Profumo

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6 - 10 von 284
Profumo vor 1 Jahr 22 25
7
Haltbarkeit
10
Duft
Der Clou: eine sich über alles wölbende Ambra
Wenige Labels haben mich in den letzten Jahren in Sachen hochwertiger Materialien und Parfumkunst so sehr für sich eingenommen wie das kleine Unternehmen „Les Indémodables“ aus dem französischen Alpenstädtchen Annecy.
Wie oft erlebt man das Prahlen mit ach-so edlen Ingredienzen, das letztlich, in Ermangelung an Können – oder Wollen – doch nur Mittelmaß gebiert. Hier aber kann man, und vor allem: man will.

Dass Antoine Lie sein Handwerk beherrscht steht sicher außer Frage, das gilt auch für die zweite Hausparfümeurin: Florence Fouillet. Ihr „Fougère Emeraude“, ihr „Cuir de Chine“ und „Chypre Azural“ sind rundum gelungene, stilvolle und charakterstarke Beiträge, wie sie sich ein kleines Label nur wünschen kann.
Aus Antoine Lies Anteil am Portefolio ragen wiederum zwei Kreationen besonders heraus: „Ambre Suprême“ und dieser hier: „Escale en Indonésie“.
Beide haben eine besonderen Duftstoff im Fokus, der einen geradezu mythischen Ruf genießt: Ambergris, oder auch Ambre gris, bzw. Graue Ambra. Ein Duftstoff mit einem überaus komplexen Duftprofil, der sich besonders durch eine Eigenart auszeichnet: er bringt ein Parfum, an dem noch so viele Noten beteiligt sein mögen, erst richtig zum Strahlen und verleiht Kreatürlichkeit, wo zuvor womöglich schablonenhafte Flachheit herrschte. Diese fast magischen Fähigkeiten, gepaart mit der legendenhaften Herkunft aus finsteren Wal-Mägen, begründen den geheimnisumwitterten Mythos der „Graue Ambra“, den man selten – ach was, eigentlich nie! – so prominent in Szene gesetzt erleben kann wie hier, bei diesen beiden Ambra-zentrierten Düften (ein dritter, ist „Mxxx“ von Eris, ebenfalls von Lie). In aller Regel nämlich, wenn mit der Ambra als Inhaltstoff geworben wird, ist nicht das Naturprodukt gemeint, sondern einer ihrer mittlerweile zahlreichen synthetischen Ersatzstoffe, die allesamt bestenfalls einen Ausschnitt aus dem kaleidoskopartigen natürlichen Duftprofil bieten, niemals aber dessen gesamten Facetten-Reichtum abbilden.

Um dieses Manko auszugleichen muss Antoine Lie nicht wie viele andere Kollegen einen Ambergris-Akkord kreieren, der die fehlenden Facetten mithilfe zusätzlicher Noten ergänzt, sondern kann das Naturprodukt in seiner ganzen chamäleonhaftigen Wandlungsfähigkeit selbst zur Geltung bringen, da er dank seiner beruflichen Verbindung mit Rémi Pulvérail, dem Inhaber von „L’Atelier Français Des Matières“ und Ehemann von Valérie Pulvérail, ihrerseits Inhaberin von „Les Indémodables“, quasi an der Quelle sitzt.

Hier nun inszeniert er die Ambra nicht in einem gourmandhaft angehauchten orientalischen Duftkonzept („Mxxx“, Eris), auch nicht eingebunden in ein aldehydig-würzig-florales Chypre-Konstrukt („Ambre Supême“), sondern lässt sie in einem klassischen, schlanken Cologne-Gerüst aus Bergamotte, frischer Zitrik, einem Hauch Jasmin und Neroli, sowie einer stabilisierenden Basis aus dezentem Sandelholz und Eichenmoos geradezu leuchten.

Vielleicht ist dieser klassische Cologne-Aufbau tatsächlich das ideale Setting für den komplexen Duftkosmos der Ambra, denn im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Düften muss ich nicht erst bestimmte Duftanteile, die entscheidende Bereiche des Ambra-Kanons verdecken (Kakao hier, Aldehyde dort) auszublenden versuchen, sondern kann, einem offenen Buch gleich, die Ambra unverstellt und in vollem Ornat genießen. Die frischen und zarten Cologne-Anteile umspielen sie dabei federleicht, tragen sie gewissermaßen auf Händen, bilden einen hell-farbigen, aquarellartigen Dufthintergrund, vor dem sich die Ambra wie ein vielarmiger Oktopus gemütlich zu räkeln scheint und zugleich geruchlich abhebt.
Natürlich haben die beiden anderen Ambergris-Düfte von Antoine Lie mehr Wumms, sind reichhaltiger orchestriert und entfalten ein größeres Volumen, aber wer sich eine Weile durch die Parfumwelt geschnuppert und lang genug an den dichtesten Extraits erfreut hat, der wird doch das leisere, das kleinere Format auch wieder zu schätzen wissen – es muss ja nicht immer das symphonische Orchester in Mahler-Stärke sein; manchmal vermag der intimere kammermusikalische Vortrag sogar noch mehr zu überwältigen.

So auch hier.

Die wenigen Mitwirkenden sind perfekt aufeinander abgestimmt und tadellos ausbalanciert. Saftig, spritzig und wunderbar natürlich die Zitrus-Noten, leise und freundlich, ohne den leisesten Hauch von Indolik, das zarte florale Herz, und in der Basis eine schlanke und elegante Chypre-Struktur, die dem Duft Halt gibt und rundet.
Der Clou: eine sich über alles wölbende Ambra mit ihren salzigen, mineralischen, ozonischen, animalischen und warmen Nuancen, die völlig bruchlos mit den Cologne-Facetten zu emulgieren scheinen, sich zugleich aber markant abheben. Ein Wechselspiel, das aufregender nicht sein könnte und den ganzen Reichtum des Ambra-Duftkosmos’ in Schwingungen versetzt.

Leute, wer Ambroxan, Orcanox, Ambrinol, oder wie immer der Versuch einer Ambra-Synthetisierung heißen mag, für ein ausreichendes Äquivalent hält, der - oder die - rieche bitte an diesem Duft, oder wahlweise den beiden anderen: der Unterschied ist gewaltig! Nicht, dass ich Ambroxan & Co. schlechtreden möchte, nein, sie haben absolut ihre Existenzberechtigung (ich glaube ohnehin, dass der Ambroxan-Teufel, den wir immer so gerne an die Wand malen, eher ein Woody-Amber-Teufel ist, zumindest aber einer, der zuverlässig mit diesen vermaledeiten Synthetik-Ambers ins Bett steigt....), jedoch einmal an echter Grauer Ambra geschnuppert und es eröffnen sich Horizonte, die man zuvor bestenfalls erahnen konnte: geruchliche Resonanzräume, in die man zuvor seine Nase zwar schon mal hineinstecken konnte, die aber Leerstellen blieben, geruchliche Schwarze Löcher sogzusagen, nun prall gefüllt.

Doch genug der Lobhudelei – ich bin begeistert!

Eine kleine, aber nicht unbedeutende Anmerkung noch: da die Ambra auch ausgezeichnete fixative Eigenschaften besitzt, macht sie aus diesem Cologne, das sich nebenbei auch ‚Cologne Absolue’ nennt (auf dem Boden der Kartonage steht sogar ‚Eau de Parfum), eine ziemlich ausdauernde Angelegenheit. Zwar zieht sich der Duft colognetypisch recht schnell auf die Haut zurück, aber ‚Escale en Indonésie’ bleibt dort über viele Stunden als komplexer und warmer Duft erhalten, den Körper des Trägers oder der Trägerin eher wie eine Aura, denn wie ein Duftpanzer umhüllend.

So mag ich das.
25 Antworten
Profumo vor 1 Jahr 29 32
8
Haltbarkeit
10
Duft
Ein Krake schlürft Kakao
Zu meinen Lieblingsparfumeuren zählt Antoine Lie eigentlich nicht, aber was er mit seinem Ambregris-Triptychon, „Mxxx.“, „Escale en Indonésie“ und „Ambre Suprême“, geschaffen hat – Hut ab!

Zu verdanken, dass einer der legendärsten und von Mythen umrankten Duftstoffe in einer bisher nicht gekannten Intensität und Glorie für uns erlebbar wurde, haben wir es seiner Bekanntschaft mit Rémi Pulvérail, Gründer und Inhaber von „L’Atelier Français Des Matières“. Dessen Unternehmen entwickelt in speziellen Verfahren Tinkturen höchster Reinheit und Güte, und hat es sich zum Ziel gesetzt einen Kontrapunkt gegen die immer weiter voranschreitende Nivellierung des Marktes durch immer austauschbarer werdende Ingredienzen zu setzen.
Pulvérails Frau Valérie wiederum ist Gründerin und Inhaberin des vielbeachteten Labels „Les Indémodables“, an dessen Düften man wunderbar studieren kann, welchen Gewinn es bedeutet, wenn erfahrene Parfumeure Zugriff auf wirklich erstklassige Inhaltstoffe haben. Nebenbei fungieren diese Werke natürlich – eine klassische Win-Win-Situation – auch als perfekte Werbeträger für die Firma des Gatten.

Rémi Pulvérail hat nun eine besondere Ambregris-Tinktur im Katalog, die Antoine Lie, aufgrund ihrer Ausgewogenheit von Cremigkeit, Salzigkeit und animalischem Charakter, überzeugte. Aber nicht nur sie hat er für „Mxxx.“ aus dem Portfolio von AFDM gewählt, wie Barabara Herman von Eris Parfums zu berichten weiß, sondern auch einen besonders reichhaltigen, würzigen, fast animalischen Kakao aus Trinidad, der bisher nie Verwendung in der Parfümerie fand, sowie eine spezielle „grüne“ Vanille aus Madagaskar, die erst durch aufwändige Gefrier- und Extraktionstechniken ihre außergewöhnlichen Qualitäten erlangt.

All das floss in die Formel von „Mxxx.“ ein, und ich finde man riecht es: ein Quantensprung gegenüber dem ebenfalls schon ziemlich gelungenen Vorgängerduft „Mx.“!
Stehen dafür die zwei zusätzlichen „x“?
Keine Ahnung. „Mx.“ jedenfalls möchte die genderneutrale Spielart von „Mr.“ und „Ms.“ sein, als die sich auch der Duft versteht – zurecht; ohne dass ich jetzt weiter auf den Unterschied von „unisex“ und „genderneutral“ eingehen möchte, was den hiesigen Rahmen sprengen würde.

„Mxxx.“ startet würzig, trocken, und mit leichter Schärfe. Zugleich beginnen die Kakao-Noten aufzublühen, fast ohne Süße im Gepäck, sondern ein ganzes Kaleidoskop an eher bitteren, buttrigen, fast nussigen Aromen entblätternd, flankiert von hellem, poliertem Holz. Nach wenigen Minuten schon beginnt aber der eigentliche Player dieses Duftes wie ein vielarmiger Krake seine Tentakel in alle Richtungen zu strecken: die Ambra.

Zur Genüge kennen wir ja alle deren synthetischen, aus der modernen Parfümerie nicht wegzudenkenden Ersatz, der aber letztlich nur einen Bruchteil des Duftprofiles des natürlichen Ausgangsproduktes wiederzugeben vermag.
Hier entfaltete sie sich nun in vollem Ornat, vielgesichtig, amorph und schwer zu fassen: salzig, nach warmer, pulsierender Haut duftend, den Weiten des Ozeans, alten Büchern, Treibholz, leicht mineralisch, betörend animalisch und, und, und...
Kaum ein Duftbaustein prunkt (und verwirrt!) mit einem derart diffusen Profil, aber die Hauptaufgabe der Ambra war früher, als man sie dank des industriellen Walfangs noch in Hülle und Fülle zur Verfügung hatte, auch eher eine andere: sie diente dazu einen Duft strahlen zu lassen, ihn zu weiten, zu intensivieren. Man ließ sie hintergründig agieren, als Strippenzieher im Off sozusagen. Ein und dasselbe Duftkonzept einmal mit, einmal ohne Ambra, und alle Testpersonen entscheiden sich zuverlässig für die Version mit der Ambra – so berichten Parfumeure von ihrer Arbeit.
Glücklicherweise kam der Schutz der Pottwale gerade noch rechtzeitig, bevor auch noch den letzten dahingemeuchelten Exemplaren die Ambra direkt entnommen werden konnte. Fürderhin war man also darauf angewiesen weltweit die Strände nach oxidierter Walkotze (oder wie auch immer der Pottwal die unverdaulichen Reste seiner Nahrung ausscheidet – man weiß es nicht so genau...) abzusuchen, oder aber auf einen walschonend synthetisch entwickelten Ersatzstoff zurückzugreifen, dem sogenannten Ambrein, das schon in den 50er Jahren aus der natürlichen Ambra isoliert werden konnte und mit dessen Hilfe man später jenes Ambroxan (nebst unzähligen Nachfolgern) entwickelte, das heute Verwendung findet als gäb’s kein Morgen.

Hier aber, Freunde der Olfaktorik, ist wirklich Graue Ambra am Start – echte!
Und das riecht man.

Das Bild des Kraken passt für mich dabei bestens zur Wirkung der Ambra: mit seinen Tentakeln umfasst er alle anderen Duftbausteine, zieht sie an sich, hält sie umschlossen, nimmt aber zugleich, wie ein Chamäleon, deren Farbgebung an. Er stülpt sich nicht über alles, dafür hat er eine viel zu unklare Duftkontur, aber er durchdringt alles, lässt es emulgieren, leuchten, und erst bei genauerem Hineinschnuppern erahnt man seine Umrisse: die Salzigkeit verrät ihn, der leise animalische Hauch, den Antoine Lie in die Basis mit einer dezenten Prise Hyraceum verlängert, die Ahnung von ozeanischer Mineralik, die Wärme.

Schon dem vielbeklatschten Vorgängerduft „Mx.“ lag ja ein vergleichbares Konzept zugrunde: ein holzig-würziger Halbgourmand, dem venezolanischer Kakao und ledrig-animalisches Castoreum seinen besonderen Charakter verliehen. Wobei der Begriff „Halbgourmand“ eigentlich nicht ganz zutrifft, da beide Düfte das Gourmand-Terrain mit ihren jeweiligen Kakao-Nuancen bestenfalls streifen. Diese Nuancen sind nämlich derart herb und bitter, dass es schon einer balsamischen Beigabe wie Benzoin bedarf um den Düften zur Basis hin eine gewisse Rundung zu verleihen, die in beiden Fällen mit deutlich Patchouli und einer Spur weniger deutlichem Vetiver vollendet wird.

DAS Unterscheidungsmerkmal schlechthin zwischen beiden Düften ist aber die Verwendung der Ambra, noch dazu in einer solchen Intensität (7% am Parfumöl-Anteil, was eine Menge ist!). Sie macht aus dem ohnehin schon ausgesprochen sinnlichen „Mx.“ eine wahre Sinnlichkeits-Bombe, deren auf die Spitze getriebene Sinnlichkeit manchem, oder mancher, auf Dauer womöglich zu viel sein könnte. Doch dafür steht ja wieder die Version ohne Ambra parat.
Ich, für meinen Teil, mag „Mx.“. So richtig begeistert mich aber erst „Mxxx.“.

Mit seiner Opulenz und Ambra-Seligkeit hat der Duft fast etwas von einem Vintage-Extrait, das von längst vergangenen, goldenen Zeiten kündet, als man die duftenden Inhaltstoffe noch nicht zum Zwecke des Verbraucherschutzes durchleuchtete und ethische Fragen bei der Gewinnung unberücksichtigt ließ.
Zum Glück sind solche Zeiten passé!
Dass wir aber mit dem Ambregris-Triptychon von Antoine Lie (interessanterweise duftet sie in „Escale en Inonésie“ am intensivsten, obwohl hier nur 5% verwendet wurden, in einem aber ansonsten recht sparsamen Umfeld) derart schamlos an echter Grauer Ambra schnuppern dürfen, vermittelt mir schon fast eine gewisse Dekadenz, die mir heute vor lauter Ausgewogenheit und Awareness beinahe ein leises schlechtes Gewissen bereitet.
Ein ganz leises.
Nein, eigentlich gar keins.

32 Antworten
Profumo vor 1 Jahr 31 18
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Mit gewürztem Kaffee und Slivovitz intus, zieht die Karawane weiter
Vor meinem Israel-Aufenthalt war mir die Kombination von Kaffee und Kardamom weitgehend unbekannt. Ich wusste zwar, dass manche ihr Heißgetränk damit würzen, kannte Kardamom aber eher aus der Weihnachtsbäckerei und von Kanelbullar, schwedischen Zimtschnecken. Seit Israel habe ich beinahe eine Obsession entwickelt: wenn irgend möglich MUSS Kardamom in den Kaffee. Da ich die Bohnen meistens frisch mahle, werfe ich einfach ein paar Kardamom-Kapseln dazu, die anschließend mitgemahlen werden. Der Moment, wenn ich dann den Deckel öffne und der Geruch des frisch gemahlenen Kaffees, von kräftigen Kardamom-Aromen durchzogen mich umfängt, löst in meiner Nase jedes Mal eine Art Riechzellen-Orgasmus aus – WOW!!
Einfach umwerfend, dieser Duft, ja er ist sogar noch besser als der folgende geschmackliche Genuss.

Insofern ist es also naheliegend, dass mich Parfums, die dieses Geruchserlebnis aufgreifen ganz besonders interessieren: „Chypre Shot“ wäre so ein Fall, für mich als Chypre-Junkie natürlich ein Traum, aber auch „Tambour Sacré“, ein etwas fordernder, trocken-orientalischer Tuberosen-Kracher, und auch „Ruh“ von Pekji, der wiederum eine kräftige Rose in seine Mitte nimmt.
Patricia de Nicolaïs neueste Kreation, „Caravansérail Intense“ versucht sich nun also auch daran, ja stellt es sogar als duftbestimmenden Haupt-Akkord zur Schau, allerdings in einem völlig anderen olfaktorischen Setting, als in meiner Küche mit frisch geöffnetem Mühlendeckel.

Zunächst sind beerige und pflaumenschnapsige Noten mit von der Partie, so als habe neben der Kardamomwürze auch ein Schlückchen Slivovitz in den Kaffee gefunden, der noch dazu mit einer Prise Kakao aromatisiert wurde.
Zugegeben, mir wäre schon hier die roughe, ungezähmte Kaffee-Kardamom-Dröhnung lieber, als dieser Sublimierungsversuch, aber andererseits, wäre ein Nicolaï-Duft kein Nicolaï-Duft, zeichnete ihn nicht gerade diese Sublimierung aus. Natürlich riecht das nun alles ausgefinkelter, komplexer, edler als aus meiner ollen Mühle, aber die sinnliche Wucht geht doch leider etwas verloren und der Nasen-Orgasmus verläppert schon im Vorspiel.
Aber gut, gibt es doch einen Unterschied zwischen einem Geruch und einem Duft, und – frei nach Wowi – das ist auch gut so.

Was Madame im weiteren Verlauf daraus macht, ist auch wirklich aller Ehren wert – sie kann es ja, wie schon x-mal bewiesen, so auch hier.
„Caravansérail“ ist ein typischer Nicolaï-Duft, mit einer Art nicolaï’schen DNA ausgestattet: ein Zusammenspiel von Vanille und Tonka, sekundiert von etwas Patchouli und einem Hauch Zimt. Diese Basis findet sich in kaum merklichen Abwandlungen in vielen Kreationen der Guerlain-Nachfahrin wie „Vanille Tonka“, „Maharadjah“, „Sacrebleu“, „Patchouli Intense“, „Vanille Intense“, ja sogar in ihrem ikonischen „New York“ wieder. Fast könnte man, entsprechend zur berühmten Guerlinade, von einer Nicolaïade sprechen, die uns in ihrem neuen Werk geradezu exemplarisch entgegen duftet.
Natürlich riecht das alles wunderbar, sublim und mit viel französischer Raffinesse, nur, wie gesagt: für mich als Hardcore-Kardamomkaffee-Fan hätte man sich all die fruchtigen und vanille/tonkasüßen Girlanden sparen können. Ich trinke meinen Kaffee schwarz, ohne Zucker und weitere würzende Ingredienzen wie Zimt oder Nelke – brauche ich alles nicht, nur Kardamom. Aber „Caravansérail“ soll ja auch nicht getrunken werden – womit ich wieder bei Geruch (bzw. Geschmack) versus Duft wäre.
Nein, das ist schon alles gut so.

Kürzlich hat eine englischsprachige Reviewerin festgestellt, dass „Caravansérail“ ganz schrecklich maskulin sei, geradezu schroff und überaus herb. Ich weiß nicht, ob wir denselben Duft gerochen haben, aber nach meinem Empfinden trifft nichts davon zu. Gerade zu Beginn ist „Caravansérail“ auffallend fruchtig und die begleitende Kakao-Note steuert eine gourmandige Süße bei, die schließlich vom Vanille/Tonka-Fond aufgenommen und verlängert wird.
Was man freilich als herb empfinden kann, ist der Anker-Akkord an sich: sowohl Kaffee als auch Kardamom sind trocken-würzige kaleidoskopartige Aromenkomplexe, wie auch das deutlich erkennbare Patchouli, sowie gegen Ende ein leiser Hauch Immortelle, der für meinen Geschmack durchaus etwas deutlicher hätte ausfallen können. Allesamt herbe Duftkomponenten, oh ja, aber ist der Duft deswegen gleich maskulin?
Nein, finde ich nicht.

Maskulin mag der Geruch sein, der mir aus meiner Mühle entgegen schlägt: durch knarzige Röstaromen kantig und rau, grob durchschlagend die bitter-seifige Würze, aber genau diese schroffe Attacke hat die Parfümeurin gekonnt geglättet, entschärft und eingeebnet, sodass der Duft von welchem Geschlecht auch immer getragen werden kann, was die Reviewerin natürlich ganz anders sieht, da sie ihn sich einzig und allein an einem Mann vorzustellen vermag.
Seltsam, liegt es womöglich an den fehlenden Blüten? Kein Jasmin, klein Flieder, kein Ylang-Ylang, nichts vermeintlich ‚Feminines’?
Mag sein.
Egal.

Für mich ist „Caravansérail“ weder das eine, noch das andere, sondern eine gelungene Liaison aus herber Würze, beerig-pflaumiger Süße, einer eleganten orientalischen Basis, nebst erträglichem Gourmand-Drift, Nicolaï-typisch handwerklich kunstvoll verblendet und veredelt – was will man mehr?!

Bravo!
18 Antworten
Profumo vor 1 Jahr 37 22
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Meditative Finsternis
Vorab, dunkel ist hier gar nichts.
Jedenfalls nicht solcherart, wie wir duftende Darkness schon zu genüge, ja mitunter bis zum Abwinken kennen: teerig, rauchig, schinkenspeckig, finsterwaldig, triefharzig.

Nichts dergleichen.

Stattdessen: Weihrauch, sehr viel Weihrauch, der hellen, feinen Sorte, nicht jener scharf-knarzige, katholisches Nasenhaar sträubende, vielmehr zarter, aromatischer omanischer Weihrauch, der auch die ersten Kreationen von Amouage kennzeichnete. Das Zentrum des Duftes besetzend wird er zu Beginn von grün-koniferischen Noten und bitterer Zitrusfrische umspielt, während sich Backstage schon ein üppiges exotisches Blütentrio warmläuft: Ylang-Ylang, Champaka und vor allem Frangipani, die zunehmend narkotisierend fruchtig-floralen Nektar versprühen, glücklicherweise aber von den allzeit präsenten Weihrauchschwaden in Schach gehalten werden. Dabei erweist sich das Räucherwerk als überaus kompatibles Kontrastmittel gegen überbordende Süße und Sinne vernebelnde Indolik, während es zugleich auf’s Schönste mit grün-harzigen Nadelbaum-Aromen und dem frisch-bitteren Fruchtkomplex der Grapefruit verschmilzt.
Auf einer schlanken, balsamisch warmen Basis, die nicht in erwartbare ambersüße Orientalik abdriftet, sondern in der stabilen Tintenfeuchte einer klassisch-eichenmoosigen Chyprestruktur ankert, kommt dieses Weihrauch-Potpourri nach allerlei Pirouetten recht gemächlich zur Ruhe. Erstaunlich, wie gut die rauchigen Facetten mit den erdig-moosigen der Flechte harmonieren! Tatsächlich tritt hier auch ein wenig Oud auf den Plan, in homöopathischer Dosis, gerade soviel, dass es eine Nuance ausmacht, die Kraft ihres eigenen Duftprofils die weihrauchige Stimmung aufgreift und zum erdigen Finish überleitet – eine Art ‚Missing Link’.

Man erwarte allerdings kein Power-Chypre à la ‚Mitsouko’. ‚I Am Darkness’ ist zwar deutlich erkennbar ein Chypre, auch wenn es ihm manche Mitsoukianer:innen sicherlich absprechen werden, aber der Chypre-Charakter definiert nicht den Duft als solchen, tritt nicht plakativ in den Vordergrund, sondern verströmt seinen bitteren und warmen Sound eher hintergründig, oder besser: untergründig.
Dennoch ist der Weihrauch in etwas das, was der Pfirsich für ‚Mitsouko’ ist: ein kongenialer Match-Partner für eine ungewöhnliche Chypre-Variation. Nicht, dass es ein solches noch nie gab, auch ‚Lacrima’ von Liquides Imaginaires ist ein Weihrauch-Chypre, aber ‚I Am Darkness’ ist doch unvergleichlich komplexer und kontrastreicher orchestriert, ohne dabei überladen, oder allzu üppig zu wirken. Der Duft bleibt vielmehr feingliedrig, sehnig und ohne irgendwelche Unwuchten – alles scheint penibel aufeinander abgestimmt.
Hier war jemand am Werk, der sein Handwerk erriechbar versteht: Nutt Wesshasartar, ein junger Parfümeur, der eine thailändische Dufttradition in vierter Generation weiterführt, die 1928 mit einem Werk namens „Num-Ob Prung Chaokhun“ begann. Im Gegensatz zu seinem Landsmann und ‚self taught’ Parfümeur Prin Lomros, wirkt zumindest diese Kreation von Wesshasartar (eine andere kenne ich nicht, der Mann war mir vorher völlig unbekannt) ausgewogener, klassischer, raffinierter und sublimer, als alles, was ich von Kollege Lomros bisher gerochen habe. Gemeinsam mit Mrs. Wesshasartar, 3. Generartion (Mutter? Tante?), hat Nutt Wesshasartar 2019 eine neue Linie namens ‚Siam 1928’ lanciert, welche die Familientradition in die Moderne führen soll. Die Düfte klingen allesamt spannend, mit allerlei mir völlig unbekannten Ingredienzen, und selbst das Wasser, mit dem der Alkohol verdünnt wird, in dem wiederum die Parfumöle gelöst werden, wird hier mitunter wohl geräuchert, was ich auch noch nie gehört habe.
Nun, vielleicht finden diese Werke ja eines Tages auch zu uns – ich glaube, hier gibt es was zu entdecken!

Nachdem ich nun also las, dass der Gründungsduft der Parfumeurs-Dynastie Wesshasartar noch heute in „Buddhist-shops for use in traditional rituals since 1928“ verkauft wird, erschien es mir plötzlich denkbar, dass hier auf eine Art von ‚Darkness’ verwiesen wird, die für unsere europäischen Nasen (und erst Recht für unsere deutschen Holzfäller-Nasen) so ‚dark’ gar nicht ist. Sie ist es aber doch. Zumindest in einem thailändischen, bzw. buddhistischen Kontext, indem der Duft auf eine Art introspektiver Dunkelheit anspielt, die entsteht, wenn man die Augen schließt und zu meditieren beginnt. Der Raum, der den Meditierenden umgibt, könnte dabei ein offener Tempel sein, in dem unzählige Räucherstäbchen ihre hellen Rauchsäulen kringelnd aufsteigen lassen, von fruchttragenden Bäumen umstanden und mit Blüten geschmückt. Mögen die einströmenden Aromen hier nun noch so farbenfroh und hell vor der schwarzen Leinwand der geschlossenen Lider aufblitzen, mit zunehmender Selbstversenkung wird das meditative Dunkel letztlich auch die Reste imaginierter Helligkeit absorbieren.
Egal, ob ich mit dieser Interpretation richtig liege, oder nicht, die irreführende Namensgebung erscheint mir so jedenfalls ein wenig plausibler.

Überzeugende Weihrauchdüfte gibt es natürlich einige: ‚Avignon’ und ‚Kyoto’, ‚Passage d’Enfer’, ‚Casbah’ oder ‚Lacrima’, jeder auf seine Weise akzentuiert. ‚I Am Darkness’ kommt nun mit einem ganzen Bündel an besonderen Akzenten daher: grüne, fruchtige, florale, harzige, aromatische, würzige, moosige, und, und, und – ein duftendes Kaleidoskop, dessen vielzählige Bestandteile sich bei jeder Umdrehung neu zusammenpuzzeln. Einen schillernderen und mehrschichtigeren Duft dieses Genres habe ich bis jetzt noch nicht erlebt, und noch dazu im Chypre-Gewand (ohne echtes Eichenmoos allerdings, vermutlich mit einem nicht näher deklarierten Ersatzstoff, z.B. Evernyl), was mich vollends für ihn eingenommen hat.
‚I Am Darkness’ hat einen Parfumöl-Anteil von 20%, darf sich daher zu Recht ‚Parfum’ nennen und verhält sich auch entsprechend – ein schönes, langanhaltendes nicht überlautes Volumen entwickelnd.

Seiner auffallenden floralen Facetten wegen mögen ihn manche als eher femininen Duft einordnen, andere seiner (weih)rauchigen Grundstimmung wegen eher als maskulinen. Möge also jeder selbst entscheiden – die Komplexität des Duftes entzieht ihn ohnehin jeder vereinfachenden Kategorisierung.

Bleibt zu hoffen, dass die Azman-Düfte auch bei uns künftig einfacher zu haben sein werden, denn es wäre schade, wenn Werke dieser Qualität einer Kundschaft vorenthalten blieben, die charakterstarke Parfumkunst zu schätzen weiß. Husen Baba hat jedenfalls nicht nur mit der Auswahl seiner Parfumeure schon mal ein gutes Händchen bewiesen, zumindest was die ersten vier Düfte des noch jungen Unternehmens betrifft (Canali, Matos, Lomros, Wesshasartar), sondern ihnen offenbar ‚Carte blanche’ die Güte der Materialien betreffend und ausreichend künstlerischen Freiraum gegeben.
Man kann es riechen!
22 Antworten
Profumo vor 1 Jahr 28 16
7
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Ok, sie fallen doch übereinander her...
Ich weiß, schon wieder ein Rosen-Oud – es reicht!
Kaum eine Kombination die zuverlässiger als ‚dernier cri’ aus dem Hut gezaubert würde, wenn irgendwo auf diesem Globus wieder einmal ein neues Label aufpoppt.
Dabei ist die Kombination schön, durchaus, ein wunderbarer Kontrast: rauchig-holziges Oud, mit seinen harzigen, medizinischen und animalischen Facetten, und auf der anderen Seite die Rose, dunkel, samtig-floral. Sicher, es gibt viele gelungene Rosen-Ouds, aber es gibt auch viele belanglose. Viele, denen man anmerkt, dass sie zusammengehudelt wurden, dass keine Inspiration vonnöten und das Budget knapp war.

Auch Husen Baba, der Mann, der Azman Perfumes ins Leben rief, hat sein neues Unternehmen mit einem Rosen-Oud eingeführt, eines, das mit Sicherheit an mir vorbei gegangen wäre – Oud-müde wie ich bin – hätte man es nicht zugleich mit dem Parfumeur beworben: Cristiano Canali.
Seit den Rubini-Düften, seit ‚Romanza’ von Masque und ‚Bee’ von Zoologist bin ich ein großer Fan des jungen Italieners. Irgendein x-beliebiges Rosen-Oud war hier also nicht zu erwarten, dessen durfte ich sicher sein. Und dann der Name: ‚Two Minutes After The Kiss’ – was für ein poetisches Bild!
Nur leider war der Duft nicht in Europa erhältlich, sondern allein im vermaledeiten Dubai oder beim US-amerikanischen Anbieter Luckyscent. Beides mal wären Zollgebühren angefallen, die ich in einem runtergekommen Zollamt inmitten eines weit abgelegenen Industriegebietes hätte entrichten müssen, und darauf hatte ich keine Lust. Ein paar Mal habe ich das gemacht, nur um festzustellen, dass ich die ersehnten Werke ein/zwei Jahre später ganz problemlos irgendwo in der EU hätte bestellen können.
So auch jetzt: seit kurzem sind nun die Azman-Düfte in einer Parfümerie in Barcelona erhältlich und ruck-zuck hatte ich ihn in Händen.

Und was soll ich sagen: ich wurde nicht enttäuscht, was für ein schöner Duft!
Voll, rund, weich, irgendwie buttrig. Oud ist da, ja, ein komplexes Oud (angeblich auch echtes), sein ganzes Kaleidoskop an Facetten ausspielend, aber ein Oud ‚with manners’ sozusagen: gefasst, zivilisiert, ausgewogen, nicht übergriffig. Als Gegenpart eine samtig-weiche Rose, von floraler Frische kuppelartig überwölbt. Aber so sehr sich Oud und Rose hervortun, haben sie doch erkennbar Mitstreiter, die zügig zur Geltung kommen: Kardamom, Weihrauch, Leder, Patchouli, Labdanum – Noten, die ich allesamt sehr liebe. Besonders das vielschichtige Aroma des Kardamoms scheint mir hier eine Art ‚game changer’ (um mal einen gerade arg strapazierten Begriff zu verwenden...) zu sein. Ziemlich robust drängelt die delikate Würze sich zwischen das gerade noch eng umschlungene Rosen-Oud-Duo, sekundiert von feinstem, luftigen Weihrauch. Gemeinsam weiten sie das Tableau, öffnen den Duft. Ein zarter Hauch von Bienenwachs – mit dem sich Canali ja bestens auskennt – wird erkennbar: es fixiert die floralen, rauchigen, würzigen und harzigen Akzente der Kopf- und Herznoten und emulgiert sie mit der balsamisch-ledrig-holzigen Basis.

Oud und Rose bleiben im Duftverlauf zwar lange präsent, treten aber zunehmend zur Seite und nach und nach in den Hintergrund, sodass ich ‚Two Minutes After The Kiss’ nach einiger Zeit gar nicht mehr als Rosen-Oud wahrnehme, sondern vielmehr als würzig-rauchig-wachsigen Orientalen, nicht unähnlich Amouages ‚Jubilation XXV Man’.
Ist der Duft anfänglich noch voller Kontraste und widerstreitenden Aromen, verschmilzt alles zusehends zu einer schön austarierten buttrig-warmen, dezent ledrig-animalischen Basis, deren letzten Hauch ich noch am nächsten Morgen wahrnehme.

Mit 25%igem Parfumöl-Anteil darf sich ‚Two Minutes After The Kiss’ zwar völlig zu Recht ‚Parfum’ nennen, ist aber von den weit höher konzentrierten Guerlain´schen oder Chanel’schen Parfums noch um einiges entfernt. Dennoch verhält sich das Azman-Parfum vergleichbar: ein langsames, beständiges Anschwellen der Duft-Aura bis zu einem satten, aber nicht raumsprengenden Volumen, mit langanhaltender, nicht überlauter Präsenz, mündend in scheinbar endloses Verglimmen.
Die Wahl der Materialien, die wandlungsfähige Komposition in klassischen Proportionen, bei gleichzeitiger Abwesenheit übertrieben auftrumpfender modischer Synthetik – all das hebt ‚Two Minutes After The Kiss’ wohltuend von gerade so beliebten Boliden à la ‚Encelade’ und ‚Uncut Gem’ ab. Nein, dieser Duft macht definitiv nicht auf dicke Hose.

Bleibt die Frage, wer küsst hier eigentlich wen?
Miguel Matos, der auch einen Duft zur Azman-Reihe beigetragen hat, bemerkt dazu: „Rose and oud are eternal lovers. This pair of notes is just magical, so it’s interesting how the name of the scent connects to this timeless love affair.“
Und was macht Kollege Canali? Er gönnt seinen ‚eternal lovers’ scheinbar mal ´ne Pause: Schluss mit dem Geknutsche: Auftritt Kardamom, Weihrauch, Bienenwachs.

Matos weiter: „The more the scent lingers on skin, the sexier it gets.“
Ok, sie fallen doch übereinander her...
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