Ttfortwo
06.09.2023 - 09:42 Uhr
14
Sehr hilfreiche Rezension
10
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft

Ein aparter und feiner Sommerduft

Sebastian hat mir ein Pröbli geschickt. Er hat ein Faible für subtile und transparente, lichte Düfte. Düfte, die das Kunststück fertig bringen, auf den ersten Riecher fast schlicht zu wirken, sich dann aber als doch sehr kunstvoll und gar nicht banal zu erweisen. Immer spannend also, aber auch immer eine Herausforderung an meine eher schlicht gestrickte Nase.

Der Duft hatte einen schlechten Start bei mir, weil ein Blick auf den Flakon eine rechtschaffene Wut in mir geweckt hat: „Inspired by your life“ steht da drauf. Was für ein anmaßender Claim! Was geht Euch mein Leben an? Mein Leben? Seit Monaten zerreisse ich mich zwischen einem immer schwieriger werdenden Arbeitsumfeld und dem verzweifelten Versuch, das völlig aus den Fugen geratene Leben meiner Eltern (Mama dement und Papa mit über 90 zum Wahnsinnigwerden altersstarrsinnig) irgendwie wenigstens auf dem aktuellen Status zu erhalten. Als ob das nicht genug wäre: Der Schwiegerpapa ist an einem aggressiven Krebs erkrankt und das Leben der Schwiegermama löst sich gerade in Verzweiflung auf. Mein Leben? Davon wollt Ihr Euch inspirieren lassen? Not your Ernst!

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Der erste Sprüher entfaltet eine sehr clean und sauber wirkende Kopfnote, glasklares Neroli gibt in der Tat einen mächtigen 4711-Boost, dazu noch kurz eine deutliche zitrische Note, die Minze kühlt kräftig runter, ist aber gerade noch dezent genug, um das aus dem Hintergrund heraus zu machen. Ich bin jetzt nicht der allergrößte Neroli- oder Minze-Fan, muß aber zugeben: Das ist ein richtig schöner Sommerling.

Das Vetiver ist fast von Anfang mit dabei und das erweist sich eine Zeitlang als herausfordernd für mich und zwar in der Phase, in der das Neroli in den Hintergrund tritt: Die Minze macht etwas mit dem Vetiver, das mir persönlich nicht so gefällt. Es ist ohne Frage eine spannende Kombi, eisgrün, grüncool, schillernd, oszillierend. Eine andere Nase würde es bestimmt als „gewagt und gewonnen“ empfinden – mich stört es dagegen ein bißchen.

Die Herznote dagegen ist wunderbar: Ein schwebender Nebel zarter Blüten, die an sich ja schon distanziert duftende Rosengeranie, ein Hauch luftig-pudrigen Veilchens im Hintergrund, ein zart würziger Twist. Ein Sebastian-Duft, ohne Frage. Leicht seifig, sehr schwebend, licht, transparent. Das Vetiver gibt einen winzigen Hauch grasiger Süße dazu. Schön!

Schon jetzt ist der Duft recht leise, ich muß mit der Nase nah ans Handgelenk gehen. Allerdings sendet meine Kleidung noch hin und wieder eine sacht duftende Meldung in die nahe Umgebung.

Ganz zum Schluß wird’s nochmal spannend: Der Duft hat sich bereits auf dem Basisnotendiwan ausgebreitet, das „Kashmirholz“ (haha! Kashmeran also, aber ich mag dessen synthetische Wärme und zarte Süße ja durchaus ganz gern) muggelt leise vor sich hin, da erfasse ich mit der Nase ganz nah auf der Haut plötzlich wieder ein Hauch der Schärfe und Klarheit des Neroli vom Anfang. So schließt sich der Kreis. Kashmeran ist ja ein ausgesprochener Langläufer, insofern ist die Haltbarkeit keine schlechte.

Danke, Sebastian, fürs Pröbli. Ein Duft, der ausgezeichnet in Deine Sammlung paßt und der an warmen Sommertagen ein friedlicher und gelassener Begleiter sein sollte.

Auch wenn ich geschrieben habe "Mindestens einen solchen Duft braucht jeder Mensch", so denke ich, das es dieser hier für mich noch nicht ist. Aber sehr, sehr nah dran.
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