Jo13579

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Jo13579 vor 3 Jahren 12 12
8.5
Duft
Von der Sierra hinab, zum Pecos hinunter
Mehrere Monate hatte es mich in der weiten Prärie Nordamerikas umhergetrieben. Zwischen dem Mississippi und den Rockies hatte ich manches Abenteuer erlebt, entsann mich jedoch der Abmachung, die ich mit meinem roten Bruder getroffen hatte. In der Sierra Madre wollten wir uns treffen, an einem klaren Gebirgsbach, sobald die dort stehende, einsame, alte Eiche mittags einen Schatten wirft, dessen Länge fünfmal die meinige beträgt.
In der Ferne, über den zerklüfteten Gipfeln der Sierra, sehe ich die Sonne aufgehen, deren warme Strahlen mein Gesicht kitzeln. Morgentau ist auf den Gräsern und Kräutern zu sehen. Beifuß, den indianische Squaws in den Zelten verbrennen, und wild wachsender Thymian, dessen Würze der Jäger im Norden für den Elkbraten zu nutzen weiß, verbreiten einen öligen Geruch. Vom mich umgebenden Gras steigt ein aromatischer Dunst auf, dessen Schwaden bald der Wärme der rasch aufsteigenden Sonne erliegen. Bis zum Mittag reite ich weiter und weiter in die Sierra hinein. Die kargen Hänge und trockenen Sträucher kratzen leicht in der Nase, werden jedoch noch vom Rauschen des kühlen, klaren Baches aufgefangen, nahe dessen ich die verdorrte, doch noch immer majestätische Eiche erblicke. Mein Bruder ist nicht zu sehen, doch fällt mir auf, dass in einem Astloch des Baumes ein ebenso verdorrter Zweig steckt, welcher jedoch einer Fichte entstammt. Dieser muss aus dem Norden hergebracht worden sein, und als ich ihn herausziehe, bin ich in meiner Vermutung bestätigt. Ein Stück Papier ist darum gewickelt, und in akribischer, schöner Schrift eine kurze Nachricht verfasst, welche mich auffordert, schleunigst nach dem Río Pecos zu eilen. Ein gemeinsamer Freund sei in Gefahr, gemeinsam müssten wir ihm in der Dürre der Staked Plains zur Hilfe eilen.
Nachdem mein Rappe vom Wasser des Baches getrunken hat, mache ich mich auf nach Süden. Der gemütliche Trab des Vormittags ist einem ausdauerndem Galopp gewichen, sowie die letzten Hügel der Sierra in das trockene Hochgras der Steppe übergegangen sind. Die Hufe des kräftigen Arabers wirbeln den Staub auf, der sich auf die angedörrten, gelben Gräser legt. Die Sonne des Nachmittags wärmt angenehm, denn die knallende Hitze des Spätsommers ist längst den milden Strahlen des Herbsts gewichen. So schlage ich in der Dunkelheit mein Lager auf, wärme mich am leichten und sanften Rauch der trockenen Feuers, um mit der aufgehenden Sonne dem Fluss entgegenzureiten, dessen feuchte Kühle die letzten Spuren des Geruchs der Prärie tilgen wird.

Danke an Medianus für die Probe, Chizza für seinen inspirierenden, schönen Kommentar unter Meinem, und Herrn May dafür, dass ich meine Worte dem Anfang eines seiner Werke entlehnen durfte ;-) Old Surehand I sei an dieser Stelle jedem empfohlen, genauso wie der Duft. Der gefällt mit richtig gut.
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