Yostev

Yostev

Rezensionen
Yostev vor 6 Jahren 13 6
6
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Die Landpartie des Dschinn
Ganz hinten rechts. Mit jedem Schritt wird es dunkler, die kleinen Fensterluken sind so dreckig, daß sie kaum Licht zulassen. Mit jedem Schritt ist die Tür weiter weg. Ein langer Gang. Traust Du Dich weiter? An den süßen Ferkeln unter ihrer roten Lampe bist du schon vorbei, heute war keins tot, an den lustigen Jungschweinen auch. Jetzt sind da die trägen Sauen, Achtung die beißen haben sie gesagt, und sie fressen alles auf. Was dich natürlich einschließt. Ob sie schon wieder trächtig sind?

Einmal hast Du ihm bei seiner Arbeit zugesehen, wie schafft es dieses riesige Paket aus Fett und Muskeln plötzlich auf die Sau rauf? Gelangweilt sahen sie aus dabei, was vielleicht daran lag, daß ihnen die Ohren vor den Augen baumelten wie jetzt wieder.

Hinten rechts. Es wird dunkler, wärmer, stickiger. Da steht er, kaum erkennbar im Halbdunkel. Ein riesiges Monstrum, dreckig, schwabbelig, alt, und dennoch voller geballter Energie, mit riesigen Klöten. Der Gestank wird erbarmungslos. Er läßt keinen Gedanken mehr zu, dreht sich um Deinen Kopf, wickelt Dich ein wie ein schwerer alter Teppich.

Du bist nicht zimperlich, watest gerne im Stall durch frische Kuhscheiße, magst den stechenden Ammoniakgeruch, wenn Du eine Ecke ausmistest, die wohl ein paar Mal vergessen wurde, den frischen grasigen Hauch, wenn ein dicker warmer Strahl Pisse direkt vor dir auf den Boden spritzt. Oder die Duftsonate, wenn Du den Schubkarren über die Holzplanke auf den Misthaufen balancierst, erst über den alten, gut eingetrockneten, dann den frischeren Mist, vorbei an einer Ladung gärenden Heus bis oben auf dem Haufen tagesaktuell abgekippt wird, eine wackelige Angelegenheit, zumal du dir die Karre genauso voll lädst wie der Onkel, obschon du mit deinen 13 Jahren natürlich weder die Kraft und als Stadtkind auch nicht die Routine hast und deshalb manchmal von der Planke rutschst, gut daß die blauen Gummistiefel so hoch sind.

Nein, zart besaitet bist du nicht, aber jetzt empfängst Du die höheren Weihen, Schweinemist und Eberpisse. Das freßgierige Riesenklötenvieh, die Hitze, die Dunkelheit, ein bißchen Bammel, eine perfide Faszination, eine Ahnung von Zusammenhängen und Abgründen und geheimen Lüsten, kuschelig dieser Teppich…

Schnell wieder zu. Boah ey. Wie heisst das Zeug? Classica? Soll das ein Witz sein? Ist das ein Scherz unter Foristen, sich perverse Fakeproben zu schicken? Versteckte Kamera? Ich schau mich um, aber alles ist wie immer. Die Kollegen hacken in die Tastatur, keiner guckt. Hoffentlich zieht die Klima gescheit nach oben. Nach einem Kaffeeausflug, bei dem ich versuche normal zu wirken, probiere ich es noch mal, aber auf dem Balkon, sperr die Sau ein und siehe da, es kann sich auch ein schweres plüschiges Boudoir auftun, Rosen in letzter Reife, eine Dame in einem raschelnden schwarzen Seidenkleid serviert süßen Kakao, magst Du auch noch etwas Konfekt mein Kleiner? Dem Hund baumeln die Ohren vor den Augen…

„In der orientalischen Erzählwelt verkörpert der Dschinn einen Geist, der sich gegen ranghöhere Geister auflehnte und zur Strafe in einer verschlossenen Flasche eingesperrt wurde, aus der er sich nicht befreien kann. Er ist jedem Menschen zum Dienst verpflichtet, der diese Flasche öffnet und ihn befreit. Sterbliche können sie befreien, indem sie die Flasche öffnen oder sie reiben.“ Wikipedia. „Flaschengeist“

Ist das Kunst oder kann das weg? Mir fällt Yatagans Kommi zu „Bat“ ein, den ein rülpsendes Nilpferd zu der Frage veranlaßt, ob Avantgarde nicht neue Standards definieren sollte (naja, das ist jetzt etwas verkürzt, aber lest halt selbst). Wenn Duft Kunst ist, kann es ja nicht nur um Wohlgeruch gehen. Worum dann? Zur Pyramide ist von Cravache unten alles gesagt, aber was stößt unsere Rezeption an? Duft mobilisiert unbewußte Erinnerungen und ist psychoanalytisch wirksam, erinnern ist heilen sagt Freud. Aber wovon - und wofür? Sind wir selbst das Material der Parfumeure, die Geister in der Flasche, dienstverpflichtet dem Sterblichen, der sich an uns reibt?

„Kunst will das, was noch nicht war, doch alles, was sie ist, war schon“. Adorno

Ob ich noch mal schnuppere?
6 Antworten
Yostev vor 10 Jahren 20 3
4
Duft
Endlich Mann
Szenebar in der Szenestadt, 18 Uhr. Die Barmänner haben ihre Vorbereitungen getroffen und warten auf die In-Crowd aus hübschen Mädels und coolen Typen. Sie lagern um den Tresen, jedes Inch gespannte Erwartung und cooles Selbstbewusstsein. Schwarze, eng geschnittene Hemdchen, kurze Ärmel entblößen studiogestählten Bizeps, dekoriert von floralen Tatoos, deren Farbigkeit ihre Frische verrät. Sorgfältig getrimmte Holzfällerbärte, wuschelig wilde Frisuren, deren perfektes Arrangement die ganze Kunst der einschlägigen Szene Coiffeure erfordert. Diese Jungs haben keine Bausparverträge. Sie haben Börsenfonds, kenntnisreich zusammengestellt.

Duro. Im Vorbeigehen dröhnt mich der Duft an, laut wie eine Presslufthupe, unmissverständlich wie die Bildzeitung, trockene, kalte duftgewordene Verheißung. Meiner ist hart.

Lächle ich im Vorbeigehen? Nein, mich schaudert. Erinnerungen ziehen vorbei: An ein glitzerfarbiges, kurzes Jackett mit überbreiten Schultern, Tuxedo nannte man das damals. An einen bodenlangen grünen Ledermantel im Gestapo Look, der zu Schlangenlederstiefeln und abgeschnittenen Jeans zu tragen war. An lauernde Abende an Szenebar Tresen, deren einzig erinnertes Bild der Moment der Erwartung ist, hingelagert, duftend nach Marbert Man vielleicht oder Azzaro pour homme.

Es ist schön, endlich Mann zu sein. Ich bestelle Pernod.
3 Antworten