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Düfte in Filmen und Serien
vor 3 Jahren - 30.10.2022
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Düfte in Filmen und Serien N°9

Hier im Forum begegne ich häufiger einer gewissen Abwehrhaltung gegenüber einem schönen Weißblüher.

Dessen Duft betört, schmeichelt und vereinnahmt, er kann jedoch auch fordernd, überwältigend, sogar gefährlich narkotisierend werden.

Beheimatet ist diese schillernde Pflanze in Mexiko.

Weitaus ältere Zivilisationen als die Azteken kannten die heilenden und antibakteriellen Eigenschaften dieser Pflanze. Sie diente ihnen auch als Seifenersatz. Eines aber haben diese Kulturen gemein, sie schätzten die Polianthes tuberosa so sehr, dass ihr in der rituellen Ornamentik eine besondere Rolle zustand.

Ein poetischer Name der Pflanze in Nahuatl, der Sprache der Azteken, war „Omixochitl“, was soviel wie Knochenblume bedeutet. Wahrscheinlich wegen der Form und Farbe der Blüten.

Oder ist da doch eine andere Deutung der Bezeichnung für diese schöne Tuberose?

Der folgende Streifen erzählt eine wahrhaft schaurige Geschichte und könnte einen Hinweis liefern.

Der mexikanische Film aus dem Jahr 1975 „Más negro que la noche“ (Schwärzer als die Nacht) offeriert eine wahre Perle des subtilen Gruselns.

Schauplatz des Geschehens ist eine Villa aus den anfänglichen 1900ern in Mexiko-Stadt.

Eine ältere Dame namens Susana kümmert sich versessen um ihren schwarzen Kater Bécquer. (Für die Belesenen ein Hinweis auf Gustavo Adolfo Bécquer, einer der romantischen Schriftsteller Spaniens des 19. Jahrhunderts und Autor zahlreicher Spukgeschichten.)

Doch die Tage der alten Dame sind gezählt und so verstirbt sie in Anwesenheit ihres verschreckten Schmusekaters.

Als Erbin ihres Anwesens wählte sie ihre Nichte Ofelia aus. Das Testament enthält zwar keine Forderung, sehr wohl aber die Bitte, sich um den schwarzen Kater Bécquer zu kümmern.

Nichts einfacher als das, denken sich Ofelia und ihre drei Freundinnen, Aurora, Pilar und Marta, als sie in das riesige und unheimliche Haus einziehen.

Gleich zu Beginn steht ihnen eine reserviert feindselige Kammerfrau gegenüber und läßt die jungen Frauen die rigide Atmosphäre des Hauses spüren. Mit eisiger Strenge führt sie sie durch etliche Räume der Villa, welche in der Zeit stehen geblieben scheint. Etwas morbid Feuchtes liegt in der Luft.

Das Schlafzimmer der alten Dame ist prächtig ausgestattet und auf dem Schminktisch sehen wir zwei Flakons, welche für die spätere Handlung eine wichtige Rolle spielen werden.

Um es vorweg zu nehmen, die Tante Susana benutzte Zeit ihres Lebens einen Tuberosenduft sondergleichen, schwer und vereinnahmend.

Zwar wird der Name nicht genannt, doch verrät der geschliffene Flakon hier die Herkunft des Duftes. Wenn ich das Geburtsjahr der alten Dame, die Zeit ihrer Werbungsphase als junge Frau und ihre modische Vorliebe als Referenz nehme, so komme ich unweigerlich auf Phũl-Nãnã Eau de Parfum aus dem Jahr 1891.

Es wird dieser Duft sein, der unheimlich subtil die Räume mit Grauen füllen wird.

Denn sehr bald werden zwei Welten aufeinander stoßen und zur Katastrophe führen.

Die sich selbst als modern bezeichnenden jungen Frauen werden nicht so schnell mit den Gepflogenheiten des alten Hauses zurecht kommen. Laut, spöttisch und launisch bringen sie einen frischen Wind in das alte Gemäuer, ohne dabei Rücksicht auf die Tradition zu nehmen.

Dass der schwarze Kater nur von der Nichte Ofelia Zuwendung erhält, wird sich als schicksalshaft erweisen.

Bécquer verhält sich äußerst seltsam seit dem Ableben seines Frauchens und erduldet nur widerwillig den Neuzugang in deren Schlafzimmer, wo der Duft nach Tuberose plötzlich stärker wird.

Immer weiter dringen die neuen Bewohnerinnen in die Welt der Tante Susana ein, ohne auf die Warnungen der Kammerfrau zu achten.

Sie durchstöbern im Keller die Koffer voller Kleider der Verstorbenen und finden schließlich ein ungetragenes Hochzeitskleid. Denn die arme Tante wurde vom Schicksal hart getroffen, ihre Hochzeit blieb nur eine Wunschvorstellung.

Da Ofelia demnächst unter die Haube soll, raten ihr die anderen, genau dieses Kleid ändern zu lassen und bei ihrer Hochzeit zu tragen.

Und dann folgt der erste duftende Besuch der alten Dame in der Nacht.

Am nächsten Morgen wird das halb eingeäscherte Hochzeitskleid im Kamin gefunden!

Fälschlicherweise beschuldigt, übernimmt die ahnende Kammerfrau alle Verantwortung, zu stark ist ihre Ergebenheit ihrer ehemaligen Herrin gegenüber, deren Macht unsichtbar zu spüren ist.

Der Tod eines Kanarienvogels wird eine Kette von schauderhaften Ereignissen auslösen.

Denn plötzlich wird der schwarze Kater erschlagen aufgefunden!

Von da an vernehmen alle im Haus das klagende Ächzen der Tante Susana und ihr Tuberosen-Parfüm wird sie ständig verfolgen.

Unterstützung oder gar Schutz können die jungen Frauen nicht erwarten, denn die um die unausweichlichen Folgen wissende Kammerfrau wird das Haus verlassen.

Und so wird jede Einzelne in den exklusiven Genuss kommen, das Dufterlebnis ihres Lebens zu erfahren.

33 Antworten
ExUserExUser vor 2 Jahren
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Tuberose mag ich sehr.
Doch Vorsicht, niemals zu viel von ihrer Essenz.
SiebenkäsSiebenkäs vor 2 Jahren
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Wieder ein brillantes cineastisch-olfaktorisches Fundstück! (kenne den Film leider nicht, erscheint mir aber interessant, bisschen wie eine Melange aus Bunuel + ETA. Hoffmann)
Medusa00Medusa00 vor 3 Jahren
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Da habe ich mal gewohnt! Tuberosen sind eine Haßliebe, aber Weißblüher liebe ich ansonsten.
MarieposaMarieposa vor 3 Jahren
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Vielen Dank für den Literaturtipp. Spukgeschichten sind jetzt genau richtig, wenn die Raunächte kommen.
Die Beschreibung des Films war so plastisch, dass es mir vorkommt, als hätte ich ihn gesehen. Aber ob ich jetzt noch schlafen kann?
SebastianMSebastianM vor 3 Jahren
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Ein cineastisches Parfümblog, wie toll ist das denn! Seltsam, dass mir Deine Beiträge bisher entgangen sind, ich muss mal meine Abos überprüfen. Jetzt habe ich jedenfalls immer mal wieder was zu lesen. Und vielleicht auch was anzusehen, es sind ja bald Weihnachtsferien.
StanzeStanze vor 3 Jahren
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Ich hab nichts gegen Tuberose, vielleicht nach dem Film? ;) Ich werd mir den mal beschaffen aber gruselige Filme sind nichts für familiären Tester M, der Äktschn oder Humor braucht.
LibellaLibella vor 3 Jahren
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Dein Blog gefällt mir sehr gut. Interessant und informativ.
NininaNinina vor 3 Jahren
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Oh, den Film kenne ich gar nicht, klingt ja total nach meinem Geschmack 😊.
Du hast das wieder grandios beschrieben.
…ich liebe übrigens Tuberose 🙃
MaKrMaKr vor 3 Jahren
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Film kommt auch auf die Merkliste, danke für den schönen Grusel😀
SalvaSalva vor 3 Jahren
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Den Film kenn ich zwar nicht, aber ich finde Weißblüher toll und Tuberose in Düften sowieso. Deinen Blog habe ich sehr gerne gelesen; war sehr informativ, spannend und kurzweilig.
DuftessaDuftessa vor 3 Jahren
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Schaurig-schön, liebe es mich zu gruseln...
Habe vor kurzem 5ml vom Schauder-Duft im Sharing reserviert und weiß gerade nicht, ob ich abbrechen oder auf 10ml erhöhen soll:-)
Auch im einsam gelegen Ferienhaus am Meer ist mir gerade ganz mulmig, so mitten in der Nacht, dazu unweit des Friedhofs und in der Nacht zu Allerheiligen - schlaflos auf Pico - besten Dank dafür :-)
PoesiefannyPoesiefanny vor 3 Jahren
hihi, Duftessa mit wallendem Gewand an der morschen Balustrade eines zinnenbewehrten Urlaubsschlosses, dem Gesang der Nachtvögel lauschend ... dazu wabern Schwaden eines indischen Tempelduftes aus dem Off ;-)
GoldGold vor 3 Jahren
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Spannend. Film und Text.
Danke für diesen Beitrag.
Tuberose mag ich nur in geringen Dosen... Phul-Nana konnte ich schon mal in London testen, ist überhaupt nicht meine Welt.
Fast ein bisschen gruselig eben... 😜
FriesinFriesin vor 3 Jahren
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Den Film hab ich gesehen aber den Duft kenne ich nicht. Deine Zeilen waren - wie immer- eine Bereicherung. Hab mir jetzt zur Einstimmung Fracas an den Hals getan, der Spuk kann beginnen :-)
MiniGBICMiniGBIC vor 3 Jahren
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Kenne weder Duft noch Film, hast mich aber neugierig gemacht - schöner Blog :)
ExUserExUser vor 3 Jahren
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Geniale Feierabendlektüre! Und natürlich musste ich mir gleich den Trailer anschauen ;) Ich mag ja diese schräg-subtilen 70er Gruselfilme ... mein ewiger Favorit ist da immer noch "Long Weekend".
PoesiefannyPoesiefanny vor 3 Jahren
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Huuuuh... der Besuch der alten Dame auf mexikanisch !!! Das wäre der richtige Film für heute abend. Diese neugierigen Jugendlichen werden doch immer wieder von sturen Alten reingelegt, die keinerlei Veränderungen dulden. Bei uns in der Verwaltung ziehen sie auch seit Dekaden den Kürzeren ;-)
Hoffentlich gibts Becquérs Erzählungen auch auf deutsch :-)) Hast Du das mal wieder launig und gruselig zugleich verfaßt!
A propos: The Death of the canary ist hier offensichtlich zitiert, und auch eine besprechenswerte englische Horrorsatire. Ebenso wie Rebecca und ihr Hausdrachen.
Und nun zum skandinavischen Raum: Nimm Dir doch mal Midsommar vor - ein inhaltlich ziemlich bescheuerter Film voller großartiger Regieinfälle und einer grandiosen Lichttechnik sowie Filmmusik. Gilt als typisches "Post-Horror-Manifest" - das ist das Zeitalter, in dem wir leben ;-)
KailaniKailani vor 3 Jahren
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Schrecklich schön geschrieben. Den Film kenne ich nicht und den Duft auch nicht. Durch deine gruselig bildhafte Beschreibung kann ich mir die Szenerien in der alten Villa gut vorstellen. Wie so oft möchte man den Damen zurufen, "Nein, nicht da hinein gehen." Oder macht doch mal das Licht an, da ahnt der Zuseher schon, dass das kein Happy End geben wird. Danke für die Reise in die Abgründe einer alten Villa. Hat Spaß gemacht zu lesen. Lg
TurbobeanTurbobean vor 3 Jahren
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"... er kann jedoch auch fordernd, überwältigend, sogar gefährlich narkotisierend werden."
Ach, echt? Immer her damit! 😊
MonsieurTestMonsieurTest vor 3 Jahren
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Klasse Hinweis auf den offenbar sehr guten, immer noch produzierten und hier etwas unterm Radar fliegenden Oldie-Duft...
Mit dem zwei Jahre älteren Jicky wäre der ganze Spuk evt. nicht passiert (Weißblüher halt...;-)?!
Helena1411Helena1411 vor 3 Jahren
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Wer Katzen (und Tiere im Allgemeinen) schlecht behandelt, der sollte generell von Geistern, mit oder ohne Tuberosen-Duft, verfolgt werden. Da bin ich kompromisslos. Der Film wird vorgemerkt.
PoesiefannyPoesiefanny vor 3 Jahren
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sehr richtig ;-)
FragillyFragilly vor 3 Jahren
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... schaurig schöne Tuberose zu Halloween... da gänsehäutelts mich... beim Gedanken an die Tuberose ;D
sehr sehr gerne gelesen
SchalkerinSchalkerin vor 3 Jahren
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Armer Kater. Den Duft kenn ich nicht und Weissblüher sind in der Tat nicht unbedingt meins.
AugustoAugusto vor 3 Jahren
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Gern gelesen und direkt auf die Film-Merkliste geschreiben!
PonticusPonticus vor 3 Jahren
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Wenn der Film noch irgendwo zu haben ist, werde ich ihn mir ansehen! Da hast Du Spannung aufgebaut! Den Duft kenne ich natürlich nicht, aber die Bewertung ist Klasse und auch da ist Interesse aufgelaufen! Schöner Blog!
MonMedusaMonMedusa vor 3 Jahren
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Tuberose ist auch nicht meins, der Film könnte es eher sein. Ich mag solch gothischen Grusel aus der Zeit. Spannender Blog. Toll, dass du dich auch so an die Ränder der Filmgeschichte näherst!
IntersportIntersport vor 3 Jahren
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Mysteriösesr Grusel zum Día de Muertos, klingt nach Tuberose Criminelle! Danke für den Filmtip!
FrauKirscheFrauKirsche vor 3 Jahren
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Mich könnte auch eher vor böser Tuberose gruseln....
Aber ich würde mich ums Popcorn kümmern, für den nächsten Filmabend! Ich habe eine
Grusel- Bildungslücke ;-)
ErgoproxyErgoproxy vor 3 Jahren
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Den Duft kenne ich, den Film nicht. Und Weißblüher können schon anstrengend sein.
SchatzSucherSchatzSucher vor 3 Jahren
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Der Film sagt mir gar nichts, für subtilen Grusel bin ich aber durchaus zu haben.
Überbordende Tuberose kann aber auch mal gruselig werden ;-)
PollitaPollita vor 3 Jahren
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Ein spanischsprachiger Gruselfilm. Wunderbar! Den merk ich mir mal, auch zum Lernen. Bin seit 3 Jahren fleißig dabei. Danke 👍
KäseKäse vor 3 Jahren
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Weder Duft noch Film bislang gekannt.
Schön beschrieben!

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