06.02.2023 - 07:34 Uhr
Profumo
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Profumo
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36
Meditative Finsternis
Vorab, dunkel ist hier gar nichts.
Jedenfalls nicht solcherart, wie wir duftende Darkness schon zu genüge, ja mitunter bis zum Abwinken kennen: teerig, rauchig, schinkenspeckig, finsterwaldig, triefharzig.
Nichts dergleichen.
Stattdessen: Weihrauch, sehr viel Weihrauch, der hellen, feinen Sorte, nicht jener scharf-knarzige, katholisches Nasenhaar sträubende, vielmehr zarter, aromatischer omanischer Weihrauch, der auch die ersten Kreationen von Amouage kennzeichnete. Das Zentrum des Duftes besetzend wird er zu Beginn von grün-koniferischen Noten und bitterer Zitrusfrische umspielt, während sich Backstage schon ein üppiges exotisches Blütentrio warmläuft: Ylang-Ylang, Champaka und vor allem Frangipani, die zunehmend narkotisierend fruchtig-floralen Nektar versprühen, glücklicherweise aber von den allzeit präsenten Weihrauchschwaden in Schach gehalten werden. Dabei erweist sich das Räucherwerk als überaus kompatibles Kontrastmittel gegen überbordende Süße und Sinne vernebelnde Indolik, während es zugleich auf’s Schönste mit grün-harzigen Nadelbaum-Aromen und dem frisch-bitteren Fruchtkomplex der Grapefruit verschmilzt.
Auf einer schlanken, balsamisch warmen Basis, die nicht in erwartbare ambersüße Orientalik abdriftet, sondern in der stabilen Tintenfeuchte einer klassisch-eichenmoosigen Chyprestruktur ankert, kommt dieses Weihrauch-Potpourri nach allerlei Pirouetten recht gemächlich zur Ruhe. Erstaunlich, wie gut die rauchigen Facetten mit den erdig-moosigen der Flechte harmonieren! Tatsächlich tritt hier auch ein wenig Oud auf den Plan, in homöopathischer Dosis, gerade soviel, dass es eine Nuance ausmacht, die Kraft ihres eigenen Duftprofils die weihrauchige Stimmung aufgreift und zum erdigen Finish überleitet – eine Art ‚Missing Link’.
Man erwarte allerdings kein Power-Chypre à la ‚Mitsouko’. ‚I Am Darkness’ ist zwar deutlich erkennbar ein Chypre, auch wenn es ihm manche Mitsoukianer:innen sicherlich absprechen werden, aber der Chypre-Charakter definiert nicht den Duft als solchen, tritt nicht plakativ in den Vordergrund, sondern verströmt seinen bitteren und warmen Sound eher hintergründig, oder besser: untergründig.
Dennoch ist der Weihrauch in etwas das, was der Pfirsich für ‚Mitsouko’ ist: ein kongenialer Match-Partner für eine ungewöhnliche Chypre-Variation. Nicht, dass es ein solches noch nie gab, auch ‚Lacrima’ von Liquides Imaginaires ist ein Weihrauch-Chypre, aber ‚I Am Darkness’ ist doch unvergleichlich komplexer und kontrastreicher orchestriert, ohne dabei überladen, oder allzu üppig zu wirken. Der Duft bleibt vielmehr feingliedrig, sehnig und ohne irgendwelche Unwuchten – alles scheint penibel aufeinander abgestimmt.
Hier war jemand am Werk, der sein Handwerk erriechbar versteht: Nutt Wesshasartar, ein junger Parfümeur, der eine thailändische Dufttradition in vierter Generation weiterführt, die 1928 mit einem Werk namens „Num-Ob Prung Chaokhun“ begann. Im Gegensatz zu seinem Landsmann und ‚self taught’ Parfümeur Prin Lomros, wirkt zumindest diese Kreation von Wesshasartar (eine andere kenne ich nicht, der Mann war mir vorher völlig unbekannt) ausgewogener, klassischer, raffinierter und sublimer, als alles, was ich von Kollege Lomros bisher gerochen habe. Gemeinsam mit Mrs. Wesshasartar, 3. Generartion (Mutter? Tante?), hat Nutt Wesshasartar 2019 eine neue Linie namens ‚Siam 1928’ lanciert, welche die Familientradition in die Moderne führen soll. Die Düfte klingen allesamt spannend, mit allerlei mir völlig unbekannten Ingredienzen, und selbst das Wasser, mit dem der Alkohol verdünnt wird, in dem wiederum die Parfumöle gelöst werden, wird hier mitunter wohl geräuchert, was ich auch noch nie gehört habe.
Nun, vielleicht finden diese Werke ja eines Tages auch zu uns – ich glaube, hier gibt es was zu entdecken!
Nachdem ich nun also las, dass der Gründungsduft der Parfumeurs-Dynastie Wesshasartar noch heute in „Buddhist-shops for use in traditional rituals since 1928“ verkauft wird, erschien es mir plötzlich denkbar, dass hier auf eine Art von ‚Darkness’ verwiesen wird, die für unsere europäischen Nasen (und erst Recht für unsere deutschen Holzfäller-Nasen) so ‚dark’ gar nicht ist. Sie ist es aber doch. Zumindest in einem thailändischen, bzw. buddhistischen Kontext, indem der Duft auf eine Art introspektiver Dunkelheit anspielt, die entsteht, wenn man die Augen schließt und zu meditieren beginnt. Der Raum, der den Meditierenden umgibt, könnte dabei ein offener Tempel sein, in dem unzählige Räucherstäbchen ihre hellen Rauchsäulen kringelnd aufsteigen lassen, von fruchttragenden Bäumen umstanden und mit Blüten geschmückt. Mögen die einströmenden Aromen hier nun noch so farbenfroh und hell vor der schwarzen Leinwand der geschlossenen Lider aufblitzen, mit zunehmender Selbstversenkung wird das meditative Dunkel letztlich auch die Reste imaginierter Helligkeit absorbieren.
Egal, ob ich mit dieser Interpretation richtig liege, oder nicht, die irreführende Namensgebung erscheint mir so jedenfalls ein wenig plausibler.
Überzeugende Weihrauchdüfte gibt es natürlich einige: ‚Avignon’ und ‚Kyoto’, ‚Passage d’Enfer’, ‚Casbah’ oder ‚Lacrima’, jeder auf seine Weise akzentuiert. ‚I Am Darkness’ kommt nun mit einem ganzen Bündel an besonderen Akzenten daher: grüne, fruchtige, florale, harzige, aromatische, würzige, moosige, und, und, und – ein duftendes Kaleidoskop, dessen vielzählige Bestandteile sich bei jeder Umdrehung neu zusammenpuzzeln. Einen schillernderen und mehrschichtigeren Duft dieses Genres habe ich bis jetzt noch nicht erlebt, und noch dazu im Chypre-Gewand (ohne echtes Eichenmoos allerdings, vermutlich mit einem nicht näher deklarierten Ersatzstoff, z.B. Evernyl), was mich vollends für ihn eingenommen hat.
‚I Am Darkness’ hat einen Parfumöl-Anteil von 20%, darf sich daher zu Recht ‚Parfum’ nennen und verhält sich auch entsprechend – ein schönes, langanhaltendes nicht überlautes Volumen entwickelnd.
Seiner auffallenden floralen Facetten wegen mögen ihn manche als eher femininen Duft einordnen, andere seiner (weih)rauchigen Grundstimmung wegen eher als maskulinen. Möge also jeder selbst entscheiden – die Komplexität des Duftes entzieht ihn ohnehin jeder vereinfachenden Kategorisierung.
Bleibt zu hoffen, dass die Azman-Düfte auch bei uns künftig einfacher zu haben sein werden, denn es wäre schade, wenn Werke dieser Qualität einer Kundschaft vorenthalten blieben, die charakterstarke Parfumkunst zu schätzen weiß. Husen Baba hat jedenfalls nicht nur mit der Auswahl seiner Parfumeure schon mal ein gutes Händchen bewiesen, zumindest was die ersten vier Düfte des noch jungen Unternehmens betrifft (Canali, Matos, Lomros, Wesshasartar), sondern ihnen offenbar ‚Carte blanche’ die Güte der Materialien betreffend und ausreichend künstlerischen Freiraum gegeben.
Man kann es riechen!
Jedenfalls nicht solcherart, wie wir duftende Darkness schon zu genüge, ja mitunter bis zum Abwinken kennen: teerig, rauchig, schinkenspeckig, finsterwaldig, triefharzig.
Nichts dergleichen.
Stattdessen: Weihrauch, sehr viel Weihrauch, der hellen, feinen Sorte, nicht jener scharf-knarzige, katholisches Nasenhaar sträubende, vielmehr zarter, aromatischer omanischer Weihrauch, der auch die ersten Kreationen von Amouage kennzeichnete. Das Zentrum des Duftes besetzend wird er zu Beginn von grün-koniferischen Noten und bitterer Zitrusfrische umspielt, während sich Backstage schon ein üppiges exotisches Blütentrio warmläuft: Ylang-Ylang, Champaka und vor allem Frangipani, die zunehmend narkotisierend fruchtig-floralen Nektar versprühen, glücklicherweise aber von den allzeit präsenten Weihrauchschwaden in Schach gehalten werden. Dabei erweist sich das Räucherwerk als überaus kompatibles Kontrastmittel gegen überbordende Süße und Sinne vernebelnde Indolik, während es zugleich auf’s Schönste mit grün-harzigen Nadelbaum-Aromen und dem frisch-bitteren Fruchtkomplex der Grapefruit verschmilzt.
Auf einer schlanken, balsamisch warmen Basis, die nicht in erwartbare ambersüße Orientalik abdriftet, sondern in der stabilen Tintenfeuchte einer klassisch-eichenmoosigen Chyprestruktur ankert, kommt dieses Weihrauch-Potpourri nach allerlei Pirouetten recht gemächlich zur Ruhe. Erstaunlich, wie gut die rauchigen Facetten mit den erdig-moosigen der Flechte harmonieren! Tatsächlich tritt hier auch ein wenig Oud auf den Plan, in homöopathischer Dosis, gerade soviel, dass es eine Nuance ausmacht, die Kraft ihres eigenen Duftprofils die weihrauchige Stimmung aufgreift und zum erdigen Finish überleitet – eine Art ‚Missing Link’.
Man erwarte allerdings kein Power-Chypre à la ‚Mitsouko’. ‚I Am Darkness’ ist zwar deutlich erkennbar ein Chypre, auch wenn es ihm manche Mitsoukianer:innen sicherlich absprechen werden, aber der Chypre-Charakter definiert nicht den Duft als solchen, tritt nicht plakativ in den Vordergrund, sondern verströmt seinen bitteren und warmen Sound eher hintergründig, oder besser: untergründig.
Dennoch ist der Weihrauch in etwas das, was der Pfirsich für ‚Mitsouko’ ist: ein kongenialer Match-Partner für eine ungewöhnliche Chypre-Variation. Nicht, dass es ein solches noch nie gab, auch ‚Lacrima’ von Liquides Imaginaires ist ein Weihrauch-Chypre, aber ‚I Am Darkness’ ist doch unvergleichlich komplexer und kontrastreicher orchestriert, ohne dabei überladen, oder allzu üppig zu wirken. Der Duft bleibt vielmehr feingliedrig, sehnig und ohne irgendwelche Unwuchten – alles scheint penibel aufeinander abgestimmt.
Hier war jemand am Werk, der sein Handwerk erriechbar versteht: Nutt Wesshasartar, ein junger Parfümeur, der eine thailändische Dufttradition in vierter Generation weiterführt, die 1928 mit einem Werk namens „Num-Ob Prung Chaokhun“ begann. Im Gegensatz zu seinem Landsmann und ‚self taught’ Parfümeur Prin Lomros, wirkt zumindest diese Kreation von Wesshasartar (eine andere kenne ich nicht, der Mann war mir vorher völlig unbekannt) ausgewogener, klassischer, raffinierter und sublimer, als alles, was ich von Kollege Lomros bisher gerochen habe. Gemeinsam mit Mrs. Wesshasartar, 3. Generartion (Mutter? Tante?), hat Nutt Wesshasartar 2019 eine neue Linie namens ‚Siam 1928’ lanciert, welche die Familientradition in die Moderne führen soll. Die Düfte klingen allesamt spannend, mit allerlei mir völlig unbekannten Ingredienzen, und selbst das Wasser, mit dem der Alkohol verdünnt wird, in dem wiederum die Parfumöle gelöst werden, wird hier mitunter wohl geräuchert, was ich auch noch nie gehört habe.
Nun, vielleicht finden diese Werke ja eines Tages auch zu uns – ich glaube, hier gibt es was zu entdecken!
Nachdem ich nun also las, dass der Gründungsduft der Parfumeurs-Dynastie Wesshasartar noch heute in „Buddhist-shops for use in traditional rituals since 1928“ verkauft wird, erschien es mir plötzlich denkbar, dass hier auf eine Art von ‚Darkness’ verwiesen wird, die für unsere europäischen Nasen (und erst Recht für unsere deutschen Holzfäller-Nasen) so ‚dark’ gar nicht ist. Sie ist es aber doch. Zumindest in einem thailändischen, bzw. buddhistischen Kontext, indem der Duft auf eine Art introspektiver Dunkelheit anspielt, die entsteht, wenn man die Augen schließt und zu meditieren beginnt. Der Raum, der den Meditierenden umgibt, könnte dabei ein offener Tempel sein, in dem unzählige Räucherstäbchen ihre hellen Rauchsäulen kringelnd aufsteigen lassen, von fruchttragenden Bäumen umstanden und mit Blüten geschmückt. Mögen die einströmenden Aromen hier nun noch so farbenfroh und hell vor der schwarzen Leinwand der geschlossenen Lider aufblitzen, mit zunehmender Selbstversenkung wird das meditative Dunkel letztlich auch die Reste imaginierter Helligkeit absorbieren.
Egal, ob ich mit dieser Interpretation richtig liege, oder nicht, die irreführende Namensgebung erscheint mir so jedenfalls ein wenig plausibler.
Überzeugende Weihrauchdüfte gibt es natürlich einige: ‚Avignon’ und ‚Kyoto’, ‚Passage d’Enfer’, ‚Casbah’ oder ‚Lacrima’, jeder auf seine Weise akzentuiert. ‚I Am Darkness’ kommt nun mit einem ganzen Bündel an besonderen Akzenten daher: grüne, fruchtige, florale, harzige, aromatische, würzige, moosige, und, und, und – ein duftendes Kaleidoskop, dessen vielzählige Bestandteile sich bei jeder Umdrehung neu zusammenpuzzeln. Einen schillernderen und mehrschichtigeren Duft dieses Genres habe ich bis jetzt noch nicht erlebt, und noch dazu im Chypre-Gewand (ohne echtes Eichenmoos allerdings, vermutlich mit einem nicht näher deklarierten Ersatzstoff, z.B. Evernyl), was mich vollends für ihn eingenommen hat.
‚I Am Darkness’ hat einen Parfumöl-Anteil von 20%, darf sich daher zu Recht ‚Parfum’ nennen und verhält sich auch entsprechend – ein schönes, langanhaltendes nicht überlautes Volumen entwickelnd.
Seiner auffallenden floralen Facetten wegen mögen ihn manche als eher femininen Duft einordnen, andere seiner (weih)rauchigen Grundstimmung wegen eher als maskulinen. Möge also jeder selbst entscheiden – die Komplexität des Duftes entzieht ihn ohnehin jeder vereinfachenden Kategorisierung.
Bleibt zu hoffen, dass die Azman-Düfte auch bei uns künftig einfacher zu haben sein werden, denn es wäre schade, wenn Werke dieser Qualität einer Kundschaft vorenthalten blieben, die charakterstarke Parfumkunst zu schätzen weiß. Husen Baba hat jedenfalls nicht nur mit der Auswahl seiner Parfumeure schon mal ein gutes Händchen bewiesen, zumindest was die ersten vier Düfte des noch jungen Unternehmens betrifft (Canali, Matos, Lomros, Wesshasartar), sondern ihnen offenbar ‚Carte blanche’ die Güte der Materialien betreffend und ausreichend künstlerischen Freiraum gegeben.
Man kann es riechen!
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