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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 2 Jahren - 30.08.2022
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Lutz Lehmann. Mit 7 fing er in Vater Harrys Parfummanufaktur an, mit 70 ist er jüngst verstorben. Nachruf und Andenken

Er war eine Berliner Institution. Seine Düfte und sein Laden - eher Tempel und Museum als bloße Verkaufsstätte - wurden von Parfumos mit Geschmack und Traditionsbewußtsein geliebt.

Als die liebe Parfumo-Kollegin CharlAmbre die Nachricht von Lutz Lehmanns Tod vor einigen Tagen hier veröffentlichte (im Forum kursierte sie, wie ich jetzt erst bemerkte, ohne großen Nachhall schon zuvor), da ergriff mich nicht nur Trauer um den verdienten Mann. Ich ergriff sein großartig tiefes, dunkles Russisch Juchten Parfum, tropfte mirs auf die Wangen, und ein poetischer Furor ergriff mich. Er diktierte mir einen Nebengesang zu Hölderlins Hymne Andenken.
Der soll hier erklingen zum Gedenken an Lutz Lehmann, der selbst so viele fein duftende Nach- und Nebengsänge auf klassische Parfums mixte wie er faszinierende Neuschöpfungen verantwortete.

Auf diese kleine, blumig poetische Stele folgt unten ein prosaischer Nachruf, ein Portrait verfasst mit Lehmanns vitalem Lavendelwasser hinter den Ohren.

ANDENKEN

Die Kantstrasse stehet
Die liebste unter den Strassen
Mir, weil dort Duftmagier Lutz
Mixt nach alter Art feinst Parfums und Colognes.
Wein aber nun! Und grüße
Den schönen Laden
Mit künstlichen Blumen bunt
Rechts, wo im linken Fenster
Nun stehet ein Bild mit schwarzem Rand
Von Herrn Lehmann, der lächelt darauf
So freundlich und lebendig
Wie im Gespräch über Düfte.

Lang stehet das fest da, und wie
Die großen Flacons gereiht
Im Schaufenster locken
Hinein, wo das Herz des Parfumos aufgeht.
An Reisetagen gehen
Die fernen Parfumas daselbst
Nebst Blumen aus Plaste
Zur Pilgerfahrt;
Wo sonst gibt‘s noch Handwerk
So fein, alt und doch originell.
Von goldenen Träumen schwer,
Gewogene Düfte ziehen.

Es reiche aber
Des dunkeln Lichtes voll
Mir Lehmann den duftenden Stöpsel,
Damit ich schnüffeln möge; denn tief
War ohne Frag seine Duftkunst.
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu sein. Doch gut
Ist ein Gespräch und zu sagen
Des Herzens Meinung, zu hören viel
Von Tagen der Lieb′ ,
Und Taten, welche geschehen.

Sag aber welch sind die Düfte? Großartig
Bleibt Russisch Juchten! Oldschool
Ohn Scheue, an die Quelle zu gehn;
Es begann nämlich Lehmanns Reichtum
Vor langem. Riech,
Wie Selig Lutz brachte zusammen
Das Schöne von einst und verschmäht
Das Iso MOL Intens nicht und
Füllt es beständig in formschöne Fläschchen,
Auch Oud gar; frisch Springfield, Sminta, Bahia
Nächt zu durchstrahlen,
Erfrischen die Heißzeit mit Colognes
Wie New York oder Boston und Eau de Berlin!

Nun aber ist zu Vätern
Lutz Lehmann gegangen,
Dort an den duftigen Sitz
Wo Verité, Habanera, Larissa,
Lambada tanzen;
Und zusammen mit der prächt′ gen
Lindenblüte weltweit
Austrahlet Berlin. Es nehmet aber
Und gibt Gedächtnis der Duft,
Was bleibet aber, stiftet Lutz Lehmann.

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Lutz Lehmann war in seiner unaufgeregten, freundlichen Art ein Unikat in der Parfümeriewelt. Sphinxenhaft schwieg er sich aus über die genauen Duftnoten oder gar Inhaltsstoffe seiner Kreationen. Lakonisch, unkonkret, manchmal fast blumig wie die andere Hälfte seines Ladens, waren seine Beschreibungen der Düfte. Lächelnd gestand er mir mal, gelegentlich die Parfumo-Kommentare zu lesen, sich darüber zu freuen und zu wundern, was da alles in seine Duftmischungen rein und rausgelesen wurde.

Doch wurde dort jeder und jede freundlich beraten. Und zum feinen Parfum oder den wundervoll leichten, oft langanhaltenden doch spottbilligen Colognes gab es obendrein das erhabene Vintage Einkaufsfeeling in dem Laden, dessen Einrichtung und Dekoration seit 60 Jahren nicht nennenswert erneuert wurden. Hier ging es um die Düfte, nicht um Lifestyle, Trends oder Chichi. Und diese hausgemachten Düfte  wurden schon seit Gründerzeiten in Größen nach Wunsch abgefüllt.

Das war Nachhaltigkeit, bevor sie Jahrzehnte später auch im Duft- und Kosmetikbusiness plötzlich modisch und wichtig wurde. Die hauseigenen Flakons sind bauhausmäßig schlicht und funktional. Die Größen von 10 bis 500 ML erlauben auch weniger wohlhabenden Menschen oder probiersüchtigen Parfumos den Kauf eines oder unzähliger Parfums. Die Kundschaft in den letzten Jahren war dann auch eine wunderbare Mischung aus jahrzehntelangen, teils uralten lokalen Stammkund*innen und Vertreter*innen der weltweiten Parfum Aficionado Szene. Man durfte seine eigenen Flakons mitbringen und befüllen lassen; und man konnte sich sein Privatparfum gemischt aus einzelnen Düften komponieren und so wahre, reizvolle Indivdualität beweisen. Freilich waren Lehmanns Mixturen in sich meist schon sehr stimmig, mithin vollendeter als viele andere Zeitgeistwässerchen.

Sein Großvater, Eduard Lehmann, hatte das Geschäft schon im fortgeschrittenen Alter nach einem Abenteurerleben 1926 gegründet. Lutz‘ Vater Harry führte den kleinen Betrieb recht bald weiter. Zu den Legenden der breiten Kundschaft gehört, dass es eine große Kartei mit den Vorlieben der teils berühmten Kunden gab. Marlene Dietrich soll das stetig im Sortiment befindliche Veilchen Parfum geliebt haben.

Bevor der bis heute – mit Original Inneneinrichtung! – bestehende Laden in der Kantstrasse 1958 bezogen wurde, durchlief das Geschäft einige markante Ortswechsel. Dabei hatte die deutsche Geschichte ihre destruktiven Hände mit im Spiel. Das Gründerhaus an der Potsdamer Brücke in Schöneberg musste wohl den Speer'schen Monumental-Berlin Achsen-Plänen weichen. Ab 1940 residierte man an der berühmten Friedrichstraße, wurde ausgebombt, hatte dann Läden an der Joachimstaler Straße, der Wilmersdorfer Straße und der Karl-Marx-Straße. Von 1958 bis 1964 existiert sogar eine zusätzliche Filiale in München (oder Frankfurt/M, wie andere Quellen meinen).

Harry Lehmann starb so früh, dass Lutz kaum volljährig das Geschäft mit seinem Bruder übernahm. Bis in ihr sehr hohes Alter stand seine Mutter noch nach der Jahrtausendwende mit im Laden. Das kreative Duftmischen jedoch war die Kunst oder das das Metier, an das Lutz schon mit 7 Jahren Schritt für Schritt von seinem Vater herangeführt wurde.

Seit 1958 steht der Laden mitsamt seinem geheimnisvollen Parfumeurskeller in der Kantstrasse 106. Und dort stand architektonisch die Zeit gleichsam still, während Lutz Lehmann alte Düfte pflegte, sie immer wieder mühsam und erfindungsreich an neue Allergie-Vorschriften anpassen mußte. Und daneben, mit der ihm eigenen Ruhe, zur Freude der Parfumos, auch immer mal wieder neue Kreationen ersann.

Gleichwohl absolvierte er neben seiner frühen Initiation ins Parfumbrauen auch noch eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Wie sein Großvater, erschloss sich dann Lutz Lehmann in der Weltparfumhauptstadt Grasse in Südfrankreich einige Kniffe des Handwerks, vor allem aber den Zugang zu vorzüglichen Rohstoffen.

Mit seinem Talent, wunderbare Düfte auf 'alte Art' im Keller seines Ladens zu basteln und nach Gewicht abzufüllen, wird Lutz Lehmann der Parfumszene, und nicht nur der Deutschlands, fehlen. Wo sonst gibt es  noch derartige Individualgeschäfte, die sich tief in Traditionen verankert an ein breites Publikum richten? Wahre, gute, gewissermaßen populäre, nicht versnobte Nische war das.

Womöglich, wir wollen sehr das Gegenteil wünschen und hoffen, geht mit Lutz Lehmann ein ganzer Traditionsstrang alteingesessener, inhabergeführte Drogerieparfümerie oder der lokalen Parfümmanufaktur zuende. Er war wohl der letzte dieser Art in Deutschland, und vielleicht die schönste, bunteste Blüte dieser langen Tradition.

Derzeit besteht noch Hoffnung, dass der Harry Lehmann Laden, Kantstrasse 106 in Charlottenburg auch nach seinem Tod weitergeführt wird; auch wenn es - soweit wir wissen - dann wohl keine Familienmitglieder mehr sein werden, die das Familiengeschäft in vierter Generation fortführen werden.

Gute Reise, verehrter Herr Lehmann, ruhen Sie in Frieden! 

Mögen sein Geschäft und seine zahlreichen wunderbaren Duftschöpfungen ihn überleben!

(Mit DANK an CharlAmbre für Ihre freundliche Genehmigung, ihre aktuellen Fotos hier zu verwenden!)

Hier noch Links zu bebilderten Artikeln zur vertiefenden Lektüre:

Berliner Morgenpost 2021

Gazette Berlin 2020

zeit-für-berlin.de

Tagesspiegel 1999

Aktualisiert am 18.10.2022 - 03:03 Uhr
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