Norne 2012

Version von 2012
Achilles
15.10.2015 - 06:29 Uhr
34
Top Rezension
10
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft

Dreamland

Norne, ein kräftiger Duft von der dunkelsten Farbe, die ich je bei einem Parfum gesehen habe, entführt in einen dichten, verregneten Wald, der in mir Assoziationen von düsteren Landschaften auslöst. Düster-schön, sozusagen Schauerromantik, mir eh die liebste.
Rauch liegt dabei überall in der Luft, aber auch klirrende, schwarze Kälte und mächtige Bäume, nasser Waldboden und harzige Aromen, Dickicht und Unterholz.
Abstrakte Landschaften wie bei H.R.Giger, Max Ernst, Giorgio de Chirico, surreale Traumlandschaften. Passagen und abgrundtiefe, undurchdringliche Schächte. Verzerrungen in der Symmetrie. Treppen ins Nirgendwo. Krypten, entzündete Kerzen. Rabenvögel fliegen in Scharen und krächzen, bilden ein marzialisches Echo mit kahlen Bergen.
Mächtige Bilder mit archaischen Motiven und unendlich tiefer Aussagekraft. So ist auch Norne, dunkel, rauchig, im Grunde das Unaussprechliche. Der Duft ist anziehend, aber man muss ihn tragen können.
Flechte, Farne und Moose- ja definitiv, blutvoll und herb, der giftige Schierling ist hier vielleicht die edgy Komponente (man muss ja nicht gleich wie Sokrates einen Becher exen), die sich zum erstklassigen Weihrauch gesellt und abrundet. Klebrige Harze fließen aus Kiefern, als würden sie weinen, als würden sie den tödlichen Verfall bedauern, der Tschernobyl zum Schicksal auferlegt wurde. Das Benzin geht aus, mitten in Silent Hill. Im dichtesten Nebel. Wie die Geysire in Kamtschatka. Wie der Knabe im Moor.
Das ist auch der Duft eines in irgendeiner Art und Weise belebten Sperrgebietes, also dort, wo die Natur sich alles zurückholt und ihr Territorium zurückerobert.

Am besten sagt es aber Edgar Allen Poe:

Auf Pfaden, dunkel, voller Grausen,
Wo nur böse Engel hausen,
Wo ein Dämon, Nacht genannt,
Auf schwarzem Thron die Flügel spannt,
Aus letztem düsterm Thule fand
Ich jüngst erst her in dieses Land –
Aus Zauberreich, so wild und weit,
Fern von Raum, fern von Zeit.

Ewig bodenlose Schlünde,
Klüfte, Schlüfte ohne Gründe,
Unbegrenzte Wassermassen,
Die sich nie in Ufer fassen,
Wälder, die kein Ende nehmen,
Die – titanenhafte Schemen –
Tropfend stehn in Nebeltau,
Endlos wuchtend, endlos grau!
Berge, endlos niederfallend,
Meere, in kein Ufer wallend,
Meere, die urewig fluten,
Himmel, die urewig gluten,
Weiher, die unendlich breiten
Stummer Wasser Einsamkeiten,
Die in Tod und Stille liegen
Und den Schnee der Lilie wiegen.
.....Aus jenem letzten Thule fand

Ich jüngst erst heim in dieses Land.

(Edgar Allen Poe, Dreamland, 1844)
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