Yharnam79
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vor 5 Jahren - 09.08.2019
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Ich denke, ich werde mich wohl dafür entscheiden, Madonna zu sein.

Nachdem mein letzter Blogeintrag gerade mal ein paar Tage her ist kam mir beim Durchstöbern der Kommentare und Statemants ein weiterer Gedanke, den ich nun niederschreiben möchte.

Ob dieser Blogeintrag zu irgendeiner Art Erkenntnis oder einem Ergebnis führen wird oder es auf eine Art kleine Erzählung mit Brainstorming hinauslaufen wird, kann ich noch nicht sagen.

Der Gedanke kam mir bereits im Zuge meines früheren Blogeintags "Gelegenheit macht Liebe vs Liebe bei jeder Gelegenheit", hätte damals aber einfach zu weit geführt bzw. ausgeufert.

Wir sind gerade in einer Zeit angekommen - Gott sei Dank, möchte ich sagen - in der das Alter, hier bezogen auf Mode und den persönlichen Stil - angeblich keine Einschränkung mehr darstellt (besser: darstellen sollte).

Individualität um jeden Preis und nicht minder in jedem Alter scheint das neue - mit den tausenden Internetshops ins Leben gerufene Lebensgefühl zu sein. Klingt nicht wirklich neutral, evtl. sogar etws negativ behaftet. Das meine ich gar nicht so. Jugendlichkeit im zunehmenden Alter, Modebewusstsein im Hinblick auf Individualität, Toleranz gegenüber allem und jedem suggeriert uns die mediale Welt wann immer sie kann.

Das scheint aber nach wie vor eher ein Wunschgedanke zu sein.

Ich scheine von Natur aus so eingestellt zu sein, dass ich wirklich und ohne Übetreibung schon immer das getragen habe, wonach mir war. Gekauft habe ich das, was mir gefallen hat, was manches mal evtl. wirklich etwas grenzwertig angemutet haben muss. Da gab es mal dieses T-Shirt in Rapsgelb und mit Foto- Frontaufdruck einer fetten Perserkatze mit Krone. Das habe ich geliebt. Als einziger. Mir war das egal. Genauso egal wie die großteils abfälligen Kommentare. Es hat mich auch wenig gekümmert ob Dinge stilistisch zusammenpassten. Wir sprechen hier übrigens von den frühen Neunzigern.

Erschwerend kam zudem hinzu, dass meine Eltern sich Ende der Achtziger enstchlossen hatten, von der Stadt in ein Minidorf zu ziehen. Mode oder besser gesagt etwas ausgefallenerer (aus der Sicht der restlichen Dorfgemeinschaft) auszusehen galt hier nicht gerade als Sympathiefänger...

Um das Bild evtl. noch etwas klarer zu machen: ich war kein Punk, Paradiesvogel oder irgendwas in der Art. Ich war einfach aufgeschlossen und trotz allem Beschriebenen wohl auch recht selbstbewusst (was mir damals nicht so wirklich bewusst war). Erst später auf dem Internatsgymnasium, auf dem auch Jugendliche aus verschiedenen Großstädten waren merkte ich, dass es auch Leute gab, die mich gerade dafür cool fanden, dass ich "war", wie ich war - oder sein wollte.

Parfum habe ich, durch meinen älteren Bruder, mit ca. 14 zum ersten mal aufgelegt. In dieser Zeit,noch vor dem Internatsgymnasium, ebenso ungewöhnlich wie meine Kleiderwahl - und mit ebenso vielen Kommentaren einhergehend.

Mit Düften habe ich es genauso gehandhabt wie mit der Kleidung. Bis heute. Ich sprühe, was mir gefällt und achte dabei nicht darauf, ob ich meine zerranzte Lederjacke oder ein Sakko trage. Damit wären wir tatsächlich angekommen bei meinem bereits erwähnten Blogeintrag.

Diese beiden, nennen wir sie mal Eigenschaften, machen einen Großteil davon aus, dass ich mich selten eingeschränkt oder besser gesagt gesellschaftlich bevormundet fühle - zumindest was mein persönliches Auftreten, optisch und auch duftbezogen, angeht.

Mein Kollege sagt regelmäßig zu mir: "Ja, du kannst sowas tragen..." Nein, aber ich ziehe es halt einfach an, ohne mir einen Kopf darüber zu machen ob das passt, ob ich dafür als Enddreißiger zu alt bin oder irgendwas in der Art. Wer entscheidet das überhaupt? Und aus elcher Motivation heraus? Und mit welchen Recht?

Ich möchte gar nicht philisophisch werden aber im höchstwahrscheinlichen Fall habe ich ein Leben. Und das ist mein Leben. Mit meinem Körper. Und abgesehen von gesellschaftlichen Normen und Werten und auch Zwängen und Verpflichtungen kann ich zumindest mit meinem Körper weitestgehend machen, was ich möchte und womit ich mich gut fühle.

Machen wir mal einen kleinen Exkurs in die Celebrity-Ecke, weil es gerade so aktuell ist: Madonna. Ich oute mich weder als Fan noch als Anti. Ist auch völlig unerheblich für das, worum es geht.

Was regen sich gerade wieder alle über Madonnas Aussehen und sexuelles Gehabe auf. Klar, war das früher auch schon immer wieder mal so. Der große Unterschied: die gute ist nun bereits 60 Jahre alt. Wo das Prblem ist, fragt man sich; ist doch schön, dass sie als eine der letzten wirklichen großen Weltstars der Musikbranche noch lebt. Das Problem ist, dass Madonna nicht einzusehen scheint, sich nun anders kleiden oder verhalten zu sollen wie sie es bereits die letzten 35 Jahre getan hat. Die Beleidigungen im Netz - einzig aufgrund ihrer Optik - sind so vielfältig wie engstirnig und teils so engstirnig wie beunruhigend. Und es geht dabei, und auch was das ganze Madonna-Thema gerade angeht, nicht um ihre Musik oder irgendwelche ESC-Auftritte. Es geht darum, dass sich Menschen animiert fühlen, sich durch ihr Aussehen provoziert zu fühlen, sich aufgerufen fühlen zu urteilen, zu beschimpfen und zu maßregeln. Durch das Internet und die damit einhergehende Lust an der öffentlichen medialen Hinrichtung motiviert, ist es auch für jeden möglich, das Ganze in Echtzeit zu verfolgen und sofort (mit) zu kommentieren.

Warum der Exkurs? Weil Madonna mir zum einen irgendwie leid tut, zum anderen weil ich finde, sie macht es genau richtig. Ich sage nicht, dass mir ihr Aussehen oder Auftreten gefällt aber ich sage, dass ich es auch als anmaßend empfinde, darüber zu urteilen. Und - auch ungeachtet dessen ob mir Madonnas Musik gefällt oder nicht - ist es auch ein bisschen unfair ihr und der letzten 30 Jahre ihrer Karriere gegenüber. Gegenüber dem, was sie uns zewifelsohne durch ihre Tabubrüche und Eskapaden an Freizügigkeit und Toleranz gelehrt bzw. dessen Voranschreiten mit geprägt hat.

Wieder hin zu uns allen:

Aus welcher Motivation dieses Verurteilen anderer aufgrund ihres für unsere eigene Beschränktheit komisch wirkendes Äusseres geschieht, kann ich nur mutmaßen. Neid? Engstirnigkeit? Keine Ahnung.

Aber ich weiß, dass ich irgendwann anfangen kann mich irgendetwas anzupassen oder aber irgendwann in Madonnas Situation zu sein (natürlich metaphorisch gemeint und sehr überspitzt formuliert). Dann bin ich wieder Teenager auf dem Minidorf. Und das trotz einer so fortschrittlichen Zeit mit dem Motto: 'Individualität für alle'. Darf ich dann bestimmte Dinge nicht mehr anziehen und evtl. sogar bestimmte Düfte nicht mehr benutzen? Ich sollte mir schonmal noch eine Schippe mehr an Selbsbewusstsein antrainieren, wenn das meine Wahlmöglichkeiten sind.

Ich denke, ich werde mich dafür entscheiden, Madonna zu sein.

Danke fürs Lesen.

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