Mentha Religiosa 2016

Hektor
03.12.2017 - 14:08 Uhr
8
Flakon
7
Sillage
10
Haltbarkeit
8
Duft

Petitgrain und Minze, Iris und eine warme Basis ergeben einen außergewöhnlichen Duft - Niche par excellence!

Bei meinem letzten Aufenthalt in Hannover (Juni 2016) verbrachte ich ein wenig Qualitätsfreizeit in Gesellschaft einer sehr netten Dame, die als Angestellte in der sehr gut sortierten Parfümerie Liebe ihr Salär einstreicht. Ich hatte ein wenig Zeit zur Verfügung, kurze Hosen und Wanderstiefel an und wunderte mich daher besonders, wie leicht wir in ein sehr kurzweiliges Gespräch fanden, das der ladenüblich deutlich besser Gekleideten erstaunlicher Weise sichtlichen Spaß bereitete.

So schaffte sie mir in den folgenden guten zwei Stunden trotz meines Hinweises, ich sei nur ein einfacher Duftinteressierter ohne Kaufabsichten, allerlei mir unbekannte Exponate aus allen erdenklichen Winkeln des Geschäfts herbei und präsentierte mir Teststreifen auf Teststreifen, während ich ihr das Vergnügen bereitete, Vermutungen anzustellen, was in dem mir Hingestellten und -gelegten an Duftnoten zu entschlüsseln war. Umso erstaunlicher erscheint dies, da ich in dieser Übung nicht gerade ein Houdini bin. Ich ergänzte jedoch meine wenig erbaulichen, die fleißige und sympathische Duftanbieterin aber dennoch erheiternden Ratereien um Angaben zu Düften, die ich bereits kannte, mit Äußerungen wie "das riecht jetzt aber sehr ähnlich wie" oder "ist das vielleicht", um dieses Schauspiel noch ein wenig in die Länge zu ziehen. Am Ende schleppte sie auch Mentha Religiosa von Dear Rose herbei, "ganz neu und wirklich gut", hätten bislang nur Damendüfte gemacht, aber dieser hier sei auch für den Herrn.

Und damit wären wir bei der Begebenheit, infolgedessen ich auf einen Duft aufmerksam wurde, den bis letzte Woche lediglich eine Parfuma und nun auch ein Parfumo in ihrer Sammlung haben (Stand heute). Die Kommentare und Statements lassen wahrlich kein gutes Haar am Werk von Chantal und Alexandra Roos. Dies steht im Kontrast zur guten Bewertung (7,8 bei 17 Bewertungen), weswegen es mir ein Anliegen ist, die guten Zahlen auch mit einem entsprechenden Kommentar zu untermauern.

Schnüffelt man nur am Sprühkopf, riecht man hauptsächlich weihrauchversetztes Petitgrain mit einer Ahnung von Minze. Kauft man Düfte wie anno dazumal, indem man also wie als junger Duft-Spund lediglich die Regale abklappert und an den Sprühköpfen schnuppert, bevor man kauft, würde man hier wohl eher nicht die Geldbörse zücken. Auch der Teststreifen offenbart nicht die gesamte Bandbreite dieses Kunstwerks, das geschieht erst auf der Haut.

Nach dem Aufsprühen verstärkt sich der Eindruck, den man schon am Sprühkopf ermittelt hat. Nur zieht sich hier der Weihrauch zuguntsen der dafür umso stärker hervortretenden Minze zurück, was ich sehr interessant finde, da man Minz-Düfte eher selten vor der Nase hat. In Kombination mit dem ätherischen Öl der Bitterorange ergibt sich eine gefällige Mischung, die durch Bergamotte-Aroma stimmig ergänzt wird.

Dass Bergamotte, Petitgrain und Minze keinen (eigentlich zu erwartenden) erfrischenden Auftakt erzeugen, liegt wohl am Weihrauch, den ich zwar nicht explizit herausriechen kann, der aber der Kopfnote die Frische nimmt und ihr dafür mehr Wärme verleiht. In dieser Phase verweilt der Duft eine gute halbe Stunde, in der sich deutlich wahrnehmbar die Iris in den Vordergrund drängt.

Bei kaum einem Duft vorher ist es mir passiert, dass ich so deutlich einzelne Phasen der Pyramide voneinander unterscheiden konnte. Das liegt daran, dass der Duft der Iris in diesem Stadium sehr deutlich zu erkennen ist und sich markant von der petitgraindominierten Kopfnote absetzt. Die Minze begleitet die ganze Pyramide im Hintergrund, gibt also auch der Herznote einen Hauch Frische, während der immer noch wahrnehmbare, jedoch immer noch äußerst hintergründig agierende Weihrauch den pudrigen Anstrich der Iris gelungen ergänzt.

Die Basis erreichen wir nach langen Stunden, in denen sich der Irisduft immer mehr zurückzieht, bevor eine würzig-hölzerne Basis erreicht wird, in der zuvorderst patchouliversetztes Zedernholz führend ist. Erst am Ende dieser sehr schönen, abwechslungsreichen und nachgeradezu "grandiroosen" Duftreise ist zunehmend Moschus zu erkennen. Weich und sanft verströmt er sein Aroma und sorgt für Wärme und Geborgenheit, bis der Duft nach mehr als zehn bis zwölf Stunden sein Leben aushaucht.

Alles in allem also ein Paradebeispiel für die Möglichkeiten, die das Dufthandwerk bietet, wenn man sich Mühe gibt und sein Handwerk beherrscht. Und das beweisen Mutter und Tocher Roos hiermit im Besonderen.
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