1972

1972

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6 - 9 von 9
1972 vor 10 Jahren 16 8
7.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft
Das Dandy-Experiment
Woher kommt die bräunlich anmutende Kräutersud-Eröffnung? Liegts am Wacholder oder dem Zedernblatt? Es erinnert fast an Schwedentrunk, Schwedenkräuter, auch Schwedenbitter genannt. Diese sehr persönlich empfundene Kopfnote weicht nach wenigen Minuten einem soliden Barbershop-Duft mit Kick zur Noblesse, denn Lorbeer und Tannenbalsam blicken in der Herznote mit erhobenen Nasen und hochgezogener Braue drein. Mit gleicher Miene gesellt sich die Zeder in der Basis hinzu. Gleichwohl bleibt der Kräutersud stets im Hintergrund präsent.

Das ist schonmal kein abendlicher Ausgehduft. Ein Sommerduft ist das freilich auch nicht. Allein, wer "Elite" trägt, steht außerhalb der Jahreszeiten, jenseits von modisch Gut und Böse - ein zeitgeistiger Nihilist gewissermaßen. Allemal existiert der "Elite"-Träger abseits des Mainstream.

Ein kleines Gedankenexperiment: Könnte dieser eindeutig konservative Duft ein adäquates Accessoire für den modernen Dandy sein?

Will man "Elite" im modernen Dandyismus verorten, so darf man einen ausgeprägten Snobbismus als Widerstand gegen den Massengeschmack unterstellen. Denn es zeigt sich gerade in der Flucht der Tagestrends ein mehr oder weniger verholener Zug zum Elitären. Wie der Konservatismus am Altbewährten hängt, neigt der moderne Dandy zum altmodisch Anti-Modernen. Der Dandy des fin de siècle soll übrigens blumigen Parfums nicht abgeneigt gewesen sein, vielleicht im Rückgriff auf barockere Zeiten. Mir kriecht die Edelstein-besetzte Schildkröte über den persischen Teppich des Des-Essaintes in den Sinn, wie sie in Huysmans' À rebours beschrieben wurde. Solcherlei Excentrik findet sich beim modernen Dandy nicht - politisch korrekterweise füge ich hinzu: hoffentlich. Zurück zum Duft: Der heutige Dandy riecht zuweilen herb-krautig oder auch irgendwie "altmodisch". Damit wäre Floris' "Elite" der ideale Kandidat.

Doch ach - je länger ich den Flakon hin und herwende, will sich der Floris-Duft einfach nicht in das ihm zugedachte Bild fügen. Lorbeer und Tannenbalsam heben jeweils eine Braue, die Zeder pflichtet bei. "Elite" ist allemal ein konserativer Duft, der aber fast pikiert unserem flamboyanten Dandy gegenübersteht. Allzu bodenständig verharrt das Gebräu, wo ein Sturm der Ironie vonnöten wäre. Alldieweil ich mir von Anwendung zu Anwendung - i.e. das herbfrische Vergnügen des Aufsprühens - die Frage stelle, was an "Elite" so elitär sein soll, lässt sich dieser Duft einfach nicht in meine Dandy-Phantasie integrieren.

Gleichwohl, dass wir uns nicht falsch verstehen, ist "Elite" durch und durch ein Gentleman, der im Konservatismus verwurzelt ist. Konträr zu bodenständigem Konservatismus posiert aber der Dandy in einer Geste ironisch gebrochenener Nostalgie. Solcherlei Pose ist jedoch mit "Elite" durchaus nicht zu machen. Ein Manko, das der Dandy unmöglich, ein Gentleman mit Leichtigkeit zu verschmerzen weiß. Kein Dandy kommt ohne elitäres Bewusstsein aus. Allein, es verweigert sich dieser Duft der ironischen Pose oder exaltierter Nostalgie. So fällt flamboyantes Ausgehen am Abend aus, denn wir haben es mit einem Gentleman zu tun, der sich in einem Sinne Elite nennt, als er jedem Hedonismus, auch geistigem, geflissentlich aus dem Wege geht, um unter kontrolliertem Triebverzicht seine Aufgaben zu erfüllen. All zu viel Ironie wäre da nur hinderlich. Um solcherlei Establishment dürfte der Dandy einen weiten Bogen schlagen. Man stelle sich vor, dass zu Zeiten der französischen Revolution zur élite gezählt wurde, wer sich, anders als der Adel, die gesellschaftliche Position selbst erarbeitet hatte. Solch ernsthafter Bemühung ist der Dandy nicht sonderlich zugetan.

Kommen wir zu einem Dandy der Finanzen: Als Klaus Zumwinkel gelegentlich der einen oder anderen Steuerhinterziehung in seiner Villa verhaftet wurde, soll diese sich in ziemlich revovierungsbedürftigem Zustand befunden haben. Der Konzernlenker zählte sich bis zu diesem Zeitpunkt zur Leistungselite des Landes, doch sein Heim war öd und schmucklos. Und in einem ähnlichen Sinne wird der hier besprochene Duft seinem eigenen Namen auf einer höheren Ebene gerecht. Der Elite anzugehören bedeutet in diesem Sinne nämlich, straff eingebunden zu sein und mehr als alles andere Pflichterfüllung und Genussverzicht. Nicht die hedonistische Lesart des Elitenbegriffs ist hier gefragt, sondern eine nüchtern-realistische: Wer diesen "Elite" trägt, geht nicht aus, steht außerhalb der Jahreszeiten, steht jenseits von modisch Gut und Böse und ist ein Nihilist, aber - Gott bewahre - kein Dandy oder Nostalgiker.

Die gesellschaftliche Elite ist, wie so manches Nimbus-Behaftete, nur aus der Ferne so recht faszinierend. Aus der Nähe betrachtet ist da viel, viel Alltag, Beständigkeit ohne Ende und die Banalität des Establishments mit all seinen Fehlbarkeiten. Und genau das ist "Elite" von Floris: Ein solider Duft für den Alltag des pflichtbeflissenen Gentleman. Ganz schön altmodisch und damit vielleicht doch ein Kandidat für den Dandy von heute, sofern dieser Snob nicht nach Authentischerem verlangt - oder nach Exaltierterem wie der Schildkröte des Des-Essaintes. Ich meines Teils greife zu Penhaligon's Blenheim Bouquet, wenn der Dandy in mir lächelt. "Elite" ist mehr was für den durchschnittlichen Arbeitsalltag bei Kaffee, Pflichterfüllung und der Hoffnung, damit durchzukommen.
8 Antworten
1972 vor 10 Jahren 13 3
5
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10
Duft
Kleiner Prinz mit Kaufmannsladen im Schlosspark
Gleich vom Start weg ist da die Nelke, das Hauptthema dieses warmen, freundlichen Dufts und es tritt unmittelbar etwas Muskat dezent hinzu. Das trockene Gewürzsträußchen wird sanft umflort von einer kaum wahrnehmbaren Süße.

Es gab wohl in früheren Zeiten kleine Kaufmannsläden für Kinder, aus Holz gefertigt selbstredend, bestehend aus vielen kleinen Schublädchen, angefüllt mit losen Waren wie Puffreis, Nelken, Muskatnuss, Keksen und Knöpfen. Wenn man so ein altes Stück nach Jahrzehnten zurück ans Tageslicht holt und die kleinen Schubladen vorsichtig öffnet, so wird man meist nichts mehr darin vorfinden. Viele kleine Kinderhände sind uns vor langer Zeit zuvor gekommen. Aber Düfte steigen in unsere Nase. Aus dem trockenen Holz des Kaufmannsladens wehen noch Düfte empor von Nelken, Muskat und süßlichen Dingen. Fast bin ich versucht zu glauben, in einer der Schubladen habe sich einmal ein winziger Zweig Maggikraut befunden. Aber dabei handelt es sich lediglich um eine kurzzeitige Irritation.

Die Nelke von "Park Royal" ist quicklebendig und völlig natürlich. Vom Aufsprühen über den Drydown bis zum letzten Verblassen nach 7-8 Stunden hat man den Eindruck, mit frisch gemahlener Nelke hantiert zu haben. Überhaupt strotzen ja alle Anglia Perfumeries vor Natürlichkeit. In der Projektion ist "Park Royal" dann vielleicht ein bischen wie der alte Kaufmannsladen: Ein trockener Hauch, eine deutliche Ahnung.

An mir selbst nehme ich "Park Royal" sporadisch immer wieder wahr, ohne dass sich der Duft in den Vordergrund drängt. Dennoch handelt es sich um einen vitaleren Vertreter aus der Anglia Perfumery.

Man mag fragen, wie es sich denn nun mit dem Park und der Königlichkeit von "Park Royal" verhält und ich könnte antworten: Auch kleine Prinzen mögen von Zeit zu Zeit ihren Kaufmannsladen unter die Ärmchen genommen haben, um im Schlosspark spielen zu gehen. Begegnen sie heute einem "Park Royal"-Träger, erinnern sie sich bestimmt wieder daran. Dieser "Park Royal"-Träger steckt vermutlich in einer Tweed-Jacke, denn es dürfte Herbst sein und seine braunen wingtip half brogue Oxford-Schuhe durchschreiten das Herbstlaub auf dem Gang durch den Park. Und alles an diesem Bild ist stimmig bis hin zu diesem würzigen Duft und seiner warmen Basis. Wir wollen aber nicht unterschlagen, dass der Prinz, dessen Gedanken zu seinem alten Kaufmannsladen abgeschweift sind, wie an fast jedem Tag Blenheim Bouquet aufgelegt hat und dass der Park ihm gehört.
3 Antworten
1972 vor 11 Jahren 10 10
10
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
5
Duft
Vanille ist der Mann?
Ich beschäftige mich noch nicht lange mit Düften. Genau genommen habe ich erst vor Kurzem mit der Suche begonnen, nachdem ich eine Art von Erweckung in der Bahn erlebte. Dort saß mir ein Herr gegenüber, der einen durchaus aufdringlichen Duft nach Nelke und Kräutern verströmte. Zugleich - aber das nur nebenbei - hatte ich den ersten Herrn vor mir, dessen Schuhe eine Oxford-Schnürung aufwiesen. Der Duft wurde mir zusehends symphatisch und seither befinde ich mich auf einer Suche.
Als ich mich heute schon wieder in einer Parfümerie wiederfand, ließ ich mir DHI auf den Handrücken sprühen. Nach einer fast stechenden Eröffnung dann frische Noten, gestützt von Holz und zarter Rauchigkeit. Vielleicht könnte das was werden. Sehr viel Intensität teilt sich jedoch nicht mit. Eher warme, braune Noten dicht am Körper.
Später in der Basis dann deutliche Vanille, während das rauchige Holz zusehends verfliegt und der Vanille mehr Raum lässt. Offebar ist Vanille meine Sache nicht. So möchte ich nicht riechen, denke ich mir und finde ein Zitat von Chandler Burr: "Männer lieben Vanille, deshalb riechen alle Huren der Welt so." Worte, so hart wie das Leben. Brauche ich ein Macho-Parfum? Nein, so bin ich auch wieder nicht... Aber eins ist klar, DHI brauche ich ebenfalls nicht. Wenn sich die zarten Hölzer und das Rauchfähnchen nach immerhin sechs bis acht Stunden verzogen haben, bleibt als etwas abgeschmackte Erinnerung nur die penetrant-cremige Vanille stehen und zertrampelt das zarte Pflänzchen der Sympathie, das bei mir wachsen wollte.
Wahrscheinlich brauche ich stärkeres Kraut, gerne auch mit Nelke und Weihrauch. Was sich während meiner Suche bislang jedenfalls ergeben hat, spricht dafür, dass ich mir vielleicht einfach ein Säckchen mit Nelken und Kräutern in den Kleiderschrank hängen sollte. Sehr wahrscheinlich hat es der Herr in der Bahn genauso gemacht. Aber schon in der nächsten Woche werde ich mich wohl wieder in einer Parfümerie wiederfinden. Und ich werde darum bitten, mir keine irgendwie geartete Vanille anzutun.
10 Antworten
1972 vor 11 Jahren 3 1
5
Flakon
7.5
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10
Haltbarkeit
8
Duft
Vertraute Orte
Ein Duft kann Saiten zum Schwingen bringen, von denen wir vielleicht nicht einmal wussten, dass sie vorhanden sind. Er kann uns auch an ferne Orte bringen und – wie Azzaro – in fast vergessene Zeiten.

Wenn mein Vater in den Siebzigern das gute Bac auflegte, dann war Wochenende und Ausflugstag. Wenn ich heute nach Azzaro rieche, dann bin ich froh, dass es nicht Bac ist. Aber Azzaro bringt die Siebziger wieder ganz nah. Im Übergang von der Herz- in die Basisnote verfliegt das Vetiver allmählich, Vater kommt aus dem Bad, die seifigen Noten treten in den Hintergrund und für eine Weile liegt etwas wie Wochenendausflug in der Luft. Mit warmen Holz-, Moos und Moschustönen alter rotgoldstichiger Photos treiben wir in die Siebziger, bevor uns die Realität wieder einholt.

Damals wie heute bleibt für mich ein solcher Duft der freien Zeit vorbehalten. Nichts Geheimnisvolles, nichts Faszinierendes, Befremdliches oder Aufwühlendes geht von Azzaro aus, aber es bringt uns immer wieder an fast vergessene und doch so vertraute Orte der Vergangenheit.
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