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vor 3 Jahren - 05.07.2021
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Über 16.000 Flakons unweit von Berlin. Claudio Besenzonis wundervolles Parfummuseum zeigt Design-Schätze von gut 200 Marken mitten in Märkisch Oderland

Eine der größten europäischen Flakon-Sammlungen (wenn nicht DIE größte) hat ein kurioses Zuhause gefunden. In einem ehemaligen LPG-Vereinsheim, im ländlichen 280 Seelendorf Reichenberg (Märkische Höhe), hat Claudio Besenzoni auf gut 100 Quadratmeter in Dutzenden überquellenden Vitrinen ausgestellt, was er in bald 30 Jahren unermüdlich zusammengetragen hat.

Zusammen mit seinem Partner Francis Keller ist der gebürtige Schweizer aus Rheinfelden bei Basel vor gut einem Jahr in der malerischen Endmoränen-Landschaft auf halber Strecke zwischen Berlin und Polen gelandet. Sein Partner betreibt hier das Restaurant ‚Der Schweizer‘ mit einer verlockend aussehenden Karte voll Schweizer Gerichte. Claudio sein liebevoll gestaltetes Parfummuseum im ehemaligen Tanzsaal (nehme ich an) des unprätentiösen LPG-Gebäudes.

Seit genau einem Jahr darf die Öffentlichkeit teilhaben an Besenzonis Sammelleidenschaft, an seiner außergewöhnlichen Finde- und Überzeugungskunst, die ihm zu gut 16000 Parfum-Flakons aller großen und kleinen Marken verholfen hat. Und darüber hinaus noch Poster, Kataloge, Schmuck, Sticker und andere Kuriositäten aus der Geschichte der Parfumkunst bestaunen oder studieren.

Seine ältesten Exponate stammen aus dem Jahr 1810, die jüngsten kamen erst unlängst in die Parfumläden. Das Auge eines Parfumliebhabers kann sich kaum satt sehen an den wunderbaren Serien von Parfumflakons, die hier etwa die sich wandelnden Gestalten von Guerlain-, Lauder- oder Aramis- Düften anschaulich machen; oder auch Seltenheiten vorführen wie Yves Saint Laurents ‚Champagne‘-Parfum, das wegen Namensrechtsstreitigkeiten diesen Namen bald aufgeben musste und dann als ‚Yvresse‘ vermarktet wurde.

Schwerpunkte seiner Sammlung liegen bei Chanel und Yves Saint Laurent, denen mehrere große Vitrinen gewidmet sind. Doch finden sich daneben auch herrliche Reihen der Urväter-Colognes von 4711, Farina Gegenüber oder Roger&Gallet; sowie gewiss hundert Flakons der Parfum-Dynastie Guerlain. Zudem Dutzende von sich entwickelnden, verformenden, modernisierenden Fläschchen von Caron oder Patou – die Marke wurde bekanntlich kürzlich beerdigt, hier leben die Flakons weiter….

Es finden sich Serien von deutschen Klassikern wie Lohse, Tabac, Boss oder Tosca, daneben auch Vitrinen mit ostdeutschen Düften wie Florena, Action u.a.m. sowie russische oder bulgarische Parfumflaschen, welche neben exotischen Raritäten den keineswegs kleinen Museumsraum sprengen; weswegen sie zwischen dem eigentlichen Flakon-Mekka und dem Restaurant-Speisesaal gezeigt werden.

Mehr als 200 Marken hat er gesammelt, und meist eben nicht nur mit einem einzelnen Flakon, sondern mit Dutzenden kleinen und großen, alten und neuen. Dazu übergroße Schaufenster-Attrappen und Werbematerialien. So kann man den Formenwandel des Flakondesigns einzelner Marken hier eingehend studieren. Kunst- und gestalthistorisch erinnert das auf engem, freilich gut aufgeteiltem Raum Gezeigte an die Varianten-Serien von Zweckbau-Physiognomien, welche die berühmten Industriegeschichts-Fotografen Bernd und Hilla Becher und ihre Schüler in die Museen der Welt brachten.

Claudio Besenzonis Leidenschaft galt wohl vor allem den französischen, italienischen und amerikanischen Luxushäusern, mittels deren Parfumfläschchen sich der aus kleinen Verhältnissen stammende Basler in die weite Welt träumte.
Mit unglaublicher Freundlichkeit, ansteckender Begeisterung und Geduld erzählt er seinem Publikum nun Geschichten zu den einzelnen Marken und Düften und auch zu den oft speziellen Wegen, auf denen diese Flakons ihre würdevolle Ruhestätte bei ihm fanden.

Wir haben dieses bezaubernde Schatzhaus einer grandiosen Parfüm-Sammel-Leidenschaft durch puren Zufall entdeckt. Ein Augenblick stupender Serendipität! Wir waren spazieren in den Hügeln um Ihlow, haben ebendort fein Kuchen geschlemmert im zauberhaften Garten von Frau Rothschilds empfehlenswertem Bio-Hofladen-Café, ein paar Bücher im atemberaubenden Antiquariat der Bücherscheune Ihlow gekauft und wollten auf dem Rückweg noch en passant einen Hauch von Schinkels klassischer Kirchen-Architektur im unweit gelegenen Neuhardenberg inhalieren (was man als Berliner halt gelegentlich in Sachen Landpartie so treibt….) – als uns die vom Navi vorgegebene Route unversehens durch Reichenberg führte.

Ungläubig lasen wir bei dem gelb gestrichenen Ex-LPG-Gebäude die Leuchtschrift „Parfum-Museum“
??? !!.
Halluzination eines sonnenstichigen Parfumos?
Ein Parfum-Museum hier? In the middle of nowhere?
Jedenfalls haben wir qietschend gebremst, gewendet und angehalten.
Und das mehr als zu Recht – und zu pulsbeschleunigendem Vergnügen!
Denn eine solche Sammlung dürfte man kaum sonst irgendwo bestaunen können.

Während die Gletscher-Endmoränen Jahrtausende benötigten, um die umliegenden, pittoresk von Alleen durchkreuzten Hügel mit ihren Feldern und Wäldchen zusammenzuschieben, brauchte es für die (hier an diesem Ort leicht außeridisch wirkende) Zusammenstellung und Landung von Claudios Parfumcollection nur knapp 30 Jahre Sammeln – nebst abenteuerlichen biografischen Zufällen, welche sie vom Basler Kinderzimmer nun nach Nordosten verschoben und hier verwurzelt haben.

Zwar haben die Lokalpresse und die rbb-Regionalnachrichten durchaus schon über das vor einem Jahr, mitten in Coronazeiten, eröffnete Museum berichtet. Doch ist dieses Trouvaillen-Kabinett bisher wohl noch kaum angemessen auf der Landkarte der Parfum-Enthusiasten verzeichnet. Soweit ich weiß hat auch unser verehrter Mitstreiter, Kollege und Märkisch-Oderland-Pionier FvSpee noch keinen Wind davon bekommen!?

Die lohnenswerte Reise hierher dauert mit dem Auto vom Berliner Alexanderplatz eine gute Stunde. Man/frau/divers kann auch mit dem Fahrrad bis zur Endstation der S5 nach Strausberg Nord fahren und dann 17 Kilometer durch weithin schöne und leere Landschaften gleiten. In der Umgebung warten zudem Neuhardenberg oder das Künstlerdorf Ihlow idyllisch auf erholungsbedürfte Stadtbewohner.

Wir waren diesmal leider termingebunden viel zu kurz angebunden, konnten nicht einmal die freundliche Einladung des Museumsleiters zum Sekt anlässlich seines einjährigen Museumsjubiläums annehmen, haben leider ein paar der Fotos – vor Begeisterung vibrierend – mehr verwackelt als wohl kadriert in den Kasten bekommen…, aber wir fanden es ungemein faszinierend hier und werden bestimmt mal mit mehr Zeit und Hunger (auf Schweizer Küchen-Leckerli am ungewöhnlichen Ort) wiederkommen.

In Reichenberg (MOL) gibt es übrigens auch noch ein vom Naturschutzbund betriebenes Fledermaus-Museum! Somit sollte auch für gemischt interessierte Paare oder für anders interessierte Kids etwas mit dabei sein im Landpartie-Angebot. ;-)

https://www.facebook.com/Parfu...

Und wenn wir gerade bei der Geschichte der Parfum-Flakons sind, sei hier noch auf eine gleichfalls überaus sehenswerte mdr-Doku zur Geschichte und Gegenwart Thüringer und Fränkischer Glasmacherkunst sowie ihrer Produktionen für quasi alle Parfumhersteller der Welt hingewiesen:

https://www.ardmediathek.de/vi...

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