07.07.2025 - 08:30 Uhr

DasguteLeben
136 Rezensionen

DasguteLeben
Hilfreiche Rezension
7
Slouching towards Bethlehem
"Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,"
In diesen letzten Jahren unserer sterbenden Zivilisation ist es wieder besonders wichtig Gedichte zu lesen: Rilke, Brecht, Yeats, Jeffers...The Second Coming ist gewiß nicht die schlechteste Zustandsbeschreibung der aktuellen Welt - und mit einem sardonischen Augenaufschlag vielleicht auch der Parfümindustrie.
Die "haute parfumerie" wie sie in der Belle Époque im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts erblühte, das Produkt technologischen Fortschritts und der erwachenden mittelständischen Konsum- und Freizeitgesellschaft, die von den Impressionsten so treffend auf die Leinwand gebannt wurde, ist endgültig Geschichte.
Aber was haben wir jetzt? Warum existiert ein Produkt wie "Thailand Oud in Cairo," neben 65000 vergleichbaren? Wer will es kaufen und warum? Warum sieht es aus, wie es aussieht, warum riecht es, wie es riecht? Was überhaupt ist es? Das sind keine unwichtigen Fragen, denn die tiefsten Wahrheiten einer Gesellschaft offenbaren sich oft in ihren banalsten Produkten, den trashigsten Filmen und Serien, dem billigsten Ramsch, dort wo keine Anstrengung gemacht wird die dahinterstehenden Ideologien zu kaschieren, dort wo sie für das sehende Auge ganz offen eingeschrieben sind. Die tiefste Erkenntnis über uns gewinnen wir nicht auf einem Zen Retreat in der Ägäis sondern im TEDI nebenan.
"somewhere in sands of the desert
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs"
Schauen wir also, ob ich die Fallhöhe zwischen dem Ende der bekannten Welt nach W.B.Y. und dem Ende der Parfümwelt, wie ich sie noch kannte, überbrückt bekomme. Ich habe just in einem Parfümforum nachgefragt, wie ältere und jüngere Parfumistas das Phänomen des neo-arabischen Massenmarktes mit seinen unzähligen Dupes und Tweaks und synthetischen Ouds einordnen. Die interessante Antwort war, dass sie die Lücke der alten Standard-Markenparfümerie füllt, die preislich für viele Käuferschichten inzwischen jenseits von Gut und Böse liegt, qualitativ dagegen eindeutig im 4. Kreis der Hölle. € 175 UVP für leere Holzsynthetik von Prada etc.
Dazu muss man sich noch den strukturellen Kollaps des Konzeptes "Luxus" denken - also einerseits dass die "originale" Guccitasche aus derselben Fabrik kommt wie das Dupe und die gleiche minderwertige Qualität hat. Dass, anders gesagt, hinter dem Signifikanten (Zeichen) für Luxus (Gucci Logo) kein eigentliches Signifikat mehr existiert. Andererseits, dass jeder 15jährige heute meint, mit einem Streamingchannel umgehend drei Ferraris und ein Villa in St. Tropez finanzieren zu können. "Luxus" kann jede/r ist die Message der sozialen Medien, just be aspirational. Damit ist Luxus entkernt und es ist letztlich egal, ob ich eine echte oder falsche Rolex trage, damit auch egal, ob ich ein echtes Parfum de Marly oder einen Dupe trage. In letzterem Fall ist es aber tatsächlich egal, denn während die echte Rolex noch eine eigene qualitative Restsubstantialität hat (weit vom Kaufpreis natürlich) kann ja der arabische Klon so gut und gelegentlich besser sein als das Original von Tom Ford (QED Amber Oud Tobacco Edition). Beides sind letzlich nur noch algorithmisch formulierte Industrieprodukte billigster Machart.
Wir leben also in einer irisierenden Konsumwelt in der rarer echter Luxus (Birkin Bag / echtes altes Oud), aspirationaler Konsum (Hermès Parfum / "Oud"), Masstige (Louis Vitton / "Oud") und Luxus oder Masstige Klon (Lattafa Oud) ineinander verschwimmen - and nobody really cares, solange die realen Ungleichheiten der globalen Plutokratie stabil bleiben, wozu dieses System mit seinen Verschleierungen der Bourdieuschen feinen Unterschiede aktiv beiträgt. Soviel zu Bedeutung und Funktion. Nun aber konkret:
"And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?"
Verpackung und Flakon des vorliegenden Parfüms (ca. € 18) sind teils wertiger verarbeitet als etwa Penhaligon's Legacy of Petra (UVP € 240, real aktuell ab €60) wo sich schon die Folie ablöst. Beide sind erwartungsgemäß synthetisch deklinierte Reißbrettdüfte mit wenig Budget und sie verschießen es frontal. Gute Basen kosten Geld und Zeit. TOIC gelingt immerhin eine ansprechende Siam Oud Simulation im Auftakt, holzig-frucht-esterig-kompostig, begleitet von etwas süsser Synthetik, das legt sich dann leider zu schnell in eine etwas zu billige Gummi-Ledernote ab, die von Holzsynthetik und einem Spektrum an würzigen Noten umrankt wird (Tabak, Myrrhe, Zimt). Die typische "Niche Synth Aura," die einem auch aus jedem Penhaligon's Store in London entgegenwallert, ist gut getroffen und für mich aufgrund der niedrigen Duftölkonzentration angenehmer und besser zu (er)tragen als z.B. viele der unsäglichen "Portraits" Stinkbomben.
Ich sehe unterm Strich nur minimale aber nicht signifikante ästhetische oder qualitative Unterschiede zwischen billig und teuer und lehne beide dankend ab. Lieber pflücke ich wie der Protagonist aus Ballards The Garden of Time eine letzte Zeitblume um den nahenden Troß noch einmal zurückzuwerfen. Sie duftet nach Oud Caravan von Abdesalaam Attar und Habit Rouge.
Mere anarchy is loosed upon the world,"
In diesen letzten Jahren unserer sterbenden Zivilisation ist es wieder besonders wichtig Gedichte zu lesen: Rilke, Brecht, Yeats, Jeffers...The Second Coming ist gewiß nicht die schlechteste Zustandsbeschreibung der aktuellen Welt - und mit einem sardonischen Augenaufschlag vielleicht auch der Parfümindustrie.
Die "haute parfumerie" wie sie in der Belle Époque im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts erblühte, das Produkt technologischen Fortschritts und der erwachenden mittelständischen Konsum- und Freizeitgesellschaft, die von den Impressionsten so treffend auf die Leinwand gebannt wurde, ist endgültig Geschichte.
Aber was haben wir jetzt? Warum existiert ein Produkt wie "Thailand Oud in Cairo," neben 65000 vergleichbaren? Wer will es kaufen und warum? Warum sieht es aus, wie es aussieht, warum riecht es, wie es riecht? Was überhaupt ist es? Das sind keine unwichtigen Fragen, denn die tiefsten Wahrheiten einer Gesellschaft offenbaren sich oft in ihren banalsten Produkten, den trashigsten Filmen und Serien, dem billigsten Ramsch, dort wo keine Anstrengung gemacht wird die dahinterstehenden Ideologien zu kaschieren, dort wo sie für das sehende Auge ganz offen eingeschrieben sind. Die tiefste Erkenntnis über uns gewinnen wir nicht auf einem Zen Retreat in der Ägäis sondern im TEDI nebenan.
"somewhere in sands of the desert
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs"
Schauen wir also, ob ich die Fallhöhe zwischen dem Ende der bekannten Welt nach W.B.Y. und dem Ende der Parfümwelt, wie ich sie noch kannte, überbrückt bekomme. Ich habe just in einem Parfümforum nachgefragt, wie ältere und jüngere Parfumistas das Phänomen des neo-arabischen Massenmarktes mit seinen unzähligen Dupes und Tweaks und synthetischen Ouds einordnen. Die interessante Antwort war, dass sie die Lücke der alten Standard-Markenparfümerie füllt, die preislich für viele Käuferschichten inzwischen jenseits von Gut und Böse liegt, qualitativ dagegen eindeutig im 4. Kreis der Hölle. € 175 UVP für leere Holzsynthetik von Prada etc.
Dazu muss man sich noch den strukturellen Kollaps des Konzeptes "Luxus" denken - also einerseits dass die "originale" Guccitasche aus derselben Fabrik kommt wie das Dupe und die gleiche minderwertige Qualität hat. Dass, anders gesagt, hinter dem Signifikanten (Zeichen) für Luxus (Gucci Logo) kein eigentliches Signifikat mehr existiert. Andererseits, dass jeder 15jährige heute meint, mit einem Streamingchannel umgehend drei Ferraris und ein Villa in St. Tropez finanzieren zu können. "Luxus" kann jede/r ist die Message der sozialen Medien, just be aspirational. Damit ist Luxus entkernt und es ist letztlich egal, ob ich eine echte oder falsche Rolex trage, damit auch egal, ob ich ein echtes Parfum de Marly oder einen Dupe trage. In letzterem Fall ist es aber tatsächlich egal, denn während die echte Rolex noch eine eigene qualitative Restsubstantialität hat (weit vom Kaufpreis natürlich) kann ja der arabische Klon so gut und gelegentlich besser sein als das Original von Tom Ford (QED Amber Oud Tobacco Edition). Beides sind letzlich nur noch algorithmisch formulierte Industrieprodukte billigster Machart.
Wir leben also in einer irisierenden Konsumwelt in der rarer echter Luxus (Birkin Bag / echtes altes Oud), aspirationaler Konsum (Hermès Parfum / "Oud"), Masstige (Louis Vitton / "Oud") und Luxus oder Masstige Klon (Lattafa Oud) ineinander verschwimmen - and nobody really cares, solange die realen Ungleichheiten der globalen Plutokratie stabil bleiben, wozu dieses System mit seinen Verschleierungen der Bourdieuschen feinen Unterschiede aktiv beiträgt. Soviel zu Bedeutung und Funktion. Nun aber konkret:
"And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?"
Verpackung und Flakon des vorliegenden Parfüms (ca. € 18) sind teils wertiger verarbeitet als etwa Penhaligon's Legacy of Petra (UVP € 240, real aktuell ab €60) wo sich schon die Folie ablöst. Beide sind erwartungsgemäß synthetisch deklinierte Reißbrettdüfte mit wenig Budget und sie verschießen es frontal. Gute Basen kosten Geld und Zeit. TOIC gelingt immerhin eine ansprechende Siam Oud Simulation im Auftakt, holzig-frucht-esterig-kompostig, begleitet von etwas süsser Synthetik, das legt sich dann leider zu schnell in eine etwas zu billige Gummi-Ledernote ab, die von Holzsynthetik und einem Spektrum an würzigen Noten umrankt wird (Tabak, Myrrhe, Zimt). Die typische "Niche Synth Aura," die einem auch aus jedem Penhaligon's Store in London entgegenwallert, ist gut getroffen und für mich aufgrund der niedrigen Duftölkonzentration angenehmer und besser zu (er)tragen als z.B. viele der unsäglichen "Portraits" Stinkbomben.
Ich sehe unterm Strich nur minimale aber nicht signifikante ästhetische oder qualitative Unterschiede zwischen billig und teuer und lehne beide dankend ab. Lieber pflücke ich wie der Protagonist aus Ballards The Garden of Time eine letzte Zeitblume um den nahenden Troß noch einmal zurückzuwerfen. Sie duftet nach Oud Caravan von Abdesalaam Attar und Habit Rouge.
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