Vitrum 2012

Torfdoen
25.11.2019 - 04:31 Uhr
27
Top Rezension
9
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft

Teetrinken mit dem Lederkoloss oder was der Hulk mit einer Rose macht

Zärtlich brüllt er mir ins Ohr. Meine Einladung habe ihn sehr gefreut. Durch das Loch in der Wand, sehe ich meine Nachbarn ungläubig zu uns rüberstarren. Der Putz bröckelt noch etwas von den Rändern. Das blitzblank geputzte Teeservice, hat er eben erst seinem monströsen Kehlsack entnommen. Schwarzer Dampf verbreitet sich im Zimmer. Ist es der Tee oder qualmt es aus dem Kopf des riesenhaften Ungeheuers?

„Wie sind wir uns nochmal begegnet?“

„Hab deine Adresse vom M3000, der meinte, ich sollte dich besuchen. Du magst Assam?“

„Der Tee? Oh ja, sehr gerne. Leider sehe ich vor lauter Rauch meine Teetasse nicht mehr.“

„Hier, bitte sehr. Etwas Jod?“

„Nein, dan...“

Ein furchtbarer Zornesschrei bläst mir die wenigen verbliebenen Haare glatt. Aus seinen Nüstern platscht ein großer Schwall schwarzes Sekret in meine Tasse.

„Danke.“

Er kreist mit einem seiner speckigen Finger in der mikroskopisch klein erscheinenden Teetasse und schaut gedankenlos ins Leere. Ein überwältigendes Raucharoma geht jetzt von der Flüssigkeit und dem Unbekannten aus. Der Ausdruck stumpfsinniger Gelassenheit im Gesicht dieser riesenhaften Kreatur, wie sie so auf dem Sofa sitzt und rührt, könnte nicht unpassender erscheinen, denke ich.

„Assam, sagtest du?“

Ein langgedehnter Seufzer der Bejahung folgt meiner Frage.

„Darf ich mal?“

In der Teekanne entdecke ich Gräser- und Kräutergebinde, schwarzes Wurzelwerk und Erdklumpen in brodelndem Sud. Auch sprießen die ersten grünen Büschel auf der Hautoberfläche des lethargisch dreinblickenden, gar nicht mehr so furchteinflößenden Monsters.

„Hier, hör mal. Deine Haut, die ist doch aus richtig stark gegerbtem Leder. Aber jetzt kommt da dieses ganze ätherische Grünzeug raus. Ist das normal oder soll ich die Heckenschere holen?“

„Das ist in Ordnung, du wirst noch weitere Veränderungen wahrnehmen.“

„Du redest auch auf einmal so geschwollen. Der Tee schmeckt übrigens ausgezeichnet. Assam, wie er schwärzer und krautiger nicht sein kann. Wo gibt’s den zu kaufen?“

Die Jodnote war nicht meins, gehört aber irgendwie zur speckigen Cremigkeit des Räuchersuds dazu, denke ich mir.
Zu meinem Erstaunen war der erdfarbene, dunkle Riese auf meinem Sofa zu einem adretten Schönling in Lederjacke, mit wildem Haar und prächtigem, grünem Rauschebart mutiert.

„Auf meinen weiten Reisen treffe ich auf einige der bekanntesten Hersteller von Luxusprodukten weltweit. Mich würde es wundern, wenn du das Geld übrig hättest für derlei erlesene Kostbarkeit, sehe ich mich so um in dieser an Gewöhnlichkeit kaum zu überbietenden Behausung.“

„Na, mach mal halblang. Ich habe ein paar sehr schöne, selbst gehäkelte Topflappen.“

„Ich habe keine Zeit für solcherlei Dinge.“

Die temperamentvolle Gestalt war mit einem Satz auf das Sofa gehüpft und posierte mit hervorgereckter Brust. „In mir erwacht die Manneskraft, der Geist des Frühlings ist in mich gefahren. Sag, gibt es hier ein Geschäft, wo sie Pflanzliches und anderes Geblüm feilbieten?“

„Ein Blumenladen?“

„Ja. Eine Rose muss es sein und der Schweiß auf meiner Haut und kein Weibsbild kann sich meiner animalischen Ausdünstungen verwehren.“

„Ich muss sagen, tatsächlich hat dein verwegen-rustikales Auftreten subtilen Sexappeal. Dein Schweiß ist der ambratische Lockstoff?“

„Es rinnt mir aus allen Poren. Die verführerische Unschuld einer einzigen Wildrose hat das suggestive Phantasma von Geborgenheit inmitten naturwüchsiger Wollust.“

„Man merkt es, du bist ja kaum zu bändigen. Trotzdem solltest du über die modernen Paarungsrituale wissen: Fragt eine der von dir bezirzten Damen nach einer Louisa, lass es gut sein mit der Huldigung und suche vorerst einen geheimen Ort deiner Wahl auf und verweile dort für unbestimmte Zeit. Ach, ich kann dich kaum alleine da draußen rumlaufen lassen. Du wärest wie ein Eskimo in der Wüste. Du mit deinem schweinischen Selbstbewußtsein in einer Welt voller idealisierter Zurückhaltung und sexueller Neutralität, das muss ich sehen. Ich begleite dich. Los geht’s!“


Ein Blumengeschäft und eine Polizeibehörde später, hängt der liebe Freund zerknirscht über dem letzten Tropfen übrig gebliebenen Teegenußes, wo ich ihn tröstend in die Arme nehme, auf dem Sofa platziere und verspreche, ihn am nächsten Tag mit einer Gruppe von Leuten bekannt zu machen, die mit Sicherheit seine ganz spezielle Art zu schätzen weiß. Es handelt sich hierbei um die eigenartige Gruppe der Parfümliebhaber, erkläre ich ihm.
17 Antworten