Bobby
Bobbys Blog
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 3 Jahren - 01.03.2021
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Über Geschmack kann man (nicht) streiten


Also ich mag es ja, Düfte zu testen und einfach das, was ich wahrnehme, in ein Statement zu packen, manchmal auch in einen Kommentar.

Ich habe z.B. schon unter einen absurd teuren Duft geschrieben, dass er nach dem Haarspray meiner Oma riecht, aber auch schonmal unter einen relativ schlecht bewerteten Duft für 20 Cent pro ml, dass er "DER geniale Somnerduft" sei oder sowas in der Richtung. Ich habe jeweils nicht dazu geschrieben: "meiner Meinung nach" oder "für mich...", weil ich dachte, das verstehe sich bei der Bewertung von Düften irgendwie von selbst. Dem ist aber offenbar nicht so. Es wird sogar teils recht erbittert darüber gestritten, welche Bewertung "mehr recht" habe als die andere, was mich zur Überschrift dieses Textes bringt:

Über Geschmack kann man (nicht) streiten.

Liest man die Klammer mit, also "über Geschmack kann man nicht streiten", so bedeutet der Satz: Man kann über Geschmack nicht ernsthaft zielführend, mit logisch gültigem Ergebnis, diskutieren wollen. Heißt: Geschmacksfragen eignen sich einfach nicht zum Gegenstand erbitterter Debatten, weil es keine "richtige" Lösung geben kann. Man macht sich sogar geradezu lächerlich, wenn man das tut.

Lässt man aber die Klammer weg, sagt man also "über Geschmack kann man streiten", so bedeutet der leicht veränderte Satz: Über Geschmack kann man unterschiedlicher Meinung sein und man kann sich über diese verschiedenen Meinungen austauschen, weil die Geschmäcker nunmal auseinandergehen und es vielleicht sogar bereichernd sein kann, sich mal anzuhören, wie andere das empfinden. Beide Sätze widersprechen sich also nicht, obwohl sie scheinbar das Gegenteil meinen. Sie meinen sogar vielmehr das Gleiche: Man kann sich über die vielfältigen Geschmacksurteile mit Interesse austauschen, aber es hat keinen Sinn, darüber Rechthaberei zu betreiben (sehr geil ist ja in diesem Zusammenhang immer das Totschlag-Argument "wenn du den so schlecht findest, war der bei dir bestimmt gekippt").

"Geschmacksfragen" meint hier natürlich die ganze Zeit auch "Geruchsfragen". Das Wort Geschmack ist aber perfekt für jede Form subjektiver ästhetischer Urteile, weil es so anschaulich (das ist jetzt schon der dritte angesprochene Sinn!) erklärt, worum es geht: Was passiert auf meiner Zunge [in meiner Nase] und vor allem: Wie finde ich das?

Es geht also um Subjektivität.

Ästhetik als Lehre von der Wahrnehmung ist ganz offensichtlich ein subjektives Feld, weil unsere Wahrnehmung auf subjektiven Interpretationen von durch die Sinne aufgenommenen Daten beruht. Also ist der zitrische Duft, dessen Moleküle in die Nase zweier Menschen einsogen werden, zwar empirisch erstmal der gleiche (Citronellol (3R)-3,7-Dimethyl-6-octen-1-ol, ohne Haftung für Korrektheit), aber was dann im Gehirn bei der Verarbeitung dieser Rohdaten passiert (Assoziationen, Erinnerungen, Erfahrungen, Verdrängtes, Hoffnungen, Wünsche, momentane Laune, momentane Reize der Außenwelt...), ist bei beiden so subjektiv und individuell (Klostein! Sanifair! leckere Limonade, eklige Limonade, Parfum des Exfreundes, verträumte Erinnerung an die Situation, als das Lied "Lemontree" lief, tiefsitzender Hass auf Zitronen, weil man mal in eine verschimmelte reingebissen hat, also nachts, als man den Schimmel nicht gesehen hat (OK, das Beispiel ist schlecht), Vorfreude auf den Sizilienurlaub, Assoziationen mit Tequila und Salz an super Partynacht/ an schreckliche Partynacht, Kindheitserinnerung ans Zitronen-Bonbon von der lieben/ der nicht so lieben Oma, Trigger zum Tod des Hamsters in der elektrischen Zitronenpresse etc., etc.), dass es, außer durch richtig gut geschriebene Kommentare auf Parfumo, eigentlich kaum noch vermittelbar ist.

Was mich nun ganz leicht nerven könnte, wenn ich leicht nervbar wäre, sind drei Stufen von Ignoranz gegenüber diesen Tatsachen. Die erste Stufe ist so borniert, dass sie fast schon wieder lustig ist: Ich finde einen Duft gut und beschimpfe fassungslos alle Leute, die ihn nicht gut finden (oder das gleiche bei einem offenbar beliebten Duft, den ich nicht mag). Seine schlechte oder gute (in jedem Fall aber von meiner eigenen abweichende) Bewertung erkläre ich durch diffamierende Unterstellungen wie "alles Nieschen-Snobs hier!" oder, wahlweise: "alles Proletenpack hier!".

Die zweite Stufe ist schon etwas subtiler borniert und geht so: Ich behaupte, dass ich auf das ganze Geyoutube, auf die Bewertungen bei Parfumo, auf die gefeierten Namen der Parfumeure, die Verkaufrankings, die Bestenlisten, die Duftpyramiden und die Statements keine Rücksicht nehme und mich davon nicht beeinflussen lasse (bis jetzt alles OK...), sondern dass ich stattdessen OBJEKTIV an meine Beurteilung des Duftes herangehe. Jetzt ist es nicht mehr OK, denn hier wird einfach mal "objektiv" mit "subjektiv" verwechselt. Wer nämlich stolz darauf ist eine eigene Meinung zu haben, der ist einfach erstmal nur in der Lage, eine eigene Meinung zu haben. Mehr nicht. Schon gar nicht ist diese Meinung jetzt objektiv. Warum sollte sie das denn auch sein?

Die dritte Borniertheitsstufe ist noch eine Nummer "more sophisticated": Ich gebe ganz entspannt den weisen Buddha und sage: jedem seine Meinung! Ihr habt alle so recht, jeder für sich! Die einen sagen so, die anderen so! Wer meint, One Million sei ein subtiles Meisterwerk, für den ist das eben so! Wer dem sündhaft teuren, mundgeklöppelten Konzeptduft "Albinokatzen in seltenen Oudbaum-Parkanlagen Nr. XVII eau de concentre" unterstellt, er rieche nur nach den Ausscheidungen eben dieser bemitleidenswerten Katzen, na der empfindet das dann halt so!

Wo ist hier das Problem?

Ganz einfach: Ein paar Dingen wohnt halt DOCH eine gewisse Objektivität inne. Nicht, ob ich den Daumen hebe oder senke, ist objektiv, nicht, ob ich 10/10 oder 2/10 gebe, sondern meine Argumente dafür. Und wer Kommentare schreibt, der argumentiert ja irgendwie. In diesem Sinne relativ objektiv sind: Preis eines Parfums (nicht, ob ich das als teuer oder billig empfinde, sondern nur die Zahl auf dem Preisschild), Haltbarkeit (auch wenn ich dafür am besten JEMAND ANDEREN FRAGE), Sillage (wieder siehe letzte Klammer), die Frage, ob der Duft sich verändert, also ob er Phasen durchläuft, die Frage, ob diese Phasen ineinander übergehen oder plötzlich aufeinander folgen, die Frage, ob es die Kombination dieser Duftstoffe schon oft gab, etc., etc.

Noch mal zurück zu One Million und den Katzenbäumen: vergleichen wir das nur mal kurz mit Musik. Ein Fußballfan hält mir seine Presslufthupe (oder wie das heißt) ans Ohr und sagt: "Das ist die beste Musik der Welt". Und jemand anderes sitzt in einer Beethoven-Symphonie und sagt, "das ist doch alles langweilige Scheiße, sowas kann ich auch". Beiden ist das URTEIL völlig freigestellt, also ob es ihnen gefällt, also ob Daumen hoch oder runter.

Aber irgendwie würde ich diese beiden Sätze trotzdem so nicht stehen lassen wollen. Obwohl sie Geschmacksfragen betreffen. Denn objektiv betrachtet ist das eine ein lautes Geräusch, das jederzeit von jedem Menschen ohne Vorübung produziert werden kann, das auf Dauer die Ohren schädigt, das daher nervend genannt werden darf (im wörtlichen Sinne: die Hörnerven angreifend) und das auf einem einzigen Ton basiert und das daher zurecht simpel genannt werden muss, ein Geräusch, das auch auf vielerlei andere Art und Weise ganz ähnlich, sogar zufällig zustande kommen kann. Und das andere ist ein komplexes, zahlreichen aufzeigbaren Regeln gehorchendes, technisch schwierig zu reproduzierendes Zusammenwirken vieler verschiedener Töne, Instrumente und Musiker, die sogar einen ausgebildeten Dirigenten brauchen, der das ganze koordiniert. So viel Objektivität muss sein.

Bleibt zuvorletzt noch die Intersubjektivität, ein heikler Fall scheinbarer Objektivität.

Die Intersubjektivität ist weder rein subjektiv noch ist sie objektiv beweisbar.

Auf Parfumo wäre das jetzt ein Duft, der relativ eindeutig in eine Richtung bewertet und beschrieben wird. Dazu ein sehr willkürlich gewähltes Beispiel: Der Duft "Wood Sage & Sea Salt" von Jo Malone wird von sehr vielen Testern als positiv empfunden, hat bei immerhin 374 Bewertungen gerade mal 3 Bewertungen unter 4/10 bekommen, nur 28 von 4 bis 6 und am meisten 9er-Bewertungen, gekrönt von knapp 40 mal 10/10. Das ist stark. Die meisten Kommentare dazu vermitteln noch mehr Einigkeit: süßlich-salzige Erinnerung ans Meer. In fast jedem Kommentar. Bei so vielen subjektiven Einzel-Meinungen, die sich aber dennoch so ähneln, drängt sich der Gedanke auf: dann IST der wohl WIRKLICH so. Aber das wäre zu viel verlangt. Objektiv gut kann auch dieser Duft nicht sein.

Womit wir zur Pseudosubjektivität kommen, also der scheinbaren Subjektivität. Und die nervt mich wirklich ein bisschen. Der Fehlschluss, den Duft gutzufinden WEIL ihn andere gutfinden (was ich wohlgemerkt NICHT den Bewertern des Malonedufts unterstelle!) findet seinen traurigen Höhepunkt in den Youtube-Lemmingen, die Düfte abfeiern WEIL es irgendein Youtouber tut. Ich finde die Idee übrigens super, Düfte in Videos zu besprechen. Ich finde es auch Klasse, wenn mir jemand Düfte empfiehlt (vorausgesetzt er kann mehr dazu sagen als "der Duft ist so geil", da mir sonst die Trennmauer unserer Subjektivität etwas zu massiv vor Augen steht...). Aber hier wird einfach zu oft die Meinung eines anderen als die eigene ausgegeben. Ich kann mir das nur durch Unsicherheit im Urteil erklären. Man hat halt dann keine eigene Meinung zu dem Duft. Ist ja auch völlig OK. Aber warum bloß ihn dann kommentieren wollen? Ein Rätsel... Also FÜR MICH zumindest. Ich-Botschaft! Ganz wichtig! Sonst gibt's hier am Ende noch Streit.

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