KaliP

Letztens stolperte ich in einem Douglas über die Jo Malone Theke. Endlich mal.
Zwei Favoriten.
Eine Bestellung.
Ausgiebiger Test bei Ankunft.
Basil & Neroli - ich dachte an gut situierte, ältere Damen mit sehr teuren Lederhandtaschen und Pelzkrägen,
die im KaDeWe ihre Einkäufe erledigen. Sie sind gehüllt in elegante Stoffe und diesen Duft, den sie in den Gängen des Luxus-Kaufhauses zwischen Kaschmirpullovern, Edelbitterschokoladen und Champagnerflaschen zurück lassen.
Ich sehe High Tea und englische Dekadenz mit goldenen Löffeln und clotted cream.
Jetzt möchte ich gern Brokat tragen und Samtpolster streicheln, dunkle Hölzer um mich und einen teuren Whisky.

Die großen Fenster in Wohn- und Schlafzimmer sind weit geöffnet. Von weitem hört man bereits den Donner, noch leise und schwer von einem LKW auf der Landstraße zu unterscheiden, doch es ist Sonntag.
Aus lauter Tollpatschigkeit sprühe ich mir Mon Paris direkt ins Gesicht. Kein Scherz, ich rette mein Auge nur knapp vor dem großen Tropfen, den ich nicht erwartet habe.
Ich kann sogar etwas über den Geschmack des Parfums von Yves Saint Laurent sagen… nicht empfehlenswert.
Es ist herb und frisch. Erinnert mich an Sommertage in vollen Fußgängerzonen finanzkräftiger Städte, wo viele Frauen viel auf sich halten. Dort in den Boutiquen und Cafés riecht man so.
Oder bei Douglas. Wenn man rein kommt, ist das in etwa dieser Grundduft, der einen empfängt.
Es ist irgendwas fruchtig, doch das geht schnell vorbei.
Inzwischen, ein Gewitter später, langweilt es mich wie all die neuen, die sich anders nennen und doch gleich duften. Etwas warm, etwas Sekt, etwas schickimicki, zu wenig aufregend und überhaupt nicht anders. Zu viel Citrus erinnert mal wieder an diverse Reiniger… bin genauso wenig ein Fan wie von Black Opium und seinen Geschwistern. Langsam wird mir YSL parfumtechnisch immer unsympathischer.
Ich bleibe also auf dem Pfad der Suche und bin froh, dass es sich hierbei nur um einen kurzen, harmlosen Schauer in Form einer Gratis-Probe gehandelt hat. Wobei ein echter Einschlag mal wieder Licht ins Dunkel gebracht hätte.

Im Wartezimmer der Physiotherapie saß ich und blätterte gelangweilt in einer Illustrierten. Ich war vielleicht 10 Jahre alt. Ich entdeckte auf einer etwas dickeren Seite eine Duftprobe von Tendre Poison. Eine dieser mit abziehbarer Alu-Folie, wohinter sich ein zellstoffartiges, in Parfum getränktes Stück irgendwas verbarg.
Ich mochte es irgendwie.
Besonders allerdings mochte es meine Oma, wegen welcher ich überhaupt in genanntem Wartezimmer saß.
Sie war komplett hin und weg, wenn ich ehrlich bin.
Keine Woche später stand eine kleine grüne Flasche in ihrem Badezimmer. Teuer für den Geschmack meiner Oma, die seitdem nie wieder so viel für einen Duft ausgegeben hat. Das spricht mehr als alles für die magische, faszinierende Aura, die dieser Duft für sie verströmte.

Heute gibt es die vielen verschiedenen Varianten von Diors Poison. Keins davon hat je an Tendre heran gereicht. Ich bin inzwischen 30 und suche seit Jahren nach einer erschwinglichen Flasche, um meiner Oma noch einmal das Vergnügen dieses einzigartigen Aromas zu machen.
Über 100€ für 30ml sind vielleicht gerechtfertigt, weil die Herstellung dieses einen speziellen Posions inzwischen eingestellt wurde, doch so bleibt mir dieses Geschenk und meiner Oma der Herzenswunsch, noch einmal Tendre Poison zu besitzen, unerreichbar. Ganz abgesehen davon, dass man nicht wissen kann, ob ein so in die Jahre gekommener Duft nicht längst umgekippt ist, wenn man ihn erst einmal von privat erwirbt.

Ich kann mich erinnern, dass dieser Duft von dem Tag an der meiner Oma war. Sie duftete immer danach. Für mich war das der Duft von Geborgenheit, Fürsorge und einem warmen Zuhause. Kennt ihr das? Ihr erinnert euch weniger an eine bestimmte Situation als an einen Duft, den ein Mensch an sich hat? Ihr verbindet diesen Duft mit Erlebnissen oder einem Lebensabschnitt - ich verbinde Tendre Poison mit meinen Besuchen bei meinen Großeltern und der besonderen, herzlich-liebevollen Stimmung, die es so nie wieder geben wird.
Das wird auch dieser Duft nicht ändern, doch er erweckt Erinnerungen, Gefühle.
Ich war sorglos, frei und meine Probleme waren Kinderkram. Ich lag auf Wiesen in der Sonne, spielte mit Freundinnen im Matsch und vom Balkon aus winkte uns meine Oma.
Ein größeres Herz habe ich nie gekannt.

... zumindest in meinem.
Die Dame in der Parfümerie machte große Augen, als ich sagte, ich würde einen Duft suchen, der anders als die anderen sei.
"Der ist auf jeeeden Fall anders!" sagte sie verschwörerisch, als sie den Streifen eindieselte.
Schon wenn aus dem Zerstäuber ein halber Liter Flüssigkeit entweicht, bin ich bereits abgeneigt.
Welch eine Verschwendung!

Dann entwickelt (?) sich der Duft und ich denke: Gummibärchen.
Zuckrig-süß und etwas chemisch. Ganz klar die heutigen Lieblingssüßigkeiten der Kinder - bunt, zäh, klebrig und voll dieser Stoffe, die aufgrund problematischer Aussprache nur noch eine E-Nummer bekommen.
Ich habe den Teststreifen in der Tasche und schnuppere unterwegs immer mal wieder daran. Vielleicht ändert sich der Eindruck noch?
Ja, er erhärtet sich, sodass ich nur noch mehr überzeugt bin: Gummibärchen. Und nichts als Gummibärchen.
Trolli, Haribo und Co. haben endlich einen Duft - und dass der von Gaultier kommt, beschämt mich und meine langjährige Beziehung zu "Le Male", der für mich (nebst einem anderen) immer wieder DER eine Herrenduft sein wird.
Ich bin jetzt mal ehrlich: es ist ein Skandal, dass dieser billig-kitschig-kinderkramige Duft aus einem doch recht interessanten (irgendwoher kenne ich das Design?) Flakon aus diesem Hause stammt. Und man ihn mir noch als etwas Besonderes verkaufen will. Klar, die Verkäufer machen auch nur ihren Job, doch inzwischen münden alle Drogerie-und Parfümerieprodukte in ein und denselben Strom. Ich hasse es.

Somit hat der Name irgendwie seine Berechtigung, wenn auch nicht wie erhofft.
In meinen Sperrbezirk wird Scandal sich jedenfalls nicht verirren.

Nachdem ich mir eine Abfüllung des Duftes habe senden lassen, war ich zuerst etwas irritiert. Da musste doch etwas schief gelaufen sein beim Umfüllen, irgendwas riecht da seltsam. Nicht schön sondern bitterlich und alt.
Dann kam nun die Probe, die unmöglich in irgendeiner Weise verunreinigt sein kann... ich muss mich seither für meine unpassende Vermutung entschuldigen.
Da stimmt doch was nicht?
Zuerst ist es wirklich ein leckerer Duft, der frisch und spritzig daher kommt und meine Nase erfreut. Dan drängelt sich etwas dazwischen, wovon ich fast einen Würgereiz bekomme. Ich kann es gar nicht recht zuordnen, doch es erinnert mich an der Geruch einer frisch aufgeschnittenen Vanilleschote. Diese widerliche Bitterkeit statt des süßlichen, warmen Vanille Aromas, was man gewöhnlich findet, ist mir ein echter Graus und verschwindet auch nicht weit genug um mich mit Aura zu versöhnen.
Für mich ist diese Note ein so starker Störfaktor, dass ich die anderen gar nicht mehr würdigen kann.
Es wirkt für mich wie ein nasser Haufen Laub im Garten, der bereits begonnen hat, sich zu zersetzen. Wie alte Kartons mit Lumpen im Keller, die nicht mal mehr in die Altkleidersammlung gehören. Und je wärmer meine Haut ist, desto mehr überwiegt diese Nuance. Er liegt mir regelrecht auf der Zunge, also an Kraft und Elan hat der Duft genug, um in einen einzudringen.

Der Flakon ist wunderschön und meisterhaft, er erinnert mich an die Augen meiner Katzen. Dafür wäre er ein schönes Symbol, doch der Inhalt ist leider nicht für mich bestimmt, so sehr ich auch das Gegenteil gehofft hatte.