Puck1
Puck1s Blog
vor 12 Jahren - 23.11.2011
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Ungehobene Schätzchen? oder wie aus dem Schneeball die Lawine wird

Ich habe es geahnt; ich kann einfach nicht anders. Nun müssen Lesen, Stricken, Filzen und Spinnen sich die Zeit mit ausdauernder Recherche am eigenen Körper, überm Papierstreifen und in Buch und Internet teilen. Wenn schon, dann bitte ausufernd: nicht nur einfach aufsprühen und zufrieden sein. Nö, wie ist das jetzt mit der Hautchemie, wie und warum funktioniert eine Duftreihenfolge, wie erkenne ich einzelne Komponenten, welche Parfüme gab es in meinem Geburtsjahr...? Da geht schonmal die eine oder andere Stunde drauf und verdammt, es macht mir Spass. Ich suche nach besonderem, für mich interessantem und ab und an werde ich fündig.

Soeben hat der geflügelte Postbote das Ergebnis einer nicht zielorientierten Suche abgeliefert. Ein Karton in dreckig Helltürkis mit Gold, auf dem ein  silbernes Oval mit geprägtem "Li" über einen petrolfarbenen Papierstreifen aufgeklebt ist. Von dem Karton geht ein Geruch nach alter Schublade oder langjähriger Lagerung auf einem Dachboden aus. Schon als Kind hat mich genau dieser Geruch nicht im geringsten abgeschreckt, sondern auf Fantasiereisen geschickt.

"Li"? Noch nie gehört. Das ist auch kein Wunder, denn Karton und Inhalt sind älter als ich. Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten.

Frankfurt a.M. steht seit 2008 in meinem Ausweis, seit 2002 das Frankfurter Umland. Mit dem Umzug in die Innenstadt begann ich mich für die Geschichte der Stadt zu interessieren und ab und an senke ich den Altersdurchschnitt bei Veranstaltungen der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte. Mich interessieren weniger die ganz großen Ereignisse wie Kaiserkrönungen und ähnliches, sondern Kuriositäten, Geschichten und Geschichtchen über die Menschen nebenan. Genau das hat mich veranlasst "Li" zu kaufen. Die Geschichte dahinter.

"Li" ist ein Eau de Cologne der Firma Khasana GmbH Dr. Albersheim, die von 1892 bis 1960 in Frankfurt produzierte. Dr. Moritz Albersheim entwickelte erstmals in Deutschland eine Körperpflege, die durch einen Duft ("Khasana") geprägt war. Nach seinem Tod übernahm sein Neffe, zusammen mit einem Fritz Albersheim die Firma. Sie entwickelten eine Rasierseifencreme ("Peri"), in deren Gefolge eine ganze Reihe von Rausurprodukten entstand.

Kriegswirren und Wirtschaftskrise überstand die Firma. Nach dem Tod von Fritz Albersheim versucht seine Witwe, eine gebürtige New Yorkerin, das Erbe zu retten;in der Nacht des 9. November 1938 wird jedoch das Ladengeschäft auf der Kaiserstraße völlig zerstört. 1939 emigrieren Erna Albersheim, ihre Kinder und Walter Carsch (der Neffe des Gründers). Die Firma ist nun zwangsarisiert (Dr. Korthaus KG) und stellt mit Beginn des Krieges Körperpflegemittel zur Versorgung der Wehrmacht her. 1944 wird das Betriebsgelände am Hauptbahnhof zerstört , nur die Außenstellen produzieren weiter.

Mit dem Kriegsende kehrt die Firma nach Frankfurt zurück, Walter Carsch übernimmt die Firmenleitung

"Ihrer Tradition entsprechend pflegte die Khasana GmbH Dr. Albersheim auch nach 1948 die Parfüm-Komposition. Mit seiner Phantasieschöpfung Khasana hatte ja vor mehr als drei Jahrzehnten Dr. Albersheim seinen Namen in der ganzen Welt bekannt gemacht und darum verpflichtet die Fortführung dieser erfolgreichen Marke im Firmennamen seit 1946 zu Anstrengungen in gleicher Richtung. Als neue Duftschöpfungen brachte das Unternehmen die Parfüme "Li" und "Shangri La" auf den Markt. Die Wiederaufnahme des Geschäftes mit Geschenkkartonagen in Form von "Eau de Cologne" und "Alpen-Lavendel" Packungen rundete vollends das Produktionsprogramm ab." (zitiert nach: http://www.aufbau-ffm.de/doku/Archiv/khasana.html  und auch http://puderquaste.wb4.de/)

Die Firma existierte bis 1960.

Ich öffne meinen Karton: auf hellen Stoff gebettet ein 250ccm-Flakon, der sich nach unten  verjüngt, aus klarem Glas besteht und eine hellgelbe Flüssigkeit enthält. Noch ist der Flakon fest verschlossen (Ich vermute, er wurde noch nie geöffnet.) und ich warte noch ein bißchen auf den Moment.

Ganz klar, die haben in Frankfurt darauf gewartet, dass ich hier was schreibe: soeben entdeckt

Museum Judengasse

»Devise Sauberkeit«
Die Kosmetikfirmen Scherk und Dr. Albersheim
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15. Dezember 2011 – 1. April 2012 Museum Judengasse

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