Intertextualität in der Parfumerie

Da ich mich so sehr über den Threadverlauf „Intertextualität“ im Forum freue und dort einiges sehr Lesenswertes zusammen gekommen ist, widme ich diesen Blogeintrag der sammelnden Fragestellung, der Zusammenfassung bisheriger Gedanken und dem Listen der dort genannten Beispielideen. Er soll dienlich sein beim Dazustoßen zum spannenden Thema und Einfinden in die kollektive Denkarbeit.

Intertextualität in der Parfumerie

Ausgehend vom zufälligen Fund einer nicht ganz leichten, aber sehr reizvollen Frage, gab ich diese ans Forum weiter:

Ist in "Musc Nomade" ein Zitat von "Muscs Koublaï Khän" zu verorten?

Die „nomadische“ Moschus-Interpretation im neueren Duft könnte eine Antwort sein auf die „ex-nomadisch-sesshafte“ Interpretation im anderen. Die Titel könnten darauf verweisen.

Daraus ergaben sich Fragen:

1. Was genau ist Intertextualität, übertragen auf die Kunstform Parfumerie?

2. Ist es überhaupt möglich, in der Parfumerie zu zitieren?

3. Wenn ja, wie?

4. Was konkret könnte ein Zitieren sein?

1. Intertextualität begreift sich hier als innerdiszplinäre und nicht interdisziplinäre Intertextualität. Für letztere scheint sich die Parfumerie sehr gut zu eignen. Duftverweise oder –zitate auf etwas Musikalisches, Bildnerisches, Literarisches und, und, und lassen sich leicht finden und teilweise mit Referenz durch den Parfumnamen oder bekannte Entstehungsumstände, klar belegen. Die innerdisziplinäre Intertextualität hingegen ist ungleich schwerer zu benennen. Dort, wo in einem Parfumwerk ein anderes Parfumwerk zitiert wird, kommen wir an echte Grenzen.

2. Es ist durchaus fraglich, inwiefern überhaupt auf eine solche Art intertextuell zitiert und Bezug genommen werden kann:

  • Das Begreifen von Parfum als Kunst ist nicht selbstverständlich. Ein Nachdenken über „Kunst in der Kunst“, also quasi eine theoretische Stufe aufwärts, ist hier ziemlich ambitioniert, für viele komplett unnachvollziehbar..
  • Die Wahrnehmung von Parfum ist sehr subjektiv.
  • Sie ist zeitlich begrenzt, per se momentan.
  • Die Namen von Parfum sind in großer Mehrzahl keine Werkstitel, sondern vorrangig Produktnamen, also keine zuverlässigen Hinweisgeber.
  • Wenn tatsächlich die frappierende Ähnlichkeit eines Akkords oder eines Arrangements auffällt, brauchen wir weitere Hinweise auf den intertextuellen Bezug, um von bewusster Ähnlichkeit auszugehen. Es könnte sich auch um Zufall oder eine dreiste Kopie handeln.
  • Parfumeure und Parfumeurinnen praktizieren ein ausgesprochenes Gildenverhalten. Die rezipierende Öffentlichkeit in Entstehungsgeschichte und Hintergründe einer Komposition einzuweihen, ist nicht üblich. Wenn ein intertextueller Diskurs unter den Künstler/innen stattfindet, teilen sie uns das nicht mit.
  • Es gibt keine vermittelnde Wissenschaft und kaum Öffentlichkeitsbeteiligung. Während das Verständnis anderer Kunstformen gar in der Schule geübt wird, ist die Vermittlung in dieser Disziplin gerade bei allerersten, tapsigen Schritten in den Kinderschuhen.


3. Bei aller Schwierigkeit, fallen uns jedoch einige Verdächtige auf, nehmen wir hier und dort die Spur eines möglichen Zitats auf. Bei den Überlegungen anhand einzelner Düfte hat sich gezeigt:

  • Ein Zitat muss nicht direkt sein. Es muss nicht ein genauer Akkord exakt so zitiert werden, wie er im ersten Werk auftauchte. Wenn wir den Zitatbegriff weiter auffassen, hat da mehr Platz: Es kann eine Hommage an den Stil eines/einer Lehrer/in sein, eine Reminiszenz an vergangene Mode durch Herangehensweise oder Aufbau oder eine Replik auf etwas, das in der Parfumgeschichte prägend oder klassisch wirkte.
  • Der Beitrag zu einem künstlerischen Duft-Diskurs kann auch recht deutlich sein, ohne „Zitat“ genannt werden zu können. Wenn eine bestimmte Note oder Noten-Kombo durch ein neues Parfum eingebracht wird, kann es ganz bewusste weitere Antworten und Beiträge geben durch Weiter-, Neu-, Andersverwenden dieser Note oder Notenkombo.


4. Die Testliste

Einiges Vermuten und Verdächtigen führte zu einer ganzen Reihe von konkreten Fragen anhand konkreter, einzelner Düfte.

Ich zähle im Folgenden mal auf:

  • Das Ausgangs-Vielleicht-Zitat: "Musc Nomade" - "Muscs Koublaï Khän"
  • Die Hommage des Schülers Ellena an den Lehrer Roudnitska: "Déclaration" - "Eau d'Hermès" (Lu-Test: Absolut, 100%ig und glasklar bestätigt! DAS ist ein Zitat!)
  • Der eventuelle Bezug zwischen "A taste of Heaven" und "Memoir Man", wo sehr ähnliche Noten sehr unterschiedlich inszeniert werden.
  • Der Verweis auf ein Ur-Muster: „ Neroli“ von Czech & Speake Kölnisch Wasser (Lu-Test: deutlich, aber ohne Kennerschaft des Genres wünsche ich mir noch andere Meinungen)
  • Die moderne Interpretation inzwischen veralteter klassischer Duft-Muster, nicht direkt zu riechen, aber vielleicht in der Machart:"Le Male" - "Pour Un Homme de Caron"(Lu-Test: kann ich weder bestätigen, noch verneinen.. unklar)
  • Der Verdacht eines direkten Zitats: "Cologne Pour le Matin" - "Infusion d´Homme"
  • Der deutliche (aber vielleicht fiktive?) Hinweis seitens der Macher auf einen Zusammenhang: „Liu“ - „Chanel No. 5“ (Lu-Recherche: Die Entstehung ist nicht fiktiv, das war genau so. Lu-Test: Die Düfte zitieren sich aber nicht direkt. Sie haben viel miteinander intertextuell zu tun, aber sind deshalb keine Zitate.)
  • „APOM pour Homme“ - "Sculpture Homme"? Und gibt es auch in „Lumiere Noire pour Homme“ eine Bezugnahme auf "Sculpture Homme"?
  • Generalverdacht: Francis Kurkdjian scheint sehr bezugreich und verwoben in die Parfumkunst-Textur zu arbeiten. Seine Düfte haben scheinbar ein hohes Wahrscheinlichkeitspotenzial, dass man in ihnen fündig werden könnte.
  • Beiträge zum Salz-Haut-Diskurs, die von einander wissen und eventuell aufeinander Bezug nehmen: "Sel de Vetiver", ("Fleur de Sel" und entfernter "Sel Marin".
  • Direkter Verdacht: „Habit Rouge EdP“ - „Cruel Intentions“„M7“
  • Direkter Verdacht: „Kiton Men“ - „Fahrenheit“
  • Direkter Verdacht: „Bois d'Iris“ von Van Cleef & Arpels - „Bois d'Argent“ (Lu-Test: Yep! Die habn ganz viel miteinander zu tun, sind keine Duftzwillinge, aber sehr, sehr nah beieinander. Wenn das Zufall ist, ist es sehr zufälliger. Wenn da geklaut wurde, war es produktiv. Vielleicht ist es wirklich ein Zitat. Beides scheint mir in den Diskurs zu gehören, den der Iris-Vanille-Papier-Akkord in Männerparfum von "Dior Homme" aufgemacht hat [s.u.].)
  • Diskurs-Verdacht: Veilchen für Herren seit „Farenheit“
  • Diskurs-Verdacht: Iris für Herren seit „Dior Homme“ (oder seit „Bois d'Argent“?) mit „Bois d'Iris“ als möglichem Beitrag.(s.o.)
  • Direkter Verdacht: "Chanel pour Monsieur" - "New York" von PdN
  • Diskursverdacht: "Angel" (beantwortet u. a. in "Chocolat"?)
  • Diskurs Aquatik: Wahrscheinlich eröffnet von "Cool Water" und beantwortet durch vieles, teilweise sicher mit deutlichem, bewusstem Bezugnehmen zum Diskursöffner
  • Direkter Verdacht: "CK One" - "Cefiro"

Aktualisierung Feb 2012:

  • Direkter Verdacht: "Egoiste" - "Bois des Iles"
  • Verdacht einer Doppelachse: "Shalimar Parfum Initial" könnte nicht nur auf Shalimar verweisen (Name), sondern auch auf "Dior Homme" (Kopfnote)


Diese inzwischen durchaus lange Liste an viel versprechenden, eventuell Horizont erweiternden, Dufttests kann ein spannendes Drehbuch für duftforschende Zeit im Parfumeriegeschäft sein. Ich lade alle Parfumo-Nasen ein, sich von unserer Testliste inspirieren zu lassen (und eventuelle neue Erkenntnisse mit uns zu teilen).

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