Flaconesse

Etwas skeptisch nahm ich gestern die Packung mit Comptoir Sud Pacifique's Vanille Extrem aus dem riesigen Ebay-Paket meines bevorzugten Parfümdealers. Hatte ich doch tatsächlich für 20€ „nur“ eine 30mL Flasche ersteigert? Ich schüttelte innerlich den Kopf über so einen überteuerten Preis und den Faux-Pas meinerseits, kontrollierte meine Kaufübersicht und musste feststellen, dass der Verkäufer tatsächlich den richtigen Flakon geliefert hatte. (Wie bereits aus meinem letzten Blogeintrag herauszulesen ist, bin ich mittlerweile, nach einem Jahr der intensiven Parfümrecherche, Internetprofi und hätte sicherlich nicht 26,75€ als Höchstgebot abgegeben.) Sei es drum, ich habe zu hoch gepokert und das Fläschchen ist jetzt bei mir, machen wir das Beste draus.
Ich nahm das silbrig eingefärbte, schwere Glas aus der Verpackung öffnete den Deckel und schnupperte am Sprühkopf. „Na toll, schon wieder so eine überzuckerte Vanilleduftkerze“ schoss es mir durch den Kopf und das Urteil meines Freundes mit „Bleib mir bloß weg mit dem Zeug“ fiel nicht gerade positiver aus. Also testete ich ein erstmal fröhlich die anderen Schätzchen aus der Wunderkiste und stellte die extreme Vanille beiseite. Zu fortgeschrittener Stunde an diesem Abend, wir hatten gerade beschlossen Popcorn zu machen, das andere getestete Parfüm war bereits verflogen, fiel mein Blick auf den leuchtend türkisen Karton. Einmal sprühen kann nicht schaden, dachte ich, zumal ich gerade sowieso einen schier unstillbaren Süßhunger, den Feiertagen sei dank, empfand. Hui, was ist denn das? Jauchzte meine Nase vor Verzückung, zarte Vanille angeführt von einem Sturmtrupp aus marzipanartigem Heliotrop und warmer Milch. Selig saß ich die restliche Nacht aus dem Sofa, Schokopopcorn in der einen, Vanillemilch auf der anderen Hand, knusperte und schnüffelte abwechselnd, der Ärger über den vermeidlichen Fehlkauf war ganz verflogen, denn Vanille Extrem ist tatsächlich der schönste Duft aus dem diesmonatigem Testpaket und auch jetzt am nächsten Morgen nehme ich noch eine dezenten dezenten Vanillehauch war. Die olfaktorische Rettung und ein wahrer Seelentröster für ungemütlich-kalte Januartage. Ende gut, alles gut!

Sehr lange habe ich mich davor gescheut meine erste Parfüm-Review zu verfassen. In Besorgnis darüber, den Duft nicht ausreichen von allen Facetten beleuchtet und in seiner Gänze erfasst zu haben, machte ich mir zwar immer wieder Notizen zu den getesteten und getragenen Parfüms, eine vollständige Beschreibung scheute ich dennoch. Als ich heute morgen jedoch Flowerparty by Night nach einiger Zeit wieder aufsprühte, wusste ich, dieser Duft ist es wert, genauer beleuchtet und mit meinem ersten Kommentar gewürdigt zu werden:
 
„Ich stehe am Bahnsteig, warte auf den Zug, der mich in die Stadt bringen soll, die auf der einen Seite schon verheißungsvoll glitzert. Auf der anderen Seite sind die letzten orangeroten Himmelsreste des farbenprächtigen Sonnenuntergangs sichtbar. Langsam legt sich beschützend, ja fast tröstlich die Nacht darüber. Sie schlägt ihren tiefblauen Samtumhang auf, einen Jeden einladend sich darin einzuhüllen“ schrieb ich gestern auf dem Heimweg in mein Handy. Die letzten Septembertage sind angebrochen, an denen das Thermometer tagsüber auf angenehme 20 Grad klettert, abends jedoch rapide abfällt, sodass auch der heutige morgen, außerhalb der Heizperiode, so kalt ist, dass ich selbst im Schlafzimmer unter der Decke, im Kuschelanzug leicht friere und keinesfalls aufstehen möchte. Da mein Wecker zum gefühlt 10.Mal zwitschert und sich inzwischen das Handy meines Freundes mit chinesischem Gongspiel dazugesellt, wage ich den Schritt in die Kühle. Unschlüssig darüber welcher Duft meine heutige Stimmung am besten wiederspiegelt.
 
Zurechtgemacht stand ich wie an so manchen Morgenden etwas ratlos vor meinem Parfümschrank, auf der Suche nach dem für den heutigen Tag passenden Duft, da streifte mein Blick den dunkelblauen Blütenflakon von Flowerparty by Night. Direkt hatte ich das Bild der gestrigen Abendszenerie vor Augen, denn genauso fühlt sich dieser wahnsinnig schmeichelnde Duft an: dunkelblau und samtig. Tiefrote, fast lila farbene Beeren strömen mir entgegen (nicht ganz so quietschig und hell, wie die der Originalversion von Flowerparty), gefolgt von einer lakritzigen Süße, abgerundet durch samtige Mandeln. Im Verlauf werden die Beeren zunehmend gedimmt und eine cremige Vanille betritt das Feld. Es ist jedoch kein Duft mit einer starken Entwicklung, der warme, samtig-süße Duftcharakter bleibt von Anfang bis Ende bestehen, bei einer guten Haltbarkeit und Sillage. Über den Arbeitstag kann ich ihn bis zum Feierabend an mit wahrnehmen. Entgegen des Namens rieche ich jedoch kaum/keine Blumen.

Immer, wenn ich ihn auflege, denke ich zurück an eine schöne Zeit Anfang Oktober 2014, zu der ich ein Seminar in Südfrankreich, an der Cote d'Azur besuchte. Goldenes Licht trifft auf eine vom Hochsommer gewärmte Erde und ein ebenso aufgewärmtes, ruhiges Mittelmeer. Eine Feriensiedlung angelegt im Stil eines alten französischen Dorfes, gestrichen in Sonnenblumengelb und saftigem Orange, mit kleinen Häuschen, Gassen und Brücken, Souvenirgeschäften und einem äußerst delikaten 3 Gänge-Menü zur Mittags, ebenso zur Abendzeit. Ja der Franzose weiß es zu Leben.
Zu dieser Jahreszeit blüht Flowerparty by Night am schönsten auf, wenn der Sommer sich langsam abkühlt und die Nachmittage trotzdem warm genug sind, um das Leben draußen zu genießen. Abends macht er eine besonders gute Figur, wenn etwas Üppigeres als Eau de Colognes angesagt sind. Sogar verführerische Qualitäten würde ich ihm zusprechen, denn dieser softe Gourmand lässt einen zum anbeißen duften ohne zu viel aufzulegen oder klebrig süß zu sein.

Und dabei lernte ich seine Schönheit erst auf den 2.Blick zu schätzen: Bestellte ich ihn aus einer schieren Kauflust heraus: Gerade erst hatte ich die originale Summerparty nach vorherigem Testen im Geschäft via Internet geordert, bekam jeden Monat die bekannten Werbeblättchen in den Briefkasten und studierte diese brav. Eines enthielt einen Rubbelfeld für die by Night Version, welche ich direkt testete und 2 Minuten später orderte. Dabei sind diese Trockentests, wie wir Parfumos wissen, nicht gerade repräsentativ. Die ganze Spritzigkeit der Kopfnote geht flöten, von guter Haltbarkeit und Duftverlauf ganz zu schweigen.
Angekommen fristete das kleine blaue Blumen-Fläschchen ein eher unspektakuläres Dasein im verschlossenen Kleiderschrank, bevor ich mich einige Monate später dazu entschied, ihn auf diese Geschäftsreise mit zu nehmen.

Kurzum, bei Yves Rocher versteckt sich ein Schätzchen, dass sich lohnt entdeckt zu werden, auch wenn es nicht in allen Geschäften geführt wird, Online ist es erhältlich, höchst erschwinglich und sollte in keiner Sammlung eines Gourmand- und Lakritzliebhabers fehlen. Ich halte meinen Flacon in Ehren, werde ihn an jedem 9.Monat des Jahres hochfeierlich ausgraben und in seinem samtig-blauen Umhang eingehüllt in manche Spätsommer-Nacht entschwinden.