Nuvolari 2021

Profumo
06.10.2021 - 08:29 Uhr
31
Top Rezension
9
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft

Nürburgring, 28. Juli 1935...

Diese Kombination von Benzin- und Oudnoten habe ich schon mal gerochen.
Kurz nachdem ich ‚Nuvolari’ zum ersten Mal aufgesprüht hatte wusste ich auch wo: bei Kilian’s ‚Pure Oud’. Leider habe ich die Probe des Kilian-Duftes nicht mehr (wäre vermutlich ohnehin zu alt), sodass ein Direktvergleich nicht mehr möglich ist, aber ich erinnere mich, dass er in meiner Phantasie ein ähnliches Bild erzeugte. Damals sah ich Sean Connery als ölverschmierten Mechaniker mit einem Whisky in der Hand.
Nun, im Falle von ‚Nuvolari’ lasse ich den Whisky mal weg, und es muss auch nicht mehr zwingend Sean Connery sein, aber die ölverschmierte Kluft eines Automechanikers kommt schon hin.
Oder sagen wir eher: das Setting während eines Boxenstopps, wenn wuselnde Mechaniker in Windeseile die Reifen eines heiß gelaufenen Rennwagens wechseln.
Nicht dass ich einen solchen schon in echt erlebt hätte, nein, aber eine Vorstellung von dieser speziellen geruchlichen Situation vermag mir der Duft glaubhaft zu vermitteln: Öl- und Benzindämpfe, glühend heißes Metall, schmorender Gummi, und anno 1935 (das Jahr, in dem der „Fliegende Mantuaner“, Tazio Nuvolari, den ‚Großen Preis von Deutschland’ auf dem Nürburgring gewann) vermutlich auch noch schweißfeuchtes Leder.

Eigentlich interessieren mich Autorennen nicht die Bohne, ganz im Gegenteil: ich wüsste kaum eine Sportart, die ich blöder fände. Als leidenschaftlicher Fahrrad- und bei Bedarf Zugfahrer, der aus Überzeugung nie einen Führerschein gemacht hat, bringe ich sowas von überhaupt kein Verständnis für dieses Boliden-Gerase und Geröhre auf, dass ich einen Duft, der sich diesem Unsinn olfaktorisch zu nähern versucht eigentlich ebenso missachten sollte.
Aber weit gefehlt, ich kann es nicht: ‚Nuvolari’ riecht einfach zu gut!

Allein dieser Auftakt! Dieses voluminös-dunkle Aufblühen ledriger, öliger, rauchiger und dezent animalischer Facetten, durchzogen von frischen, pfeffrig-aromatischen Schlieren – das ist schlicht umwerfend und erinnerte mich irgendwie an den Moment, als ich zum ersten Mal ‚Tabac Blond’ von Caron roch. Dabei sind die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Düften überschaubar. Aber es ist diese Aura die ich hier wiederfinde, dieser ledrig-rauchige Triumph, dieses satte Volumen.

Cristiano Canali ist einfach ein Magier.
Abgesehen von Antonio Gardonis Kreationen, sind es seine, die ich seit langem am ungeduldigsten erwarte.
Als ich dann vor kurzem in einer auf der letzten Pitti Fragranze gedrehten Filmsequenz sah, dass das kleine aus Mantua stammende Duftlabel Rubini nach Jahren wieder einen neuen Duft lanciert hat, und dieser wie zuvor die beiden anderen aus der Feder von Canali stammt, gab´s kein Zögern mehr – er musste her, einfach so und ungetestet, denn enttäuschen kann Canali mich nicht, ebenso wenig Gardoni.
Und er tat es auch nicht.

‚Nuvolari’ mag vielleicht nicht so innovativ sein wie ‚Fundamental’, nicht so gewagt und polarisierend wie ‚Tambour Sacré’, aber der Duft ist auf dem gleichen hohen künstlerischen Niveau. Gut, in Sachen Leder, Rauch und Oud sind wir in den letzten Jahren wahrlich ausreichend versorgt worden, aber die Kombination mit metallischen Noten, mit Benzin, Maschinenöl und Teer ist schon eigenwillig. Ähnlich eigenwillig wie beispielsweise ‚Type Writer’ von Parfumerie Particulière, an den mich ‚Nuvolari’ ebenso erinnert, nur dass der Rubini-Duft immer ein Parfum bleibt, während es ‚Type Writer’ erst in der Basis wird. Vorher ist er für mich eigentlich ein nur bedingt tragbarer Industrie-Geruch.
Auch an Montales ‚Aoud Cuir d’Arabie’ erinnert ‚Nuvolari’ entfernt, allerdings allein die Inszenierung des Oud betreffend, das hier ähnlich rauchig-ledrig duftet, zum Glück aber nur subkutan animalisch pulsiert, während es mir bei Montale regelrecht in die Magengrube schlägt.
Canali vermag es zwar halbwegs zu zähmen, lässt es aber dennoch von der Leine. Und so bildet es einerseits den Dreh- und Angelpunkt des olfaktorischen Geschehens, drängt sich aber glücklicherweise nicht über Gebühr in den Vordergrund, reiht sich ein, lässt auch andere glänzen. Die Inspiration zu diesem Duft betreffend – die Rennfahrerlegende Tazio Nuvolari und sein Triumph auf dem Nürburgring, mit einem Alfa Romeo, der den deutschen Silberpfeilen eigentlich hoffnungslos unterlegen war – in diesem Kontext findet die komplexe Geruchspalette des Räucherholzes ein wirklich überzeugendes Umfeld.

Wie eine Spinne im Netz verortet Canali das Oud in seiner Formel, lässt dem Netz aber nicht weniger Bedeutung zukommen. Oder anders gesagt: das Oud steht gewissermaßen für den Motor des Alfa Romeo. Doch da ist ebenso das Metall der Chassis, das Leder der Sitze, die Gummireifen auf dem Asphalt, der schneidend scharfe Fahrtwind – all das ist ‚Nuvolari’.
Dem Parfümeur sei Dank, bleibt das passenderweise auch ‚Extrait de Course’ genannte Werk bei dieser Erzählung, und biegt in der Basis nicht in Richtung einer versöhnlich stimmenden balsamisch-soften, süß-orientalischen Melange ab. Nein, auch wenn hier ein weiterer Angstgegner meinerseits (neben dem Oud) auftaucht, muss ich zugeben, auch der hat hier nicht minder seine Daseinsberechtigung: Ambroxan.

Übernimmt das Oud den Part des Motors, kommt dem Ambroxan die Aufgabe des Schmieröls zu: es hält den Laden am laufen, lässt die Energien fließen und emulgiert die widerstrebenden Bestandteile. Dass ledrig-rauchige Nuancen und Ambroxan wunderbar kombinierbar sind, konnte ich kürzlich schon bei Piguets ‚Bandit Suprême’ erleben, und nun also hier. Der Ambra-Ersatz aus dem Labor lässt die Noten tatsächlich erblühen, nimmt ihnen das übermäßig Harsche, Kantige, ohne es völlig zu verwischen. Auch stört mich hier die so typische, leicht synthetische Süße dieses Moleküls, die ich sonst immer unangenehm finde, überhaupt nicht. Nein, das ist irgendwie schon alles richtig so, das soll so sein!

Apropos typisch:
Typisch für das Rubini-Design sind ja auch die beiden schablonenartigen Schalen, die den Flakon zwar schützen, aber nicht völlig umschließen. Sind sie bei Fundamental aus einem hellen Gips-ähnlichen Material, bei ‚Tambour Sacré’ aus dunklem Holz, wurde für ‚Nuvolari’ eine anthrazitfarbene Asphaltschale gewählt, zusammengehalten von einem breiten, an einen Keilriemen erinnerndes Gummiband. Auch hier also, alles wunderbar stringent durchdacht, ausgearbeitet und überzeugend umgesetzt.

In seiner Antwort-Mail schrieb mir der Inhaber von Rubini, Andrea Rubini:

„Since 2015, Rubini channels my passion with a daring vision for high perfumery and genuine research with no fears for new paths, working only with the best raw materials and without time pressures.
My friend, the perfumer Cristiano Canali, is helping me to realize the dream.“

Ich finde, diesen Anspruch setzen die beiden absolut überzeugend um.

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