Elixir Noir 2009

oYo
22.01.2013 - 12:47 Uhr
13
Top Rezension
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
8
Duft

Abend der Erinnerung

Beim Auftupfen des Duftes (aus der Probe von Nyze29 *danke*) kommt mir gleich der Gedanke: "Der Duft ist nicht schwarz, sondern tiefdunkel kupferbraun." Süßsauer kommt er mir entgegen mit Früchten, die ich nicht identifizieren kann, allenfalls Zitrone vielleicht, sofort sind auch Amber und Elemi präsent, was dem schwarzen Elixir schon zu Beginn Tiefe verleiht. Schon wenige Minuten später wird der Duft weicher und runder, die Säure geht über in Bitterkeit, ich hätte hier Bergamotte vermutet. Ein gewisser Ernst geht damit einher, gleichzeitig entfalten sich aber mit angenehmer Süße Amber und einige warme, weiche Blüten, für mich insbesondere Gardenie. Der rosa Pfeffer hält sich glücklicherweise dezent zurück und leuchtet nur feinsüßlich im Hintergrund.

Ich fühle mich rein in den Duft und sehe unvermittelt eine Frau in einem langen, enganliegenden schwarzen und dunkelkupfernen Kleid. Ihre schwarzen Haare sind locker zu einem Knoten zusammengebunden. Sie sitzt da, sehr aufrecht, sehr ruhig und schaut versunken in die Abendsonne. Sie ist ganz bei sich und beim Anblick des Abendrots.

Allmählich verschwindet die fruchtige Säure, die Bitterkeit nimmt zu, eine holzig-trockene Note. Amber, balsamische Noten, ein feiner Hauch Schokolade und die Blüten sind dagegen weich und süß. Bittersüß und ernst ist der Moment, in dem die Frau in ihre Vergangenheit blickt. Schwere Zeiten liegen hinter ihr, aber ihr Gesicht ist ruhig und entspannt. Durch die Blüten erlebt sie eine verhaltene, innere Sinnlichkeit, ein in sich ruhendes Gefühl ihrer eigenen Körperlichkeit. Sie hat die bitteren Erlebnisse hinter sich gelassen und genießt ihre innere Ruhe und Gelassenheit. Und die Kraft und das Wissen, die ihr aus ihren Erfahrungen erwachsen sind, ein wertvolles Gut, das ihr Stärke verleiht.

Nach einer Stunde erreicht die holzige, trockene Bitternote ihren Höhepunkt, für mich zu stark. Die Züge der Frau wirken jetzt härter, fast verhärmt, als würde der Schmerz ihrer Erinnerungen nochmal aufflackern. Zum Glück löst sie aber genau in diesem Moment den Blick von der Vergangenheit und wendet sich wieder der Gegenwart zu. Das Bittere tritt allmählich in den Hintergrund, die Blüten - jetzt mit einer zarten Fruchtnote - bleiben zu meinem Bedauern verhalten und geben ganz dem balsamischen Amber Raum. Es ist inzwischen dunkel draußen, die Frau geht hinein und entzündet ein gemütliches Feuer im Kamin. Kuschelig ist es hier, die Stimmung weich und warm. Es verspricht ein langer, schöner Abend zu werden.

Nach etwa 2,5 Stunden verschwinden die Blumennoten ganz, ein trockener, rauchiger Holzgeruch mit etwas Moschuspuder, jetzt schon sehr hautnah, drängt sich immer mehr in den Vordergrund, während das Amber sich leise zurückzieht. Lange flackert das Feuer vor sich hin, dann wird es immer kleiner, bis nur noch die Glut den Raum erhellt. Es sind inzwischen vier Stunden vergangen, die Frau liegt vor dem Kamin auf dem Sofa, in eine warme Decke gehüllt. Sanft und selbstzufrieden schläft sie ein, auf ihrem Gesicht das Leuchten schöner Träume - wie ein feiner Hauch von Amber und Moschus, der sie noch eine gute Weile begleitet...

*****

Es gibt übrigens eine Karte im Tarot von Crowley und Harris, die mir unweigerlich einfiel, als ich den Duft beschrieb. Das Bild gibt meinen Eindruck der ersten Stunde sehr gut wieder, auch wenn der Sonnenuntergang fehlt: die Königin der Scheiben.
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