Kouros 1981 Eau de Toilette

CJS
27.03.2019 - 10:00 Uhr
14
9
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
1
Duft

Meilenstein, Stein des Anstoßes, uringetränkter Klostein

Um es vorneweg klar zu sagen: Verrisse schreibe ich ungerne. Und auch die folgenden Zeilen sollen nicht als ein solcher aufgefasst werden. Ich habe großen Respekt vor der Leistung, die Bourdon mit diesem Duft abgeliefert hat.

Kouros als einen Meilenstein der Parfumgeschichte zu beschreiben stimmt, es gibt mE kaum etwas Vergleichbares (wenn doch, bitte Kommentar).

Auch die Komposition ist meisterhaft, das meine ich ganz im Ernst und nicht zynisch. Man muss es erst einmal hinbekommen, eine Autobahntoilette samt Urinal, Zitrussteinen und den darin befindlichen Flüssigkeiten zu kopieren. Und auch wenn das ekelhaft klingen mag: im Grunde ist das ein Kompliment, denn ein großer Duft soll Assoziationen an Bekanntes schaffen. Und das gelingt Kouros vortrefflich. Es ist in der Tat ein großer Duft, eine Meisterleistung. Nur: will man beim Tragen den ganzen Tag daran erinnert werden, dass man mangels Alternative (bspw. auf einer langen Autobahnfahrt) keine andere Chance hat, als so einen Ort aufsuchen zu müssen?

Nun ist Pierre Bourdon sicherlich einer der Meister und Wegbereiter der frischen Düfte (u. a. Creeds GIT, Davidoffs Cool Water, etc.). Das sind ebenfalls Meilensteine, die das aquatische Genre maßgeblich begründet haben.

Mir ist es unbegreiflich, wie Bourdon Anfang der 80er so derart - im wahrsten Wortsinn - "ins Klo gegriffen" hat. Einige der besten "Sport"- und Powerhouse-Düfte, die uns an Männer à la Tom Selleck (Magnum) erinnern, stammen doch ebenfalls aus den 80ern und zeigen breitschultrig: Pass auf! Hier komm ich! Brust (inkl. Haarmatte) raus und Nase hoch! Wunderbare Vertreter sind Chanels Antaeus, Lacoste Original, Armanis Eau Pour Homme, YSL Pour Homme. Mein Vater hat bis heute seinen original Antaeus Flakon von damals (ebenfalls 1981!), was mir die Gelegenheit gab, die heutige Version und die damalige zu vergleichen. Wow. Heute noch außergewöhnlich, ist die 80er Version flüssiges, überbordendes Selbstbewusstsein und große Parfumkunst aus Bibergeil, Leder und anderen Noten, aber noch im Ansatz tragbar! Das war dufttechnisch eine extrem laute Zeit, was aber absolut nichts Schlechtes ist.

Und Kouros? Ein göttergleicher Duft? Gott bewahre, dass ich jemals eine Vintage-Version zu riechen bekomme. Die aktuelle strotzt ja schon vor tierischem Zibet, viel Schweiß und seit Tagen ungelüfteter Umkleide! Jeder, der Sport oder Rast an der Autobahn macht, wird das süßlich-schwitzig-stechende Gemisch aus der Sportstätte oder Toilette kennen, dass wir als unangenehm empfinden. Aber Bitteschön! Genau soetwas will man doch durch eine frische, kühle Dusche nach dem Tennis, Fußball oder Fitnessstudio-Besuch wegbekommen und abwaschen! Oder man flüchtet schnell aus dem Örtchen an der Raststelle, um olfaktorisch zu entkommen! Diesen Duft will man doch nicht ernsthaft nach der Badroutine als Duftmarke aufsprühen? Und wenn doch: warum? Wobei auch viele dieser ganzen aktuellen "Sport"-Düfte heutzutage auch teils eher austauschbare Scheibenputzmittel sind...

Dieses Parfum ist aber doch für Menschen gemacht, die ein so übernatürlich und unerträglich großes Selbstbewusstsein und Ego besitzen, dass es ihnen nichts ausmacht, ordentlich Kritik dafür einzustecken, weil es sie schlicht nicht kümmert. Solche Leute fahren auch alleine im 12-Personen-Aufzug, weil neben ihrem Ego kein Platz für andere Fahrgäste ist und bei vielen der Geruch in einem engen, geschlossenen Raum Fluchtreflexe auslöst. Das sind keine schönen Eigenschaften. Weder für einen Duft, noch charakterlich.

Kouros ist allerdings eines: sehr klar in seiner Aussage. Es ist ein Kind seiner Zeit in der großen Familie der 80er-Jahre Düfte, aber sicherlich nicht mehr als das schwarze Schaf. Sicher, auch dieses Kind gehört zur Familie, bleibt aber der Außenseiter, das Problemkind. Aber es strahlt eine gewisse Faszination aus, der man sich nicht entziehen kann. Das Kind Kouros ist über die Jahre sicher weicher, vielleicht auch zugänglicher geworden, aber man kann sich noch so sehr bemühen: im Grunde will man sich nicht gerne mit ihm abgeben und hält sich von ihm fern.

Der Duftverlauf ist ein Gesamtkunstwerk, "alljahrestauglich", wenn man so will. Mit Hitze wird das sicher noch schlimmer und die Sillage noch stärker als sie eh schon ist. Haltbarkeit? Wie Komponentenkleber.

Der Flakon indes... ist ein perverser Witz! Er ist strahlend weiß, hat klare Linien, erinnert an alte griechische Säulen und vermittelt Größe. Ein großer Duft muss sich folglich darin befinden, die Werbekampagne unterstreicht genau dieses Bild noch! Das stimmt, aber entgegen aller Erwartungen ist das kein jungfräulich-unschuldig heller, luftiger Duft, wie frisch aus den Wolken am Himmel über dem Olymp (Creeds Silver Mountain Water wäre für mich so einer). Kouros ist ein vergiftetes, dreckiges Geschenk, das von der ersten Sekunde an keine Gefangenen macht. Aber ohne Zweifel große Kunst.
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