Zu meinen Lieblingsparfumeuren zählt Antoine Lie eigentlich nicht, aber was er mit seinem Ambregris-Triptychon, „Mxxx.“, „Escale en Indonésie“ und „Ambre Suprême“, geschaffen hat – Hut ab!
Zu verdanken, dass einer der legendärsten und von Mythen umrankten Duftstoffe in einer bisher nicht gekannten Intensität und Glorie für uns erlebbar wurde, haben wir es seiner Bekanntschaft mit Rémi Pulvérail, Gründer und Inhaber von „L’Atelier Français Des Matières“. Dessen Unternehmen entwickelt in speziellen Verfahren Tinkturen höchster Reinheit und Güte, und hat es sich zum Ziel gesetzt einen Kontrapunkt gegen die immer weiter voranschreitende Nivellierung des Marktes durch immer austauschbarer werdende Ingredienzen zu setzen.
Pulvérails Frau Valérie wiederum ist Gründerin und Inhaberin des vielbeachteten Labels „Les Indémodables“, an dessen Düften man wunderbar studieren kann, welchen Gewinn es bedeutet, wenn erfahrene Parfumeure Zugriff auf wirklich erstklassige Inhaltstoffe haben. Nebenbei fungieren diese Werke natürlich – eine klassische Win-Win-Situation – auch als perfekte Werbeträger für die Firma des Gatten.
Rémi Pulvérail hat nun eine besondere Ambregris-Tinktur im Katalog, die Antoine Lie, aufgrund ihrer Ausgewogenheit von Cremigkeit, Salzigkeit und animalischem Charakter, überzeugte. Aber nicht nur sie hat er für „Mxxx.“ aus dem Portfolio von AFDM gewählt, wie Barabara Herman von Eris Parfums zu berichten weiß, sondern auch einen besonders reichhaltigen, würzigen, fast animalischen Kakao aus Trinidad, der bisher nie Verwendung in der Parfümerie fand, sowie eine spezielle „grüne“ Vanille aus Madagaskar, die erst durch aufwändige Gefrier- und Extraktionstechniken ihre außergewöhnlichen Qualitäten erlangt.
All das floss in die Formel von „Mxxx.“ ein, und ich finde man riecht es: ein Quantensprung gegenüber dem ebenfalls schon ziemlich gelungenen Vorgängerduft „Mx.“!
Stehen dafür die zwei zusätzlichen „x“?
Keine Ahnung. „Mx.“ jedenfalls möchte die genderneutrale Spielart von „Mr.“ und „Ms.“ sein, als die sich auch der Duft versteht – zurecht; ohne dass ich jetzt weiter auf den Unterschied von „unisex“ und „genderneutral“ eingehen möchte, was den hiesigen Rahmen sprengen würde.
„Mxxx.“ startet würzig, trocken, und mit leichter Schärfe. Zugleich beginnen die Kakao-Noten aufzublühen, fast ohne Süße im Gepäck, sondern ein ganzes Kaleidoskop an eher bitteren, buttrigen, fast nussigen Aromen entblätternd, flankiert von hellem, poliertem Holz. Nach wenigen Minuten schon beginnt aber der eigentliche Player dieses Duftes wie ein vielarmiger Krake seine Tentakel in alle Richtungen zu strecken: die Ambra.
Zur Genüge kennen wir ja alle deren synthetischen, aus der modernen Parfümerie nicht wegzudenkenden Ersatz, der aber letztlich nur einen Bruchteil des Duftprofiles des natürlichen Ausgangsproduktes wiederzugeben vermag.
Hier entfaltete sie sich nun in vollem Ornat, vielgesichtig, amorph und schwer zu fassen: salzig, nach warmer, pulsierender Haut duftend, den Weiten des Ozeans, alten Büchern, Treibholz, leicht mineralisch, betörend animalisch und, und, und...
Kaum ein Duftbaustein prunkt (und verwirrt!) mit einem derart diffusen Profil, aber die Hauptaufgabe der Ambra war früher, als man sie dank des industriellen Walfangs noch in Hülle und Fülle zur Verfügung hatte, auch eher eine andere: sie diente dazu einen Duft strahlen zu lassen, ihn zu weiten, zu intensivieren. Man ließ sie hintergründig agieren, als Strippenzieher im Off sozusagen. Ein und dasselbe Duftkonzept einmal mit, einmal ohne Ambra, und alle Testpersonen entscheiden sich zuverlässig für die Version mit der Ambra – so berichten Parfumeure von ihrer Arbeit.
Glücklicherweise kam der Schutz der Pottwale gerade noch rechtzeitig, bevor auch noch den letzten dahingemeuchelten Exemplaren die Ambra direkt entnommen werden konnte. Fürderhin war man also darauf angewiesen weltweit die Strände nach oxidierter Walkotze (oder wie auch immer der Pottwal die unverdaulichen Reste seiner Nahrung ausscheidet – man weiß es nicht so genau...) abzusuchen, oder aber auf einen walschonend synthetisch entwickelten Ersatzstoff zurückzugreifen, dem sogenannten Ambrein, das schon in den 50er Jahren aus der natürlichen Ambra isoliert werden konnte und mit dessen Hilfe man später jenes Ambroxan (nebst unzähligen Nachfolgern) entwickelte, das heute Verwendung findet als gäb’s kein Morgen.
Hier aber, Freunde der Olfaktorik, ist wirklich Graue Ambra am Start – echte!
Und das riecht man.
Das Bild des Kraken passt für mich dabei bestens zur Wirkung der Ambra: mit seinen Tentakeln umfasst er alle anderen Duftbausteine, zieht sie an sich, hält sie umschlossen, nimmt aber zugleich, wie ein Chamäleon, deren Farbgebung an. Er stülpt sich nicht über alles, dafür hat er eine viel zu unklare Duftkontur, aber er durchdringt alles, lässt es emulgieren, leuchten, und erst bei genauerem Hineinschnuppern erahnt man seine Umrisse: die Salzigkeit verrät ihn, der leise animalische Hauch, den Antoine Lie in die Basis mit einer dezenten Prise Hyraceum verlängert, die Ahnung von ozeanischer Mineralik, die Wärme.
Schon dem vielbeklatschten Vorgängerduft „Mx.“ lag ja ein vergleichbares Konzept zugrunde: ein holzig-würziger Halbgourmand, dem venezolanischer Kakao und ledrig-animalisches Castoreum seinen besonderen Charakter verliehen. Wobei der Begriff „Halbgourmand“ eigentlich nicht ganz zutrifft, da beide Düfte das Gourmand-Terrain mit ihren jeweiligen Kakao-Nuancen bestenfalls streifen. Diese Nuancen sind nämlich derart herb und bitter, dass es schon einer balsamischen Beigabe wie Benzoin bedarf um den Düften zur Basis hin eine gewisse Rundung zu verleihen, die in beiden Fällen mit deutlich Patchouli und einer Spur weniger deutlichem Vetiver vollendet wird.
DAS Unterscheidungsmerkmal schlechthin zwischen beiden Düften ist aber die Verwendung der Ambra, noch dazu in einer solchen Intensität (7% am Parfumöl-Anteil, was eine Menge ist!). Sie macht aus dem ohnehin schon ausgesprochen sinnlichen „Mx.“ eine wahre Sinnlichkeits-Bombe, deren auf die Spitze getriebene Sinnlichkeit manchem, oder mancher, auf Dauer womöglich zu viel sein könnte. Doch dafür steht ja wieder die Version ohne Ambra parat.
Ich, für meinen Teil, mag „Mx.“. So richtig begeistert mich aber erst „Mxxx.“.
Mit seiner Opulenz und Ambra-Seligkeit hat der Duft fast etwas von einem Vintage-Extrait, das von längst vergangenen, goldenen Zeiten kündet, als man die duftenden Inhaltstoffe noch nicht zum Zwecke des Verbraucherschutzes durchleuchtete und ethische Fragen bei der Gewinnung unberücksichtigt ließ.
Zum Glück sind solche Zeiten passé!
Dass wir aber mit dem Ambregris-Triptychon von Antoine Lie (interessanterweise duftet sie in „Escale en Inonésie“ am intensivsten, obwohl hier nur 5% verwendet wurden, in einem aber ansonsten recht sparsamen Umfeld) derart schamlos an echter Grauer Ambra schnuppern dürfen, vermittelt mir schon fast eine gewisse Dekadenz, die mir heute vor lauter Ausgewogenheit und Awareness beinahe ein leises schlechtes Gewissen bereitet.
Ein ganz leises.
Nein, eigentlich gar keins.