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Düfte in Filmen und Serien
vor 11 Monaten - 21.05.2023
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Minervas Taktik

Manchmal lohnt es sich, weitab des Alltags sich durch neue Eindrücke ein wenig von festgefahrener Denkweise zu verabschieden.
Oft genügen Dufteindrücke oder Gaumenfreuden, um die Gedanken witzige Reigen voller Unbekümmertheit tanzen zu lassen.


So geschehen im Mai 2023 in der schönen Camargue.
Ich hatte das Glück, so manch schöne Duftkomponente in Natura zu erleben.
Immortelle, Zistrose, Jasmin und Strandkamille standen in voller Blüte. Sie boten mir ihren ursprünglichen und unverfälschten Duft an.
Sicher, beim Einfangen der kostbaren Essenzen dienen nicht immer die Blüten, doch wollte ich nicht unbedingt die Harze oder Wurzeln hier mit bloßen Händen freilegen, die gesamte Pflanze war schon schön genug.


Ich bemerkte, wie in der Duftindustrie der letzten zwanzig Jahren - vielleicht schon vereinzelt seit 1988, wenn man es ganz genau nimmt - sich allmählich eine synthetische Verstellung des Gebotenem eingeschlichen hat und diese die Duftgewohnheiten junger Nasen von den natürlichen Dufteindrücken immer mehr entfernt.
Wehmut? Mit Sicherheit, aber nicht verklärend.
Mir ist klar, dass bei der konsumierten Menge an Duftkreationen die natürlichen Ressourcen nicht ausreichen würden.
Was ich beklage, dass ist die schlechte Umsetzung in den Laboren.
Aber vielleicht schafft es die Wissenschaft ja mal, gekonnte Abbilder zu liefern.


Für eine neue Sichtweise sorgte in jenen Tagen aber nicht eine Pflanze, es war ein Gebäck.
Im Grunde ist es nichts anderes als ein Zuckerbrot.
Eiweiß wird steif geschlagen, mit Puderzucker vermengt und - hier kommt der Clou - mit Aromen gewürzt.
Danach wird die Eiweißmasse auf ein Stück Brioche geschmiert und im Ofen zart gebacken, bis die weiße Schicht die Konsistenz einer Meringue erreicht.
Fertig ist die bewährte Minerva.
Und um ganz genau zu sein, die Minerve Nîmoise - also die Minerva aus Nimes.
Hier ist auch der Name wichtig, die Götting der Weisheit und taktischen Kriegsführung.


Ich hatte mir aber nicht die Mühe gemacht, das Rezept Schritt für Schritt auszuführen, bequemerweise holte ich mir das fertige Produkt als guter Begleiter zum Kaffee oder Tee.


Aber jetzt kommt’s.


Kaum hatte ich einen leckeren Bissen dieser unscheinbaren Schnitte im Mund, begann sich die geheimnisvolle Aromatisierung zu entfalten.
Ich wurde das Gefühl nicht los, Parfüm zu schlucken!
Ganz genau, PARFÜM!
Auf der Verpackung grinste mich diese neckische Zutat an: aurencial.
Aura?
Mitnichten!
Es handelt sich hier um Orangenblütenwasser.
Und genauso schmeckte es, nur, dass ich auch den Geschmack eines Jasmins vernahm. So wie Jasmintee, nur etwas kräftiger.


Diese Minerva lachte mich aus und donnerte mir die heute so gängige Mischung in etlichen Damendüften entgegen.
Doch war es nur bloße Geltungssucht dieser Schnitte?
Mir kam es anders vor.
Auf Französisch heißt dieses kecke Ding Minerve.
So, nur noch ein wenig mit den Buchstaben spielen und…
… aus Minerve wird menerve.
Jawohl, me nerve, (es) nervt mich.
Da haben wir es, die Geheimbotschaft zum Naschen!
Der Minerva nervt es scheinbar, was heute so üppig in der Duftszene gedeiht.


Ach, Minervchen, ich werde Deiner Einsicht folgen und künftig jene Nervgranaten einfach nur mit einem Minerve titulieren.
Danke Dir!

Aktualisiert am 31.05.2023 - 15:36 Uhr
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