Midnight in Paris 2010 Eau de Toilette

Matvey
11.04.2016 - 10:13 Uhr
13
Sehr hilfreiche Rezension
8
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
6.5
Duft

Wie viele Flakons muss man trinken...

... um diesen Sternenhimmel irgendwo zu sehen?

Keinen einzigen, solange man die hübsche Bemalung des berühmten MiP-Flakons nicht am realen Himmel sucht. Denn das prächtige Firmament findet sich in keinem Sternenatlas und keinem Panomara, nicht in Deutschland, nicht in Südafrika und schon gar nicht in Paris. Ja bin ich denn der einzige, der sich ein bisschen verarscht fühlt? Der Sternhimmel gehört entgegen aller Erwartungen zu den wenigen Kunstwerken, die noch nicht durch Copyright oder Patentrecht geschützt wurden. Wieso dann einen neuen erfinden? Diese Rezension soll sich also auf die Suche nach dem verlorenen Himmel begeben.

Was wurde der Flakon von Midnight in Paris nicht über den grünen, pardon, über den dunkelblauen Klee gelobt; allein die Flasche sei Grund genug für den günstigen Erwerb. Dazu kommen durchweg positive Bewertungen des Duftes und zu allem Überfluss die Einstellung der Produktion irgendwann in den letzten sechs Jahren - all das reichte aus für meinen allerersten Blindkauf. Doch als Hobbysternegucker mit angestaubtem Dreiviertelwissen musste ich beim Blick auf den Flakon erst einmal staunen. Schlecht für meine Voreinstellung gegenüber den Duft und gut für mein Ego (als Hobbysternegucker) bestätigte eine kurze Recherche den Eindruck, dass der abgebildete Sternenhimmel ein Fake ist. Zunächst vermutete ich eine Fahrlässigkeit der Designer, aber kann das stimmen?

Geradezu virtuos spiegelt das repräsentative Gefäß seinen Inhalt wider. Der Farbverlauf von Orangegelb zu Blau mag an einen Sonnenuntergang erinnern, für mich spielt er aber wie der Rest der Aufmachung mit dem unterstellten Hauptthema des Duftes, einer androgynen Diffusion "männlich" und "weiblich" gelabelter Aspekte. Orange und Blau sind zueinander komplementär, also optisch gegensätzlich, aber einander ergänzend. So präsentiert sich für mich auch der Inhalt, als vereinende Schnittmenge ambriert-süßer und frisch-kratziger Komponenten. Zumindest gilt das für die erste Stunde, in der sich der Duft meiner Nase durchaus interessant und vielschichtig zeigt. Im weiteren Verlauf setzt er sich schnell zur Ruhe und strahlt eine gemütliche und gutgelaunte Vanillesüße mit warmen Lederakzenten aus. Diese Basis entbehrt einer geschlechtlichen Zuordnung, und sogar das kann man in die Flasche überinterpretieren: Rund, aber solide in einem metallischen Rahmen eingefasst und mit filigran ausgearbeiteter Schutzkappe verheimlicht sie nicht, dass sie keinen herben Männlichkeitsaufguss beherbergt. Die Bezeichnung als reiner Herrenduft klingt in meinen Ohren gar wie ein Spott der Marketingabteilung über die Parfumeure.

Zu durchdacht scheint also die Aufmachung, als dass der Phantasiehimmel ein Versehen sein könnte. Inspirierte der Geruch die Designer stattdessen zu einem surrealen Höhenflug, der ihnen ungeahnte Sternskulpturen vor Augen führte? Naja. Midnight in Paris als Künsterkoks? Ich glaube nicht. Auch entfaltet sich der Duft auf meiner Haut nicht als surreales Kunstwerk, das eine derart phantasievolle Gestaltung rechtfertigen würde. Dafür ist MiP zu gefällig, zu angenehm für viele Menschen, zu wenig gewagt. Was nicht negativ gemeint ist!

Bleiben noch zwei Erklärungsversuche. Pragmatisch betrachtet erblickt der geneigte Romantiker im nächtlichen Paris keinen Sternenhimmel, wenn er seine Augen gen Himmelsäquator reckt. Als eine der Orte mit der größten Lichtverschmutzung Europas kann Paris froh sein, dass man nachts noch den Mond und ein paar sehr helle Sterne sieht. Der Name "Midnight in Paris" verbunden mit einem prächtigen Sommersternhimmel inklusive Milchstraße würde also Fakten vortäuschen. Der eingebildete Himmel dagegen ließe sich immerhin noch als geschickte, subversive Gesellschaftskritik auffassen!

Oder vielleicht fürchtete man einfach den Einsatz jahrtausenderalter Sternbilder, die in ihrer Symbolgewalt etlichen Generationen Mythen an die Hand gaben; vielleicht wollte man das Risiko vermeiden, dass Zeus, am Firmament verewigt als gewaltiger Stier, aus seinem Sternbilde tritt und ob der Blasphemie auf dem Flakon mit Blitzen schleudert. Vielleicht hielt man inne in Ehrfurcht vor den Sternen, deren Verklärung als gottlose Kernfusionsreaktoren die katholische Kirche jahrhundertelang mit dem Scheiterhaufen entgegentrat. Zu viel Geschichte und Ewigkeit steckt in diesem Firmament, als dass ein süßliches Modeparfum, ein absolutes Kind seiner Zeit, mit solcherlei Historie für sich werben könnte.

Midnight in Paris ist also weder ein ewiges Parfum, noch hat man damit künstlerisch nach den Sternen gegriffen (Okay, langsam ist es genug…). Eine lohnenswerte Investition stellt es meiner Meinung trotzdem dar. Seine Perfomance lässt sich ohne Weiteres sehen, eine ordentliche Haltbarkeit wird unterlegt mit einer unaufdringlichen Silage - so mag ich süße Düfte! Der dynamische Start löst sich relativ bald in tonkavanilliges Wohlgefallen auf, ohne die Luft mit Zuckersirup zu verkleben oder ein würziges Statement abgeben zu wollen. Das lädt ein zu abendlicher Zweisamkeit auf einer ruhigen Parkbank, somit verfehlt der Duft sein Thema keineswegs. Zweisamkeit bedeutet hier auch, dass sich beide Geschlechter gern in dieselbe wohlige Duftwolke hüllen können.

Noch einmal zurück zum berühmten Flakonb: In meinem Regal konnte er sich mit seinem Phantasiefirmament leider keinen vorderen Platz ergattern, dazu bin ich wohl zu pedantisch. Bleibt die Frage, wieso die Produktion dieses soliden, beliebten Duftes eingestellt wurde. Ich weiß es nicht, aber womöglich stand ja ein keulenschwingender Orion vor der Tür und beschwerte sich, dass er als zweifellos imposantestes Sternbild keinen Platz auf dem Flakon gefunden hat.
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