Bobby
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vor 3 Jahren - 29.03.2021
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Wörterbuch Parfumo - Deutsch (Teil 3)


Ein paar Wörter fehlten dann wohl doch noch und deshalb ist hier der dritte Teil zur Erläuterung des Parfumo-Fachwortschatzes für alle, die sich manchmal fragen, was eine immer wiederkehrende Phrase denn WIRKLICH bedeuten soll. Dieses Mal geht's um:

42. Adaption, die: Gewöhnungseffekt der Nase, der einen Düfte nach einer gewissen Weile weniger stark wahrnehmen lässt als zu Beginn, auch wenn sie in Wirklichkeit noch genauso stark an sich (und für unbeteiligte Andere...) riechen.

Übern Daumen gepeilt sind vielleicht 99% der ganzen Gruselberichte wie "ich hab jetzt 15 mal gesprüht und rieche nichts, das muss eine Fälschung sein" auf den Adaptions-Effekt zurückführen.

Er hat vermutlich evolutionäre Gründe: Neue Sinneseindrücke sind fürs Gehirn "interessanter", da potentiell Gefahr oder Partner etc. meldend. Ein Geruch aber, der seit 5 Stunden präsent ist, ist erstmal weniger interessant, der wird in der Aufmerksamkeitshierarchie nach weiter hinten geskippt. Daraus folgt leider logisch: Der Effekt ist für einen selbst kaum zu bemerken! Indizien gibt es aber schon: Die stabil hochgezogene Augenbraue des Gegenübers in der Straßenbahn, der demonstrativ verkniffene Mund der Verkäuferin, wenn sie einen bedient, das kurze Ächzen des Passanten, kurz nachdem man vorbeigegangen ist, die eigenen Kinder, die abends so tun, als schliefen sie schon, damit man ihnen keinen Gutenachtkuss mehr gibt - ja doch, das sind Hinweise, die nicht ignoriert werden möchten. Vor allem, wenn man parallel dazu verärgert genau diesem Duft auf Parfumo "SILLAGE 2/10!!" verpasst hat.

Der Prozess der Adaption funktioniert stetig von Minute zu Minute, aber auch von Tag zu Tag, weswegen es sich dringend empfiehlt, nicht jeden Tag den gleichen Duft zu tragen. Für alle jedenfalls, die ihren Partner noch davon überzeugen wollen, dass eine Parfumsammlung objektiv notwendig ist: Hier ist das Top-Argument! A-dap-tion! Man serviere es beiläufig beim nächsten Frühstück, während man ein Ei aufkloppt oder die neue Dose Kaffeeweißer aus der Kammer holen geht. Das wird überzeugen. Weil es so RATIONAL ist. Aus dem Munde eines ansonsten naturgemäß irrationalen Parfumo-Opfers kommt das dann so unerwartet, dass es sitzt: "Wenn ich nur ein einziges Parfüm habe, werde ich das adaptionsbedingt zwangsläufig allmählich immer weiter hochdosieren bis..."

Ja bis was eigentlich? Wohl kaum "bis die Familie darunter leidet", denn die macht die Adaption ja selbst auch in Ansätzen mit, wenn sie einen täglich riecht. Eher schon "bis ich mein Parfüm jede zweite Woche nachkaufen muss". Je nach Parfüm kann das allerdings schon mal bedeuten, dass der Familien-Jahresurlaub gestrichen wird oder dass es statt Nutella nur noch Nutoka gibt.

43. Akkord, der (als Teil einer Duft-Pyramide): in einigen Parfümkompositionen vorkommender gleichzeitiger harmonischer Zusammenklang mehrerer thematisch ähnlicher Duftnoten. Z.B. kann ein Rosenakkord aus Rosenknospe, Rosenblüte und verwelkender Rose bestehen, alles auf einmal oder kurz nacheinander, wie bei einem Arpeggio. Die Wörter wirken durch die Anleihen bei der Musikwelt irgendwie hochwertig, genial und kreativ, aber Akkord steht auch manchmal bei eher billigen Düften drauf um lediglich einen wertigen EINDRUCK zu vermitteln. So nach dem Motto: Wir haben jetzt die Duftnoten, die wir im Einzelnen eigentlich haben wollten, nicht so richtig getroffen, da nennen wir's doch einfach mal Akkord. So entsteht z.B. durch den Versuch, einen Meeresduft hinzubekommen, ein Geruch nach Sonnenmilch mit aufgequollenen Fischresten am Strand samt Fliegen darauf und dann zack, fertig ist der "maritime Akkord". Was zur Zeit "trendet", wie die jungen Leute so sagen, sind übrigens "Luftakkorde": https://www.parfumo.de/Duftnot...

Irgendwie erinnert mich das an "Des Kaisers neue Kleider"... oder, um zur Musik zurückzukommen: Irgendwann hat dann halt einer ein Stück komponiert, das nur aus Stille bestand. Eine leere Leinwand wurde auch schon von irgendwem als Kunst verkauft und irgendwo gibt's wahrscheinlich auch ein Restaurant, in dem man ein Luft-Menü in leeren Tellern bestellen kann (ideal auch bei Diät). Zur Zeit natürlich nur take away!

So geht dann Minimalismus ZU ENDE GEDACHT: ohne Kleidung, ohne Essen, ohne Wohnung, aber ein sehr teures Parfüm mit Luftakkord tragen.

Ich meine, natürlich ist der Geruch, wenn man Luft einsaugt, manchmal großartig, wer wüsste das besser als Parfumos, aber das liegt doch nicht daran, dass es Luft ist, sondern an dem WAS IN DER LUFT ist. Und das wiederum hat dann aber bitte konkrete Namen, wie "Kaminholz" oder "Kaugummi" oder "nasser Wald" oder von mir aus auch "Ozon" oder " Morgen-Nebel".

44. ambriert (Adj.): beschreibt eher eine Parfumgattung als eine einzelne Duftnote, genauer gesagt die Gattung der Düfte mit süßlich-warmem Charakter. Wenn es also um einen ->Kuschler geht und es zudem ->orientalisch sein soll, dann handelt es sich oft um einen ambrierten Duft.

Der Rest dieses Beitrags Nr.44 würde bei Wikipedia mit dem Hinweis versehen "der nachfolgende Abschnitt enthält nicht genügend Belege, hilf, ihn besser zu machen" (oder so). Denn: Ich sauge mir das hier alles zwar nicht aus den Fingern, aber Menschen, die z.B. zu ambrierten Düften promoviert, habilitiert oder schwadroniert haben, werden garantiert einen Fehler finden, da das Thema strittig ist: Es geht um das verwirrende Wortfeld der Amb(-was auch immer)-Düfte.

Ich versuche es mal. *räusper*:

*A* ambriert: süßlich warmer Duft, es MUSS kein Amber oder gar Ambra enthalten sein. Das heißt, ambriert ist quasi ein ungeschützter Begriff.

*B* "grauer Amber", Harzgemisch (bestehend z.B. aus Benzol, Labdanum und Styrax), dazu noch oft mit Vanille kombiniert.

*C* "gelber Amber", in anderen Worten Bernstein, dem man nun wiederum durch den Prozess des Brennens (von wo er seinen Namen her hat) einen harzig-weihrauchigen Duft abgewinnen kann.

*D* pflanzlicher Amber ist Harz aus einem mittelamerikanischen Baum.

*E* Ambra (identisch mit Ambergris), eine extrem teure Pottwalausscheidung, die moschus-tabakartig im Geruch ist und somit doch etwas ziemlich anderes als Amber darstellt und selten Bestandteil ambrierter Düfte ist.

*XYZ*....Der ganze Rest, für die, die es interessiert:

https://www.parfumo.de/Duftnot...

So, amber das endlich auch mal geklärt...

Zuletzt noch einige Beispiele, wie man das Wort im Alltag NICHT verwendet:

1. "Er räusperte sich ambriert und ging zögernd einige Schritte in Richtung Kamin."

2. "Die Sommertage vergingen wie ambrierte Schafe hinterm Deich".

3. "Was Sie da gestern beim Café erwähnten, hat, mich, gelinde ausgedrückt, doch etwas ambriert".

4. "Zwar war sein Gang mittlerweile etwas gebeugt und seine Schläfen weiß geworden, doch erwies er sich immernoch als ausgesprochen ambrierter Gesprächspartner".

5. "Herr Ober, nichts für ungut, aber sind Sie sicher, dass das ambrierte Ochsenbäckchen sind?"



45. Animalik, die: Tiergeruch im Menschen-Parfum. Tja, mag man sich fragen, wozu soll das gut sein? Tiere ihrerseits benutzen doch auch kein Menschenparfüm! Touché, ein gutes Argument.

Die Lösung: Animalik hat etwas mit menschlicher Erotik zu tun, spricht also quasi unsere tierische Seite an, d.h. wir als Halbaffen und Säuger erkennen im Moschus-Zibet-Bibergeil-Ambra sozusagen unsere Abstammung wieder.

Vielleicht, könnte man einwenden, läge ja für uns Androiden ein MENSCHLICHER Geruch trotzdem näher, aber das wäre dann wohl ein bisschen zu Grenouille-gruselig: Man riecht plötzlich wie der Haut- oder Schweißgeruch eines anderen Menschen... Das ist schlicht unheimlich, weil zu ähnlich am Original. Man verliebt sich bspw. in den vermeintlichen Körpergeruch eines Menschen und erkennt irgendwann, dass das gar nicht seiner ist. Brrrr.

Nein, dann doch lieber Tiere.

Wer nun aber selbst im echten Zoo die "allzu präsente Animalik" beklagt, sollte dann doch lieber in eine Gemäldeausstellung gehen oder in eine Schank- bzw. Besenwirtschaft (oder ggf. Brettspielabend).

46. authentisch (Adj.): "echt, verbürgt, als Original empfunden" weiß dazu das echte Wörterbuch. Authentisch bedeutet also das Gegenteil von falsch, verstellt und künstlich.

Ein authentischer Holzduft riecht demnach total echt nach Holz. Wie Holz eben. Manche mögen das, andere wollen NICHT WIRKLICH GENAU wie Holz riechen, man soll also gerade so noch mitkriegen, dass es ein Parfum ist. Geschmackssache...

Für die Authentik-Fans: Ich denke, Demeter macht solche Düfte mit nur einer Duftnote, aber die Marke habe ich noch nicht getestet. Beispiel aus dieser Reihe ist der hier. Ziemlich gut bewertet, da er so authentisch riecht, liest man. Heißt hierzulande Eierlikör und ist somit ein boozy Duft. Und das reicht als Überleitung zu #47:



47. boozy (Adj.): wenn ein Duft angeschickert, also mit alkoholische Note daherkomt. Damit ist nicht der handwerklich notwendige Alkohol gemeint, den man immer direkt beim Aufsprühen wahrnimmt, sondern eine gourmandige, extra eingebaute Getränke-Note, eher selten von Bier, Sekt und Wein, recht häufig dagegen von Rum, Cognac oder Whiskey. Ist als Büroduft, vor allem wenn der Duft ->authentisch ist, eine ausnehmend dumme Idee, falls man nicht schon immer mal wissen wollte, wie so ein Mitarbeitergespräch zum Thema Alkohol am Arbeitsplatz jetzt eigentlich konkret abläuft.

Aber kramen wir doch mal ein bisschen zusammen in der Minibar: Da wären, neben vielen anderen, der Orangenbrandy aus Amouages "Sunshine man", der Rum aus Guerlains "Spiritueuse double vanille" der Whiskey in Nasomattos "Baraonda", etwas Cognac in Tiziana Terenzis "Laudano Nero", ein Shot Tequila in "Tubereuse Organique" von The Zoo und natürlich Absinth, Brandy, Single Malt und Wodka von Kilian, der alten Säufermarke. Von "wirf die Gläser an die Wand" würde ich bei diesen Preisen allerdings eher abraten.

48. cosy (Adj.): englisch für "gemütlich". Wie sagte schon der unglückselige Titanic-Kapitän Edward John Smith, als er in Anbetracht des Eisberges ein letztes Mal großzügig Erolfa auflegte: Je ungemütlicher das Wetter, desto gemütlicher der Duft! So geht es dann also im Herbst und Winter verstärkt in die ->Kuschler- und ->Gourmand-Richtung, was beides Garanten für cosy-Düfte sind. Bertram Douchafour (u.a. tätig für Amouage, Comme de garcons, L'Artisan und Acqua di Parma) hält in einem Interview Vanille, Tonka, Heliotrop und Moschus für die besten Zutaten in einem cosy-Duft.

Der Begriff ist mittlerweile branchenübergreifend fast schon inflationär in Gebrauch: Balea verkauft ein "Duschgel cosy Thailand" (wtf?!), Falke verspricht mit seinen Angora-Socken einen "Cosy Moment" und es gibt eine vegane Duftkerze namens "Cosy Camp". Soso. Oder, wie man in Italien sagt: Cosí, cosí.

49. Drydown, der: nein, nicht Lockdown, ganz ruhig bleiben jetzt! Weiterhin gilt: Ab einer Inzidenz von 35 Grad im Schatten dürfen Friseure mit drei geimpften Haushalten über 80 Jahren unbehelligt im Freien zum Querdenken in die Notbetreuung, d.h. im Wesentlichen alles wie gehabt. Nein, Drydown ist vielmehr das Finale, die Basisnote, das "closing" des Parfums, wenn es langsam ausklingt. Der Name kommt daher, dass diese Phase beginnt, wenn das Parfum auf der Haut trocken geworden ist. Den Begriff gibt es wohl auch noch im Zusammenhang mit der Maisernte, also gewissermaßen im "Maiswesen". Parfüm mit Mais dagegen kenne ich aber nicht, und daher auch keins mit Mais im Drydown. Nur Popcorn gibt's glaube ich als Duftnote, nur weiß ich nicht mehr ob salzig oder süß. Damit kann man dann ins Kino gehen und schön "Black hawk drydown" gucken oder natürlich Tarantinos frühes Meisterwerk "From dusk til drydown".

50. Für den Preis zu teuer: einfach nur das Sinnloseste uns Lustigste, was ich bisher auf Parfumo zu einem Duft lesen durfte. Auch wenns offensichtlich (leider) keine Absicht war: Danke!!!



51. Gedicht, das:

Beliebt in Statements,

Verdichtet den Eindruck.

Drückt mehr aus als da steht.

Tiefsinnige Zeilenum-

brü-

che.

Parfüm-Lyrik:

Kopfkino, flüchtig.

52. Gourmand, der: ein Dessertparfüm, dass nach meist süßen Naschereien oder Getränken duftet, z.B. Schokolade, Karamell, Vanille, Kaffee, Marshmellows etc. Häufig unter den ->Kuschlern zu finden und durchaus beliebt. Wer sich aber eher weniger dafür begeistern kann, äußert sich darüber in Kommentaren oder Statements konsequenterweise wie folgt: "Superlecker, würde ich sofort reinbeißen, aber riechen möchte ich so nicht".

Verrückterweise gibt es reziprok dazu ja auch Essen, das nach Parfüm riecht! Hierzu zählen bestimmte persische Desserts und arabische Spezialitäten mit Rosen- oder Orangenblüten-Wasser etc. Da Geschmack und Geruch so eng "zusammenarbeiten" ist beides, also Schlemmer-Parfüm und Schnüffel-Essen, wenn auch vielleicht gewöhnungsbedürftig, so doch vom Prinzip her erstmal naheliegend.

Vielleicht könnte man einem Parfumo ja eine Freude mit einem Themenmenü machen: Als Vorspeise würde ich z.B. "Acqua Allegoria Mandarine Basilic" mit geeisten Mandarinenfilets und frisch gezupftem Basilikum vorschlagen.

53. Haltet mich für verrückt (aber ich rieche hier): feststehende Formulierung in Statements und Kommentaren. Varianten: "Steinigt mich, aber ich finde riecht wie..." oder "Ich weiß, das gibt einen Shitstorm, aber der hier geht gar nicht..." etc. Eine Phrase für mutige Parfumos und für die Fälle erdacht, wenn man seiner eigenen Nase zwar traut, aber dennoch Respekt vor dem Urteil der Mitparfumos hat: Diese haben ja etwas anderes gerochen und die Duftpyramide gibt das, was man meint zu riechen, eigentlich auch nicht her... da hilft dann nur es tapfer trotzdem schreiben, einleitend mit der o.g. Floskel die eigene Unsicherheit kennzeichnen und... warten. Normalerweise stimmen die nächsten Rezensenten des Duftes dann, solcherart geframt, direkt mit ein. Einmal gerochen, kann man es dann nicht mehr ignorieren: CK "Escape for men" riecht halt einfach nur nach Banane und CK "Eternity for men" nach Bifi. Isso.

54. hautnah (Adj): Bei Kleidung ist skinny fit ja etwas leicht provokativ-Mutiges, bei Parfüm eher das Gegenteil: Je hautnäher der Duft, desto weniger bekommt die Umwelt davon mit. Für einige ist das eine Horrorvorstellung, da sie Parfüm in erster Linie auf der Suche nach Komplimenten auftragen, anderen genügt es, den Lieblingsduft selbst wahrzunehmen und ihn mit dem zu teilen, der ganz nah kommen darf. Mehrheitlich betrachtet ist hautnah aber eher als Negativkriterium gemeint. Etwas Verwirrung möchte ich abschließend noch durch den auch im Forum schon mal diskutierten "Hautakkord" hineinbringen: wie stark darf denn hier dann die Sillage sein? Wäre ein hautnaher Hautduft überhaupt noch sinnvoll?



55. Katzenpipi, das: offiziell unter den ->animalischen Düften nicht gelistet, sondern eher die Beschreibung eines Unfalls: beißender Ammoniak, der einen sofort in die Flucht schlägt. Unnötig zu sagen, dass eine solche Flucht aus der Wohnung eines Katzenbesitzers zwar noch Sinn ergibt, nicht aber, wenn man so ein Parfum selbst aufgetragen hat. Welch traurige Vorstellung: Ein Mensch ist vor sich selbst auf der Flucht und riecht dabei nach Katzenpisse. Kann man tiefer sinken?

56. Kuschler, der: Duft, der zum Kuscheln einlädt. Interpretationssache ist, ob einem einfach so, ohne Objekt, kuschelig zumute wird (also dass man sich quasi "autokuschelig" auf dem Teppich einfach so einrollt und schnurrt), oder ob man mit diesem Duft andere dazu bringt, mit einem kuscheln zu wollen oder ob man selbst in einen kuschel mood in Bezug auf jemanden anderen kommt. Kuschler sind oft unter den ->ambrierten Düften zu finden, d.h. meist warm-süßlich (folglich selten ->unsüß) und nie ->stechend, das versteht sich von selbst. Oder hat schonmal jemand zwei Igel beim Kuscheln gesehen? Na also...

57. linear (Adj.): Ein Duft, der sich nicht entwickelt, also keinen Verlauf hat. Mancher finden genau das gut, andere erwarten eine langsam-stetige Entwicklung über mehrere klar erkennbare Phasen hinweg. Je synthetischer, desto besser stehen die Chancen auf Linearität. Der Charme eines Parfüms mit Entwicklung ist z.B., dass es einen morgens zitrisch-frisch wachmacht, im weiteren Verlauf tagsüber mit der Herznote bei Laune hält und abends gemütlich kuschelig zum Entspannen passt. Allerdings ist's halt auch schwer, Düfte zu finden, bei denen einem dann alle Phasen auch gefallen.

Ein linearer Duft ist somit gewissermaßen eine sicherere Sache.



58. Merkliste, die: entlastet das eigene Gehirn und die Speicherkarte des Handys: keine Screenshots von Flacons, keine digitalen oder analogen Notizzettel mehr, kein Gestotter mehr in der Parfümerie: "Er hieß irgendwie silver pour extrem homme white de cologne oder so..."

Man steuert die Merkliste einfach über das Herzsymbol an, tolle Sache, definitiv. Wenn Parfumo aber irgendwann richtig kommerziell werden würde, und es nicht auf aktuelle Angebote von Ebay und Amazon mehr lediglich verweiste, sondern dazu überginge die Düfte selbst zu verkaufen, wenn also aus der Merkliste der Einkaufswagen würde, ganz ehrlich: Das wäre dann mein sicheres finanzielles Grab. Irgendein Vorgang muss von "das klingt aber lecker!" bis "joah, dann bestell ich das jetzt" noch zwischengeschaltet sein. Das ist bislang gottseidank die Merkliste.

59. Must have, das: ein Parfüm, das angeblich JEDER haben MUSS. Diese unverfrorene Oberflächlichkeit kommt daher, dass manche Zuschauer dem Youtuber das Riechen und Urteilen überlassen. In letzter Zeit gedeihen auf Parfumo Statements voll breitbeinigem Urteil, aber ohne störenden Inhalt: "Den sollte jeder in seiner Sammlung haben", "Pflichtteil für jeden Mann", "Tatsächlich der beste Männerduft auf dem Markt" oder, scheinbar differenziert, aber ebensowenig hilfreich: "Ich mag ihn zwar nicht, aber für die meisten bestimmt ein hervorragender Duft" (Hä?!) ...und ich meine das alles nicht als TEIL eines Statements sondern das IST das komplette Statement... Schon bei Mode, wo es (glaube ich jedenfalls) herkommt, ist das sinnlos, wenn Männerzeitschriften behaupten, dass man bestimmte Basics wie ein weißes T-Shirt oder eine blaue Jeans oder eine schwarze Bomberjacke haben MUSS. Ich habe alles drei nicht und bin sehr glücklich damit. Es ist ja zugegeben noch nachvollziehbar, wenn man das etwas allgemeiner hält: Jeder sollte eine Hose und ein T-Shirt und eine Jacke im Schrank haben. Ist gut. Da geh ich mit. So wie meinetwegen ein Parfumsammler einen ->Kuschler und einen Freshie und einen Ausgehduft haben sollte. Aber genau DIESEN Freshie? Für jeden? Das macht keinen Sinn. Da fehlt mir die grundlegende Annahme, dass die Menschen unterschiedlich sind.

Kurz und klein: Ein Must-have-Parfüm gibt es nicht. Fertigausende.

60. Opening, das (auch Kopfnote, Start, Beginn): das Gegenstück zum ->Drydown. Das Opening hat den Vorteil auf seiner Seite, von jedem wahrgenommen zu werden. Viele von einem Duft enttäuschte Tester verzichten voller Ungeduld, Ekel oder Zeitmangel auf den ->Drydown, aber wohl wenige legen nach dem Aufsprühen den Teststreifen zur Seite und sagen "Ach, diese Kopfnoten interessieren mich nicht so, ich hole ihn in 1-2 Stunden wieder raus und check die Herznote ab".

61. Orientale, der: Bitte passenden Text im Kopf selbst schreiben, der folgende Klischee-Bausteine enthält:

• Aladin und die Wunderlampe

• Al Salam

• arabisch

• aramzamzam

• Bart

• berauschend

• Cumarin

• Diwan

• Ein Märchen aus 1001 Nacht

• El Nabil

• Erdöl

• exotisch

• Explosion für die Sinne

• fern

• fremd

• Gastfreundschaft

• Geheimnis

• Gewürze

• Harem

• intensiv

• Kamel

• Karawane

• Kaschmir

• Leidenschaft

• Luxor

• Luxus

• Maharadscha

• Marrakesch

• Mekka

• Minarett

• Morgenland

• Moschee

• Muezzin

• Nacht

• Nelken

• Nomade

• Opium

• Oud

• Rose

• Safran

• Scheich

• schwer

• schwülstig

• Sultan

• süßlich

• Teppich

• Turban

• unergründlich

• verführerisch

• warm

• wie aus längst vergangener Zeit

• Wüste

• Zimt

62. Projektion, die: Sillage wird gemessen, wenn sich ein Parfümträger bewegt, während Projektion gemessen wird, wenn ein Parfümträger steht. Alles klar?

Falls nicht, hier etwas anschaulicher:

SILLAGE

"Hier riecht es immernoch nach dem Leder von Tabac blond, dabei ist doch die Hilde schon vor 3 Stunden zurück nach Bocholt gefahren" "Ja hast recht, der Hilde ihr Caron hat halt ne beeindruckende Sillage!".

PROJEKTION

"Diese parfümierte Schaufensterpuppe rieche ich immer erst dann, wenn ich näher als 0,25 Meter an sie herantrete". "Jaha, wenn sie ein Mensch wäre, müsste man ihr mal mitteilen, dass ihr Parfüm nur hautnah projiziert". Alltagsnahes Beispiel, gern geschehen.

63. PS, die: meint HS, also Haltbarkeit und Sillage; abgeleitet von Pferdestärken, aber trotzdem nicht unter -> Animalik zu subsummieren.

64. Reformulierung, die: Veränderung der Rezeptur eines Duftes, z.B. erzwungenermaßen, um eine neuerdings (aus tierethischen oder menschengesundheitlichen Gründen) verbotene Chemikalie durch einen Ersatzstoff zu ersetzen oder freiwillig zur Gewinnmaximierung um ein Parfum durch gefälligere Noten aus der Nische in den Mainstream zu bringen. Grundsätzlich scheinen mir Reformulierungen auf Parfumo aber meist ein Grund zur Klage zu sein, ich habe zumindest noch nie lobende Worte zu so etwas gelesen. Eher schon sind die Kommentare dazu eine Mischung aus Klagemauer und "früher war mehr Lametta": Früher hatte der noch Wumms! Früher hatte der echten Moschus! Früher war der nicht so synthetisch! Früher hielt der drei Tage, heute verfliegt er NOCH IM FLAKON! Vor der Reformulierung war er mein Signature, jetzt reinige ich wenns (mir) hochkommt noch meine Gartengeräte damit! Etc., etc.

Neben mit "Batches" und "Gewicht von leerem Flakon" jedenfalls ein beliebtes Dauerthema im Forum. Alltagstauglichkeit ist übrigens auch bei diesem Begriff gegeben: Soukanfrage -> "Alter gib den Flakon her, ich brauch den!" Antwort: "Deine Ausdrucksweise lässt etwas zu wünschen übrig, könntest Du deine Anfrage bitte reformulieren?".

65. Sammlung "hatte ich", die: kann man im eingeloggten Zustand über das Herzsymbol ansteuern. Das ist wirklich die reinste Poesie über die Vergänglichkeit allen schönen Seins. In dieser Sammlung sammelt man das pure Nichts. Es handelt sich ja um eine Minus-Anhäufung: Die Flakons, die man hatte, hinterlassen quasi ein bleibendes Zeichen ihrer Abwesenheit, Lücken, die man sehen kann. Damit ist im Prinzip auch endlich die Frage beantwortet, ob es das Nichts gibt: Ja doch, und man kann es sogar sammeln. Heidegger hätte seinem Spaß gehabt. Bestimmt hätte er Tannendüfte gemocht, der alte Schwarzwald-Zausel.

66. Sharing, das: "Teilung" eines Flakons in mehrere Abfüllungen. Ein möglicher Grund: Schadensbegrenzung. Man kauft einen Duft, und zwar blind, er ist scheiße, voila, man verkauft ihn scheibchenweise weiter an Leute, die der Meinung sind, dass er gut ist. Da ist sogar noch Gewinn drin, was bei simplen Flakonverkäufen (zumal angebrochen...) nicht vorkommt - hier ist ein Wertverlust vorprogrammiert. Andere dagegen kaufen einen Flakon extra, um ihn dann zu sharen. Das ist die finanziell abgefederte Variante eines blindbuys und zudem eine feine Geste, um mehrere Interessenten an einer Verkostung teilhaben zu lassen. Oft sind die Listen schnell voll, genau wie beim ->Wanderbrief heißt's also schnell sein. Ein bisschen ist die Teilnahme am Sharing daher Glückssache, in etwa wie bei "Stein, Share, Papier".



67. Souk, der (auch als Verb souken): Parfumo-interner Reste-Basar, kommt begrifflich aus dem Arabischen, läuft hier aber oft recht deutsch ab: "Guten Morgen! Ich hätte gern 400 g Gehacktes halbhalb aus Ihrer formidablen Leder-Rauch-Sammlung und eine kleine Schale von dem was da so lecker aussieht da hinten in der Nische, was ist das genau, ahso, aha, ja klingt gut, was kostet das, ach, da steht's ja, jawohl, knallhart kalkuliert, inklusive 1,79€ für Glaszerstäubervorrichtung sowie 1,36€ für nagelneuen und erdbebenversicherten Polsterumschlag (*kram im paypal-Portemonnaie*) bitte hier, ich habs passend, gerne wieder, netter Kontakt, danke tschüß". Wie beim Metzger gibt's dann oft noch eine Scheibe Lyoner, äh, ein Gratis-Pröbchen obendrauf, zur Kundenbindung. Ende Gelände. So lob ich mir das... Wer das Souken entdeckt, spart sich jedenfalls sinnlose Blindkäufe. Macht man ja beim Metzger auch nicht! Das Auge isst eben immer mit.

68. stechend (Adjektiv): Schmerzgefühl, das wenig ausbalancierte Düfte in der Nase hinterlassen. Dies passiert z.B. durch Klostein-Säure, ->Katzenpippi oder Stechapfel (naja, Stechapfel sticht eigentlich nicht, er tötet, was bei Parfüms zum Glück noch nicht dokumentiert ist).

69. unsüß (Adj.): Vielleicht als Wort etwas unbeholfen, aber doch sehr notwendig, da es sonst kein Adjektiv dafür gibt, dass etwas nicht süß ist, außer man sagt "salzig" oder "sauer", was aber nicht das Gemeinte ist. Wird häufig mit dem Unterton eines erleichtert-dankbaren Seufzers von denen verwendet, die sich in ihrer Jugend noch nicht mit Baklava-Düften wie "One Million" die Schleimhäute verätzt haben; es ist das Codewort, mit dem wir uns zuraunen: "Pssst.... Hier kannst du zugreifen ohne Nasen-Diabetes zu bekommen! Hier kriegst du kein Karies beim Einatmen! Hier ist sirupfreie Zone!".

(One Million, das sei zu seiner Verteidigung gesagt, ist gleichwohl ein moderner Duftklassiker).

Zwischenmenschlich ist das Wort übrigens auch ein ganz praktischer Begriff, um eine halbwegs empathische Abfuhr zu platzieren: "Sorry, ich mag dich zwar echt gern, aber ich finde dich unsüß".

70. Vibe, der: Oberbegriff für Schwingungen, Stimmungen und Gefühle, die ein Duft vermitteln kann. Beispiel: Ein Patchouli-Hanf-Blumen-Haarspray-Duft kann einem den Flowerpower-Vibe von 1968 über die Nase ins Gedächtnis zaubern. Perfektes Wort, um im Statement flugs das eigene Gefühls- und Assoziationschaos beim Riechen eines neuen Dufts zu Display zu bringen. Vibe gehört somit zu den wichtigsten Begriffen im Duftkosmos, wenns darum geht, die transportierten Assoziationen mitzuteilen (vgl. hierzu auch die Redewendung "Wein, Vibe und Gesang").



71. Wanderbrief, der: Brief mit Parfümproben, der zu mehreren Parfumos auf die Reise geht, die alles davon testen, was sie interessiert, um im Gegenzug ihrerseits ungeliebte Proben dazuzulegen. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen dieses Grundprinzips, die unter den "Regeln" individuell definiert werden.

Wanderbriefe haben was von einer zeitversetzten Tupper-Party, nur günstiger.

Klassisches win-win möchte man meinen, auch wenn es wohl vereinzelt zu dramatischen Szenen kommt: Moralisch verkommene Subjekte bereichern sich an der Gutgläubig- und Großzügigkeit Einzelner um wertige Duftproben abzugreifen und auf Ebay zu verschachern. Naja, wie im echten Leben ist hier eben alles dabei...

Manche Parfumos lauern den lieben langen Tag im entsprechenden Forumsbereich herum, sie schlendern auffällig-unauffällig mit den Armen, pfeifen ein Liedchen und man denkt an nichts Böses, aber wehe, ein neuer Wanderbrief-Eintrag wird veröffentlicht! Binnen Sekunden schnellt das Krokodil aus dem Wasser und antwortet, auf dass der Strom der Gratisproben nur ja nicht abreiße, was unwahrscheinlich ist, wenn man an 10 Wanderbriefen gleichzeitig teilnimmt.

Das Wort Wanderbrief gefällt mir übrigens auch deshalb so gut, weil es mich auf eine mittelalterliche und sozialromantische Retro-Art an "Handwerker auf der Walz" und "Gesellenbrief" erinnert. Das Bild oben zeigt den Wanderbrief des Kürschnergesellen Ehrenfried Pentzsch zu Dresden aus dem Jahre 1756. Da bekomme ich so eine unbegründete historische Gänsehaut, wenn ich das lese. Es gibt aber auch heute noch ein paar coole Berufe, in denen man einen Gesellenbrief erlangen kann, z.B. "Edelsteingraveur", "Büchsenmacher", "Wachszieher", "Holzspielzeugmacher", "Glasveredler".... Aber Parfumeur? Ist in Deutschland nicht staatlich anerkannt. Stattdessen kann man hierzulande nur ein "Studium Lebensmitteltechnologie – Kosmetische Produkte und Waschmittel" absolvieren. Arrgh, das klingt so fürchterlich amtlich-prosaisch... Da muss ich ganz schnell irgendeinen ->ambrierten ->Kuschler auflegen, um diesen ->stechenden ->Vibe wieder loszuwerden.

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