In der Schlucht … und warum Rosen nichts im Parfum verloren haben

Wir sind in der Schlucht. Die Schlucht ist ein Tal. Ein Tal zwischen zwei Hügeln. Sonst wäre es ja kein Tal. Schlucht hört sich aber besser an, verwegener. In der Schlucht gibt es eine Erhebung. Ein Hügel zwischen den Hügeln, das ist die Insel. Früher haben sich dort die Hügellanten bekämpft. Die Hügellanten links der Schlucht und die Hügellanten rechts der Schlucht. Also die Jugendlichen. Die Hügeljugendlichen. Die Hügeleltern gingen derweil zur Arbeit. Oder tranken Bier, jenachdem auf welchem Hügel man domizilierte. Diese Zeiten sind vorbei, Hügel rechtsseitig ist schon vor langer Zeit umgetypt worden. Das mit dem Biertrinken hat sich erledigt. Heute trinkt man da Kir Royal.

Wir sind linksseitige Einwohner. Also die Guten. Die Nachkommen der Duellanten von früher, wenn wir das mal mit Nostalgieaugen betrachten. Gekämpft haben wir auch. Aber mit Knallplätzchen und Indianerschmuck aus Opas Hühnerstall. Zum Leidwesen der Hähne, die hatten die besten Häuptlingsfedern. Hatten ..

Jetzt kämpfen wir nicht mehr. Eigentlich stimmt das nicht. Jedenfalls nicht ganz. Wir kämpfen nur anders, wir sind nämlich schon gross. Berni und Alex dürfen schon Mofa fahren, sind schwer im Vorteil. Im Vorteil, was die Damenwelt angeht. So eine Dame passt da zum Beispiel prima drauf. Zusätzlich. Zusätzlich auf so 'n Mofa. Rücken an den Tank, Füsse auf den Gepäckträger, so sitzt die Auserwählte dort, Angesicht zu Angesicht. Da kann man eine super Spritour machen. Zu zweit.

Wir sitzen auf der Insel. Trinken Hoffmanns Erdbeersekt, Liebfrauenmilch, Edler vom Mornag. Bier natürlich auch, je nachdem, was das Taschengeld hergibt. Für Benzin muss ja auch noch etwas übrig sein. Und für Zigarretten. Berni hat eine Schachtel in der Hand, keine Zigarretten. Klein, quadratisch, blaue Farbe. Die hat er mitgebracht, hat er aus dem Automaten gezogen. Gezogen, als keiner geguckt hat. Wie mit den Zigarretten, da muss man auch aufpassen. Aufpassen, dass das keiner sieht. Nicht, dass man zuhause die Hucke voll kriegt. Zum Beispiel, weil Rüdiger gepetzt hat. Rüdiger ist nicht in der Clique, Rüdiger ist doof. Rüdiger darf keine Jeans tragen, Rüdiger hat keinen Parka. Der passt nicht zu uns.

Berni fummelt etwas aus der Schachtel, reisst es auf. Gibt es Doris. Doris nimmt das Teil in die Hand. Hat soetwas noch nie gesehen, nur gehört davon. Doris rollt das Ding auseinander, zieht daran, kullert mit den Augen. Christiane kommt dazu. Christiane hat schon Erfahrung. Christiane riecht gut. Die ganze Schlucht riecht nach Christiane. "Patchouli", sagt sie lakonisch. Sie hat darin gebadet. Vermute ich. Mit dieser Wolke narkotisiert sie alle. Vor allem den Verstand. Den männlichen Verstand, aber schaltet gleichzeitig den Pawlow ein. Alex läuft bereits der Speichel aus dem Mundwinkel.
Doris reicht das Ding weiter. Weiter an die Jungs. Die haben so ein Teil zwar auch noch nicht in der Hand gehabt, lassen aber den Fachmann raushängen. Schliesslich muss man die Mädels beindrucken.

Ein Duft breitet sich aus. Aber nicht der Duft von Christiane. Oder doch. Aber etwas ist anders. Es gesellt sich etwas dazu. Rose! Rote Rose, Rosa rossi terribile!
Es ist das Ding! Das Ding duftet nach Rose, das Ding aus der Schachtel. Das Ding, das Doris verzückt in die Länge zog. Das duftet! Duftet, wie noch nie eine Rose geduftet hat.

Der Duft stellt alles in den Schatten.
Jedesmal, wenn ich Rosen rieche, sehe ich Doris vor mir. Doris hat einen anderen. Alex. Sie sind inzwischen verheiratet. Ich mag keine Rosen. Bis heute nicht.