Lily 2016 Eau de Parfum

Pinkdawn
10.06.2021 - 11:27 Uhr
16
Top Rezension
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Preis
7
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
5
Duft

Der Abendduft einer großen Diva

Die Freude ist groß. Eine liebe Parfuma hat mir zu den Düften, die ich bei ihr bestellt habe, u.a. eine Probe von Roja Perfums Lily beigelegt. Es ist das erste Mal, dass ich einen Duft von Roja teste. Wann komme ich schon zu Harrods? Dort residiert nämlich The Roja Dove Haute Parfumerie. Natürlich im sechsten Stockwerk. Dem Himmel so nah … Den verspricht der britische Parfumeur Roja Dove auch für seine Düfte. Sie sollen den Himmel fühlen lassen – Seide und Satin, Kristall und schwarzer Lack (?!) sein. Und sie sollen wie ein exotisches Boudoir duften. Schluck, denke ich. Dann sind sie wohl nicht für mich gemacht.

Aber ich klammere mich an den Namen: Lily … Meine Lieblingsblume. Sie ist nicht nur wunderschön, sondern hat einen der besten Düfte, die ich kenne.

Ich sprühe also. Gleich wird mich dieser zauberhaft kühle Lilienduft umfangen. Die Vorfreude steigt. Doch was ist das? Keine Lilie weit und breit. Ich erschnuppere nur etwas sehr Exotisch-Süßes, das ich sofort als „betörend“ identifiziere – und damit als No-Go für mich. Tatsächlich. Es ist als fielen Frangipani, Ylang-Ylang, Geranie, Tuberose und Tiare gleichzeitig über mich her. Jasmin en masse nicht zu vergessen! Gut, dass ich heute zu Hause bleibe, denke ich angesichts dieser leidenschaftlichen Tropenblütenorgie, die so gar nicht zu mir passt.

Komischerweise kreuzen in letzter Zeit immer wieder derart betörende Düfte meinen Weg. Angefangen mit Mukhallat von Montale, der eigentlich nach Erdbeeren duften sollte. Nun wiederholt sich dieses Spiel mit der nicht vorhandenen Lilie. Wie kann man ein Parfum Lily nennen, das nicht ein bisschen nach Lilie riecht – und auch keine Lilie in der Duftpyramide hat? Aber vielleicht hat Roja Dove den Duft einer Dame dieses Namens gewidmet und nicht der sakralen Blume? Jedenfalls sollten alle Lilienfans gewarnt sein: Hier steht zwar Lily drauf, ist aber nicht drinnen.

Ich schaue zur Sicherheit noch einmal nach, ob ich wirklich den „richtigen Duft“ erwischt hab. Ja, hab ich. Trotzdem keine Lilie. Schade!

Neben der allgegenwärtigen Frangipani finden sich noch allerlei opulente Noten wie Ylang-Ylang, Nelke, Moschus und Vanille sowie die von mir im Allgemeinen wenig geschätzten Gewürznoten. Mit einem Wort: Bäääh. Nichts für mich.

Ich bin froh, diesen Duft nicht gekauft zu haben. Denn er ist teuer. Für 50 ml muss man bereits € 450,- berappen. Oder man erwirbt gleich 100 ml um € 900,-. Mengenrabatt gibt’s bei dieser Luxusmarke selbstverständlich nicht. Noblesse oblige.

Aber man muss das positiv sehen: Hier komme ich zum Glück nicht in die Bredouille, ob ich mir diesen Duft leisten soll oder nicht.

Am Anfang hätten Zitrone und Bergamotte ihren erfrischenden Auftritt haben sollen. Doch auch sie treten bei mir nicht in Erscheinung. Es geht von Anfang an los mit sinnlich, exotisch, blumig und picksüß. Üppige hypnotische Weißblüher, mir zu penetrant und intensiv. Ich versuche, etwas an diesem Duft zu finden, dass seinen hohen Preis rechtfertigt. Wirkt er etwa besonders elegant, besonders kostbar, edel, außergewöhnlich, innovativ, perfekt? Nichts dergleichen. Mir beschert er kein Aha-Erlebnis. Ich merke: Ich bin nicht die Richtige, um Lily zu beurteilen, weil ich diese vordergründige exotische Überladenheit nun einmal nicht mag – nicht einmal als Raumduft oder Weichspüler. Schüttel!

Sicher gibt es Damen, die Lily mögen. Auch ohne die Lilie. Leider nehme ich ebenfalls nichts von den von mir geliebten Maiglöckchen wahr. Doch die würden im Tropenrausch sowieso untergehen.

Es tut mir leid für alle, die diesen Duft mögen, aber für mich hat er etwas Billiges, so teuer er ist. Es ist dieser typische, aufdringliche, hypnotische, sinnlich sein sollende Tropenblütenduft, den ich mir eigentlich nicht an einer eleganten Dame mit Niveau vorstellen kann. Aber das ist wie so oft freilich Geschmacksache. Vielleicht fühlen sich manche Damen damit wie Königinnen. Who knows? Not me …

Abgesehen davon, ob man nun für betörende Tropenblüten schwärmt oder nicht – der Duft hat für mich etwas Glattes, Vordergründiges, wenig Lebendiges und verändert sich nicht viel. Intellektuelle Herausforderung ist er keine. Nicht einmal ein Denkanstoß oder eine Inspiration.

Die Haltbarkeit ist stark. Es dauert lange, bis der Drydown in Nasenweite kommt. Wird Lily im Vergehen jene Lieblichkeit entwickeln, die ich mir von Anfang an gewünscht hätte? Leider nein. Selbst in dieser Endphase bleibt Lily opulent bis zum Abwinken. Ich würde sagen, der Duft ist für Frauen gemacht, die gern auffallen und im Mittelpunkt stehen. Der Abendduft einer Diva für große Auftritte: Gala, festliche Bälle, Oscarverleihung, Festspiele, Opernbesuche … Opernbesuche?! Oups! Ich hoffe, ich muss meinen nächsten Opernbesuch (ich mag Wagner …) nicht neben einer Dame verbringen, die gerade Lily trägt.
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