfekt mit dem Duft korrespondierenden Farben Kalamata-Oliven-Violett-Braun und Olivenöl-Grün. Schriftzug und Flaschendesign bedienen sich dabei gekonnt aus dem Fundus der 60er/frühen 70er Jahre, sowie des Art-Deco. Das hat Stil!

Stichwort ‚Stil’, wer könnte diesen Duft tragen? Zunächst einmal: jeder, bzw. jede, wo leben wir denn: nieder mit den Gender-Schranken! Aber besonders gut stünde er vielleicht einem Typ ‚Lauren Bacall’, oder einem Typ ‚Georgette Dee’ – keine aalglatten, eher charktervolle Schönheiten. Ja und unbedingt mit der obligatorischen Zigarette und der vor lauter Raucherei dazu gehörigen ‚voix rauque’, der heiseren Stimme, die so manchem erst das gewisse verrucht-erotische Je-ne-sais-quoi verleiht

Ach was, mir – obwohl ich nicht (mehr) rauche und diesem ‚Typ’ alles andere als entspreche – mir steht er natürlich am allerbesten!
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