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Turandots Blog
vor 1 Jahr - 29.10.2022
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Die nackte Wahrheit

Begonnen habe ich diesen Text als Rezension über "Oud Nude" von Guerlain. Aber je mehr ich versuchte, dem Duft fair gerecht zu werden, umso mehr kam ich zu der Erkenntnis, dass nicht der Duft, sondern mein Empfinden dem entgegen steht. Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Ich mag den Duft nicht und er kann nichts dafür. Und ich kann es noch nicht mal als sachlichen Kommentar in Worte fassen, die dem Duft gerecht würden.

Deshalb an dieser Stelle die Erkenntnis: Ich gestehe, ich habe lange versucht, mir ein paar Wahrheiten schön zu reden. Eine davon war, dass an dem ominösen Oud doch was dran sein muss, wenn die versammelten Parfumenthusiasten den Zauberstoff zum Non-plus-ultra der Duftnoten erküren. Nun ja, im Verbund mit einer deutlichen Rosennote konnte ich es noch ertragen, auch wenn mir diese Kombination bald gehörig auf den Geist ging, weil noch jedes Dufthaus auf diesen Zug aufsprang und auch heute scheint es noch zu funktionieren. Ich selbst bin bis jetzt noch nicht dahinter gestiegen, welches Oud nun das echte, wahre, kostbare ist und was nur vortäuscht, in den Wäldern Südostasiens entstanden zu sein. Keine Version hat mich bisher begeistert und das muss ich eben akzeptieren. 

Mein zweiter Selbstbetrug war, dass es nichts und niemanden gibt, der mir die Freude an Düften von Guerlain verderben kann. Auch hier habe ich immer und immer wieder das Aha-Erlebnis gesucht, dass mir noch vor Jahrzehnten die Marke beschert hat. Es gab damals keinen Ausrutscher, keine Ausnahme von der Regel. Guerlain war jeder Kritik erhaben - zumindest für mich. Da kam lange nichts, bevor z.B. Chanel von mir auch nur in Betracht gezogen wurde. Aber die Welt dreht sich weiter und sowohl Guerlain als auch ich mit ihr. Ich möchte hier auch niemandem den Schwarzen Peter zuschieben; weder Thierry Wasser noch LVHM. Eher sehe ich es meinem Alter geschuldet, dass mir manches inzwischen zu schnelllebig, zu oberflächlich ist und zu offensichtlich der Unterschied zwischen Preis und Wert zunehmend verschwimmt. 

Deshalb meine dritte Erkenntnis: Es macht mir keine Freude mehr, mal tief ins Sparschwein zu greifen, um mir einen neuen Duft in die Sammlung zu holen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich inzwischen in Rente bin und das Leben generell gerade ziemlich kostspielig wird. Auch früher musste ich mir einen luxuriösen Duft ersparen, aber die Erfüllung des Wunsches war jede Anstrengung wert. Das hat sich geändert. Selbst Düfte von Marken wie Lubin oder Le Galion sind nicht mehr unter 100 Euro zu bekommen. Klar ist es nach wie vor möglich, sich eine Abfüllung zu ersouken, aber auch das hat mir in den letzten Jahren oft dann Ernüchterung bereitet und war somit letztendlich doch zu teuer.

Als Fazit bleibt mir deshalb, dass es für mich wohl am besten ist, meine Sammlung zu genießen aber die Jagd nach neuen Dufterlebnissen zumindest mal ruhen zu lassen. 

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