L'Eau Froide 2012

Seelanne
24.08.2014 - 08:54 Uhr
39
Top Rezension
10
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
10
Duft

Der Sprung in die Leere

Die Leere ist ein seltsamer Ort.

Für Manche ist sie einfach nur das Nichts, für Andere ersehnte Heimat. Yves Klein gehört zu diesen Anderen. Für ihn ist die Leere der Ort, an dem alles beginnt und alles gelingen kann.

Der 19.Oktober 1960 ist ein trüber Herbsttag in Paris. Yves Klein steht auf dem Fenstervorsprung eines Hauses in der kleinen Rue Gentil-Bernard im südlichen Vorort Fontenay-aux-Roses. Er sieht nach unten, blickt auf den schmalen sandigen Bürgersteig, die unruhig verlaufende Bordsteinkante und die mit Teer grob geflickte Straße. Auch für ihn als angesehenen Judoka mit 4tem Dan ist es zu hoch für einen wirklichen Sprung. Lediglich runterspringen, das ginge sich noch aus, aber Yves Klein will nicht einfach nur nach unten springen, stürzen oder sich fallen lassen: er will in die Leere springen.

Auch beim Judo haben ihn schon immer die Bewegungen fasziniert, die gar nicht da sind, um dann jegliche Angriffsbewegung in den unsichtbaren Raum hinüberzuführen, die Umwandlung von Kraft in Bewegung und dann ins Leere. Und er hat schon so viel kreiert: hat den Himmel seiner Heimatstadt signiert, hat die Farbe seines Lebens, ein vollkommen neues Blau, das „International-Klein-Blau“, erfunden und patentieren lassen, hat Reihen einfarbiger Bilder, seine "Monochrome", erschaffen, hat Nackte als lebende Pinsel verwendet und gar eine komplette Ausstellung mit leeren Räumen erstellt.

Heute aber nun will er selber in die Leere. Er streicht sich die Ärmel seines Anzuges glatt, fährt sich durch die spärlichen Haare, blickt noch einmal um sich, sieht in den Himmel, spannt seine Muskeln und dann springt Yves Klein ab.

S.Lutens muss ebenfalls an die Leere gedacht haben, als er L‘Eau Froide kreieren ließ. Denn dieser Duft ist gewissermaßen ein Sprung in einen leeren blauen Raum.

Anfangs stößt man auf dessen Hülle, einen krautig-staubigen und doch medizinisch-chlorig wirkenden unsichtbaren Vorhang. Undefinierbar Rauchiges schlägt einem entgegen, kurz, scharf, trocken, etwas luftraubend, wie ein unerwarteter Jab in der ersten Runde beim Boxen; mit Wirkung, aber ohne lange Nachwirkung und ohne genau zu wissen, was es ist und wo es herkommt. Es mag Pfeffriges sein, wie angegeben, aber irgendwie ist es zugleich auch bitter, fast wie Kampfer.

Direkt danach reißt der Vorhang auf und es folgt eine mentholige Minze, anfangs noch begleitet durch das rauchig-Bittere als Pfefferminze, dann nach und nach als sich öffnendes ätherisches Menthol. Auch das hat eine gewisse Schärfe und Biss und es stellt sich schon kurz die Frage, ob die Geschichte als schnödes japanisches Heil-Öl enden soll, als sich dann transparente Weihrauchschwaden hinzugesellen.

Dieser Weihrauch -in keiner Weise klösterlich-muffig, sondern sauber und klar- bildet ab sofort das zentrale Thema, das Fundament und die Wände für einen sich nun offenbarenden kühlen Raum, der zum Himmel hin offen scheint. Die mentholige Minze bildet dabei den dauerhaften Gegenpart, manchmal etwas spitz, dann wiederum versöhnlich milde. Im Hintergrund versehen zudem Mineralien, Pfeffer und Nadelhölzer ihren spürbaren, aber unauffälligen Dienst.

Das mutet sehr minimalistisch an, hat Strenge und Stringenz, evoziert aber zugleich ein unerhörtes Gefühl für Raum, Luft und Leere. Immer wieder entsteht die Empfindung von frischem Quellwasser auf kühlem Gestein oder treibenden Eisblöcken in türkisem Polarmeer.

Der Duft bleibt bis in die Basisnote hinein pur, rein und sich selbst treu. Nirgends mischt sich Maritimes oder typisch-Aquatisches hinein. Lediglich gegen Ende der Kopfnote tritt noch ein seidig-weißer Moschus dazu, der im Untergrund die Fäden spinnt, den Weihrauch mit der Zeit zunehmend einfängt und dann allmählich zu Ende führt.

„Leere ist Form und Form ist Leere“: Der buddhistische Lehrsatz erhält seine duftmäßige Entsprechung: Dieser Duft schafft Raum, ein leerer Duft, der nur die Leere selbst vermittelt, keinen Inhalt. Ein leicht verstehbarer Duft, der selbst keine Aussage trifft, aber Raum schafft für Aussagen, Gedanken und mehr; ein abstrakter, ein meditativer Duft.

Seine Zerbrechlichkeit liegt dabei auf der Hand: ein relativ kurzzeitiges Kunstwerk, was sich nach 3-4 Stunden auflöst und verflüchtigt, auf der Haut und dicht um den Körper herum aber noch eine ganze Zeit lang eine unsichtbare Duft-Silhouette kreiert.

L‘Eau Froide, der Zweite der „Eau“-Düfte von Serge Lutens, dieser selbstbetitelten „Anti-Parfums“, ist sicher kein revolutionäres Werk, kein genialer Wurf. Er kann und will es aber auch nicht sein, da er sich selbst vollkommen zurücknimmt und nur Raum schafft für Anderes. Für den, der sowas mag, ist das phantastisch.

Als die Photographen Shunk-Kender am 19.Oktober 1960 auf ihre Auslöser drücken, erwischen sie Yves Klein am Scheitelpunkt seines Sprunges, dort, wo die steigende Bewegung für einen Bruchteil einer Sekunde innehält, bevor die Schwerkraft sie zur Kurve bricht und den freien Fall befiehlt. Yves Klein schwebt. Seine Arme sind ausgebreitet, während sein Kopf und sein Blick hoffnungsvoll-trotzig nach oben weisen. Dass er fallen wird, weiß er und spürt es auch in diesem Moment; er ist schließlich kein Idiot und hält sich nicht für Ikarus. Aber auf seinem Gesicht spiegelt sich trotz des Wissens um die Unmöglichkeit der Ausdruck desjenigen, der grade in das Glück eintritt.

Und so schwebt, als die Kameras klicken, Yves Klein nicht nur in die Leere, sondern wird zugleich irgendwie auch Sinnbild des Zitates seines Landsmannes Albert Camus, der Jahre zuvor aus dem Trotz gegen das Absurde, gegen die Ewigkeit des Scheiterns die Würde des Menschen postulierte: „Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen denken.“

Es ist unwahrscheinlich, dass Serge Lutens und Yves Klein sich jemals begegnet sind, ist Lutens doch grade einmal 13 Jahre alt, als Klein stirbt. Aber noch nicht an diesem trüben Herbsttage des 19ten Oktober 1960: Gemäß der alten Weisheit, dass die Kunst eine Lüge ist, die die Wahrheit erkennen läßt, landet Yves Klein weich und sanft im Sprungtuch. In den folgenden Tagen montieren er und Shunk-Kender das Photo vom Sprung und ein 2tes Photo der leeren Straße übereinander und Klein konzipiert, wie geplant, um das Photo herum eine Kunst-Zeitung, die nur am 27.11.1960 erscheint, dem Geburtstag seiner Ehefrau, der er noch Jahre zuvor auf einem Baugerüst das Leben gerettet hatte, als er sie vor dem freien Fall in die leere Tiefe bewahrte.

Zwei Jahre später stirbt Yves Klein dann aber tatsächlich, erst 34jährig: er erliegt seinem 3ten Herzinfarkt. Sein Sprung aber ging in die Kunstgeschichte ein, genauso wie sein von ihm geschaffenes neues Ultramarinblau, seine Auffassung von der Reduktion, dem Abstrakten, des Minimalismus' und der Leere.

"Wenn ich an Dich denke
Habe ich immer wieder den gleichen Traum
Wir gehen Arm in Arm
Auf dem verwilderten Weg unserer Ferien
Und dann, nach und nach
Scheint alles um uns herum zu verschwinden
Die Bäume, die Blumen, das Meer
Am Wegesrand ist plötzlich überhaupt nichts mehr
Wir sind am Ende unserer Welt angelangt.
Wenn Du eines Tages zurückkommst
Du, der Du auch träumst
Dann weiß ich, dass wir zusammen
Ohne ein Wort zu sagen
In die Wirklichkeit dieser Leere springen werden.
Komm mit mir in die Leere." *
-------------------------------------

“Les Saut dans le vide“ / The leap into the void:
http://www.metmuseum.org/toah/works-of-art/1992.5112
http://31.media.tumblr.com/tumblr_mcxtfw9mww1qak9nro1_1280.jpg
*Yves Klein (1957)
14 Antworten