Coriolon
Coriolons Blog
vor 12 Jahren - 23.12.2011
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eine kleine Weihnachtsgeschichte

Für meinen ersten Blog-Beitrag lasse ich mich von der augenblicklichen Weihnachtszeit lenken.

 

Es war kurz vor Weihnachten 2005 als ich nicht nur aus Jux und Dollerei sondern auch mit ernsthaftem Interesse die damalige Counterleiterin im KaDeWe fragte, ob ich an einem der Dezember-Samstage das dortige Team im Verkauf unterstützen könnte.

 

Ich hatte mit einer Ablehnung gerechnet. Wider Erwarten kam das OK und ich war voller Vorfreude auf diesen Tag.

Schnell wurden im Vorfeld noch alle in Deutschland erhältlichen Referenzen gelernt, die wichtigsten Produktpreise gedanklich aufgefrischt. Den für diesen Tag besten Anzug reinigen lassen, allen Freunden und Bekannten die Information gegeben…..

 

Der große Tag kam.   

Vor der Kür aber kam noch die Pflicht. Die Vorstellung bei der Abteilungsleiterin.

Wie ein kleiner Schuljunge stand ich da in ihrem kleinen Büro. Sie, in ihrem Bürostuhl sitzend, schaute mich von den Schuhen bis zum Scheitel an. „Und Sie können verkaufen?“ bei der Frage meine beiden Hände greifend. (Hände sind ja eine Art Visitenkarte und sicherlich wollte sie prüfen, ob diese auch in einem würdigen Zustand für dieses noble Kaufhaus wären).

Ich nannte ihr den Titel, den ich in damaliger Zeit in der Bank hatte. Offensichtlich mit allem zufrieden verabschiedete sie sich mit einem leichten Lächeln und den Worten „Na, dann wünsche ich Ihnen viel Spaß“.

 

Nun bin ich ein Kind dieser Stadt. Ich bin es gewohnt jeden Tag mit tausend anderen in der U-Bahn zu fahren, auf der Straße unterwegs zu sein. Große Menschenansammlungen stören mich nicht.

Im KaDeWe ist zur Weihnachtszeit der Teufel los. Wenn man in der sich bewegenden, fließenden Masse befindet, ist die Welt eigentlich (für mich) in Ordnung. Ist man nun fest an einem Standort und sieht die Massen an einem vorbeiziehen ist es was anderes. Spätestens nach 2 Stunden schwirrte mir der Kopf. Nun ist der Guerlain-Counter auch in der Hauptachse des Kaufhauses zu finden und was ich etwas problematisch finde, es gibt keinerlei Rückzugspunkte; er ist von allen Seiten begehbar.

Ich war trotz der widrigen Umstände begeistert. Gefühlt hatten über 50% aller Käufer am Counter bereits ganz klare Vorstellungen. Ich brauchte nur in die entsprechenden

Schubladen zu greifen um die „Schätze“ hervorzuholen: hier mal 30 ml Extrait Vol de Nuit, dort den Parfumzerstäuber von L’heure bleue, die komplette Badeserie von L’Instand de Guerlain. „Haben Sie den Bienenflakon von…?“ „Nein, den habe ich vorhin gerade verkauft, aber ich bestelle Ihnen gerne einen. An welche Adresse bitte dürfen wir die Lieferung vornehmen?“  

Die ganze Vielfalt von Guerlain wird wirklich hier abgefordert und wie sagt der Berliner?:  „jeht weg wie jeschnitten Brot“. 

Es kaufen einerseits viele Touristen, andererseits kommen sie aber hier speziell zum Zuge: die reichen Berliner Witwen. Mit flottem Berliner Mundwerk, aber dem Herzen am rechten Fleck, im wärmenden Pelz gewandet tragen sie unter anderem zum starken Umsatz des Hauses bei. Ich stelle sie mir in ihren Villen im Grunewald oder noblen  Nikolassee vor. Mit einer Taxe haben sie sich vorfahren lassen und bei einem Täss’chen Kaffe mit Kuchen (in den mittlerweile –Gott sei Dank-  geschlossenen Silberterrassen) werden sie ihren Einkaufstag beenden.

Eine wahre Wonne, sie zu bedienen.

 

Im späteren Nachmittag fiel mir eine kleine, eher unscheinbare Frau im jüngeren Rentenalter auf. Ihrem Erscheinungsbild nach kam sie nicht aus Berlin. Immer wieder sah sie sich um, schaute auf den Guerlain-Schriftzug über dem Counter. Man merkte es ihr an, dies war nicht ihre gewohnte Umgebung.

Ich sprach die Dame an.

Etwas zögerlich kam sie mit mir ins Gespräch. Sie wäre nach Jahrzehnten mal wieder in dieser Stadt, wäre der Einladung einer Schulfreundin gefolgt und nun käme sie hier

am Guerlain Counter vorbei und ihre Jugend fiele ihr ein.

Ich wurde aufmerksam.

Ihr erster Freund und Liebhaber hätte ihr zum Weihnachtsfest ein ganz besonderes Geschenk gemacht. Ein Guerlain Parfum.

Nun wurde ich neugierig.

Nein, sie wisse nicht mehr, wie der Duft hieß, es war ein schöner Flakon und der Duft

wäre so zauberhaft gewesen. Sie schaute auf den „Duftpilz“, was aber eher verwirrend als zielführend war.

In mir begann es zu rattern. Wann hätte sich das Ganze abspielen können? Gut 40-45 Jahre zurück. Welche Guerlain-Düfte gab es damals in Deutschland? Welche sind noch heute im Sortiment? Welche gibt es nicht mehr?

Ich war mutig. Ich nahm einen Duftstreifen, sprühte den Duft, den mir mein Bauchgefühl verriet, bat die kleine Frau die Augen zu schließen. Sie nahm den Teststreifen, schnupperte.

Sie blieb ganz still und ruhig, die Augen immer noch geschlossen.

Eine Träne lief über ihre Wange.

Sie griff nun meine beiden Arme und zog mich runter zu ihr (mit 190 Körperlänge

bin ich nicht der Kleinsten einer), sie drückte mich und rief „Ich könnte sie küssen!“.

„Sie haben mir so eine große Freude bereitet. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben, diesen Duft noch einmal riechen könnte. Sie haben mich beschenkt“.

 

Ich war von dieser Szenerie berührt, etwas verschüchtert aber auch stolz. Denn es war wirklich ein Glücksgriff. Mein Bauchgefühl hatte mich nicht belogen.

Ich hatte Chant d’Arômes gesprüht.

 

Glücklich zog die kleine Frau von dannen.

Auch ich war glücklich, glücklich ob der gerade erlebten Situation, glücklich mal einen Tag lang in den Beständen eines Guerlain Sortiments zu „wühlen“.

Ich war aber am Abend auch „platt“. Und ich denke nun häufig an all diejenigen, die den ganzen langen lieben Tag sich im Verkauf befinden. Meine Hochachtung.

 

 Die kleine Frau ist mir neulich erst wieder mal eingefallen. Und eigentlich passt doch hier eine Aussage von J.P. Guerlain hervorragend:

Ein Parfum ist die intensivste Form der Erinnerung.

 

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