Palonera
20.08.2018 - 10:50 Uhr
69
Top Rezension
8
Sillage
10
Haltbarkeit
8.5
Duft

"Du riechst wie zu Hause!"

sagte der junge Mann, der mir gegenüber saß auf dem alten Teppich, zwischen uns der heiße Tee, in seinen Augen ein "Wie kann das sein?".
Zu Hause, das war weit fort in Afghanistan, in einem Land, das er verlassen hatte, verlassen mußte mit dem Mädchen, das nun seine Frau war, und dem Kind, das sie unter dem Herzen trug.
Drei Jahre war das her, beinahe vier.
Sie hatten gehen müssen, als das Töten immer näher kam, als die Nächte explodierten in einer Kakophonie aus Lärm und Licht, als immer mehr Häuser zu Ruinen wurden und die Bewohner unter sich begruben.
"Wie hätten wir bleiben können?" fragte er und sah mich an, als hätte ich tatsächlich eine Antwort.

Eine Weile schwiegen wir und betrachteten den Jungen, der selbstvergessen spielte mit den bunten Klötzen, die heute in der Tasche gewesen waren, die immer mit mir kam, die seine Augen leuchten ließ im Angesicht der Schätze, die sie Mal um Mal enthielt.
Er war der Grund meiner Besuche, der Grund, weshalb ich hier saß, hier bei ihm und seinem Vater, der so jung war und doch schon so alt, zwanzig Jahre erst, zwanzig Jahre schon, dessen Augen mehr gesehen hatten, als ihm gut tat.
"Er würde nicht leben", sagte er, "nicht dort, woher wir kommen. Dort gibt es kein Leben für Kinder wie ihn."
Für Kinder, die nicht hörten, die nicht laufen konnten und nicht sprachen, Kinder, die anders waren und so wie er.
Der Junge, der nun meine Augen suchte, forschend, fragend, wartend auf mein Lächeln, das beruhigende, das neckende, mit dem ich einen Klotz nahm und hinter meinen Rücken hielt, bis er lachte und an meinem Ärmel zog.
"Gib mir! Mein – will spielen!" gebärdete er – langsam, unsicher, so sehr klar.
Ich gab ihm den Klotz, nahm zwei andere, baute mit ihm einen Turm, höher und höher, bis er umfiel und die Steine rollten bis an seines Vaters Knie.
Er lächelte, liebevoll und stolz auf seinen Sohn: "Es ist gut, daß er hier ist, daß wir hier sein dürfen. Ich bin dankbar. Und ich vermisse Afghanistan so sehr. Es war nicht immer so, weißt Du?!"

Und er begann zu erzählen von seinem Dorf mit den sechs Häusern, von den Menschen, die darin lebten und mit ihnen das Vieh – "ein paar Schafe und Hühner hatte jeder, einige wenige auch Rinder, für die es nahe dem Dorf nicht viel Futter gab.
Im Sommer, wenn es sehr heiß war und kein Regen fiel, gingen wir mit ihnen hinauf in die Berge, mein Vater, mein Onkel und ich. Dorthin, wo es etwas kühler war, wo noch Gras wuchs, salziges, würziges Gras, braun und grau von Staub, aber Futter für die Tiere.
Manchmal mußten wir weit gehen, bis wir etwas fanden, so weit, daß wir in der Nacht nicht nach Hause zurückkamen. Wir blieben mit den Tieren am Berg und saßen am Abend um das Feuer, das rauchte und kokelte und uns fast erstickte, das aber wärmte und auf dem wir Kaffee kochten in altem Blechgeschirr.
Wir kauten Süßholz und rochen das warme, staubige Fell der Tiere, das trockene Kraut und die Felsen, den Rauch des Feuers und uns selbst in den groben Kleidern, die ganz anders sind als das, was man hier trägt.
Die Männer erzählten Geschichten und ich, ein Junge noch, hörte ihnen zu, ausgestreckt am Feuer, die Arme im Nacken verschränkt und den Blick in den Sternen, die so hell waren und so nah und so viele, so viele, Du kannst sie nicht zählen, niemals, nie.
Es war sehr still dort oben, nur manchmal hörte man eines der Tiere in der Dunkelheit und ein anderes, das antwortete – und den Wind natürlich, den Wind, der immer da war.
Es war schön dort, weißt Du?! Wild und schön und friedlich – kein Mensch dachte je an Krieg oder daran, einmal nicht mehr dort zu sein. Ich dachte, es würde immer so bleiben, ich würde immer dort bleiben wie mein Vater und sein Vater und alle Väter davor. Und nun bin ich hier", schloß er, den Blick noch immer auf dem Jungen, seinem Sohn.

Seine Frau war im Raum gewesen, während er erzählte, leise, unauffällig, ein wenig Weihrauch entzündend in der Ecke, dessen Duft zu uns herüberzog und sich vermischte mit dem dunklen Tee.
Wir schwiegen wieder.
Es wurde Zeit für mich – das nächste Kind.
In meiner Tasche fand ich "Kabul Aoud", das Röhrchen noch zur Hälfte voll.
Ich stellte es neben seinen Tee und ging.
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