phaenomenal

Es sind draußen heute 36°C gewesen, abends hat es etwas abgekühlt, aber die Wohnung ist stickig. Eine Freundin kommt zu Besuch. Ich umarme sie, Schweiß klebt auf ihrer Haut. Sie riecht irgendwie ölig und aufdringlich. Es handelt sich um ein Parfum, was nicht den ganzen Raum einnimmt, aber was einem sofort in die Nase steigt und dort verharrt. Was man auf der Zunge schmeckt und einen verfolgt und immer wieder kitzelt.
Die Freundin probiert ein Kleid von mir an. Ihr Becken passt kaum in den schmalen, schwarzen Rock. Das weiße Oberteil schmiegt sich an ihren Oberkörper. Sie verstrahlt Seriosität und Sexappeal. Und wirkt irgendwie... sauber, trotz dieses von der Hitze erdrückten Tages.

Später habe ich herausgefunden, dass sie das Original Musk von Kiehls trägt. Und habe gelernt: ach! Das ist dieser Moschus, von dem immer alle reden! Das ist dieser Balanceakt zwischen dreckiger Bahnhofstoilette und duftendem Kaschmirpullover. Das gibt es tatsächlich.
Das war also mein erster Moschusduft, der "zahm" genug war, dass ich ihn mochte und auch kaufte. Ich trage ihn nicht oft, er gefällt mir nicht an mir, ist mir zu gefällig. Empfehlen als Einsteiger-Moschusduft würde ich ihn allerdings immer. Auch Preis-Leistung ist einfach super.

Ich habe "Lady Vengeance" am Anfang verkannt. Ich hatte das Probenset von JHAG bestellt, leider fehlte das Parfum und wurde nachgeliefert. Auf den ersten Blick gefiel mir nichts.
Und dann trug ich "Lady Vengeance". Es hagelte Komplimente und ich verliebte mich irgendwie...

Dieser Duft hat mich stark gemacht. Ich bin erwachsen geworden, vom Mädchen zur Frau, ich fühlte mich sexy und verrucht mit dem Duft, und gleichzeitig war ich immer ICH, ohne Maskerade. Ruhig und still und bei mir.
Mich hat "Lady Vengeance" durch zahlreiche Liebschaften begleitet. Die meisten Komplimente bekam ich jedoch eher von anderen Frauen, auch wenn ich mir sicher bin, dass er den Männern ebenso gefiel. Aber "Lady Vengeance" ist nicht so vordergründig, wie man das zuerst meinen mag. Oder bin ich nur so sehr mit meinem Signaturduft verschmolzen?

Ein Mann sagte mal zu mir, dieser Duft würde großartig zu mir passen: er ist sehr weiblich, aber gleichzeitig zickig und ein bisschen gruftig. Ich vermute, das liegt an den "weiblichen" Rosen und dem düsteren Patchouli.

Ich kann diesen Duft nicht mehr objektiv betrachten,* aber versuche es dennoch: Rose und Lavendel wirken zuerst beruhigend. Fast schon schlaftrunken. Dann blüht die Rose auf und wird sinnlich und präsent. Gleichzeitig verbleibt etwas kühles, kitzelt ganz leicht in der Nase, macht einen wach. Lady Vengeance kann sauber und brav sein, aber auch ungewaschen und ungezähmt. Die Haltbarkeit ist super: am Morgen nach durchfeierten Nächten klebte der Duft immer noch in meinen verrauchten Klamotten, als ob er dorthin gehörte.

*Das ist im übrigen mein zweiter Kommentar zu LV, den ersten habe ich gelöscht, weil er mir nicht mehr entsprechend erschien.

Eine Sache habe ich auszusetzen: Ich finde den Flakon furchtbar. Er erinnert mich an kleine Emo-Mädchen, wenn jemandem diese Subkultur was sagt. Immerhin den Schriftzug "Lady Vengeance" haben sie jetzt etwas schöner designt.

Ich glaube, über eins sind wir uns alle einig: Das, was dieser Duft versucht zu sein, ist er definitiv nicht.
Er changiert für mich zwischen einem sauberen Frisch-Geduscht-Duft mit Aprikose, Honig und Jasmin und einem cremigen Kuschelduft mit einem Hauch Sexyness. Er ist nicht so düster, wie er zu sein scheint und erst recht nicht so anrüchig und kantig. Aber er ist ein guter, runder Duft, den man jeden Tag tragen kann.
Ich habe ihn gerne zu meinen braven Wollkleidern und Perlenketten getragen, in die Uni oder in die Bibliothek. Freunde kommentierten häufig, dass ich sehr gut und sauber rieche.
Für mich gehört allerdings Kampagne/ Image/ gewollte Duftaussage schon zum Erlebnis eines Dufts dazu. Ich mag Lady Gaga, zumindest ihr Image, das sich wunderbar überdreht durchzieht. Ich fand schon immer, dass ihre (Pop-)Musik nicht zu diesem Image passt. Auf den ersten Blick schon - Umgangssprache und Videos passen - aber letztendlich bleibt es Baby-One-More-Time-Pop. Und genauso ist das Parfum: nach außen WOW - innen so lala.
Ich habe "Fame" aber gerne getragen und deswegen gibts 50%. Mein Flakon ist jetzt leer, er war ein Geschenk und wird nicht nachgekauft.

"manchmal bei irgendwelchen zufälligen Bewegungen
streift meine Hand deine Hand deinen Handrücken
oder mein Körper der in Kleidern steckt lehnt fast ohne es zu wissen
einen Augenblick gegen deinen Körper in Kleidern
diese kleinsten beinahe pflanzlichen Bewegungen
(...)
gehen mir mitten durchs Herz
und durch die Kehle hindurch wie ein süszes Messer
und ich trockne aus wie ein Brunnen im heiszen Sommer"

Friederike Mayröcker, 1959

Dieses Gedicht ging mir beim ersten Auffangen des Geruchs sofort im Kopf herum. Der Duft nahm mich sofort ein und ich fühle mich regelrecht in so eine dicke Blüte einer Pfingstrose gebettet. Er hat etwas romantisches. Aus dem Blütenbouquet nehme ich die Pfingstrose definitiv am meisten war - und ganz weich, hintergründig befindet sich das Wildleder, der den Duft auf eine cremige Basis stellt. Im Verlauf hatte ich zuerst das Gefühl, er nimmt eine pudrige Wendung, aber der Duft bleibt cremig und wird zunehmend weicher, als würden alle Bestandteile ineinander fließen. Die Sillage bildet sich auch erst etwas später aus, ist dann eher körpernah und nicht raumfüllend, aber gut.

Insgesamt handelt es sich um einen sehr gefälligen Blumenduft. Er erinnert mich zb. an "L'imperatrice", ist aber eben kein bisschen pudrig. Pudrige Düfte mag ich leider überhaupt nicht (kriege davon Kopfweh) - deswegen ziehe ich diesen vor. Er ist nicht im Detail merklich unterschiedlich zu anderen Blumendüften, aber doch irgendwie klarer und trotzdem rund. Ich werde ihn wohl ganzjährig gerne tragen.

...kein Ersatz für "Lily of the valley". Das war mein erster Signaturduft. Ich trug ihn als Jugendliche tatsächlich ständig, im Sommer wie im Winter. Ich liebte an diesem Duft vor allem, dass er sehr clean war - Maiglöckchen und nicht mehr - und zwar ein sehr natürliches Maiglöckchen, aber trotzdem etwas stechend, zickig, wie Maiglöckchen halt sind (nämlich giftig für uns Menschen).

Ich testete heute den neuen "Lily"-Duft. Er gefällt mir ganz gut, im Gegensatz zu vielen viel zu seifigen/ pudrigen Maiglöckchen-Düften.
Er ist im Gegensatz zum Vorgänger sehr viel runder, "parfumiger", begleitet von einer cremigen, etwas dunkleren Grundlage, aber auch etwas künstlicher. Er ist nicht mehr mein Duft.

Die Sillage ist ein bisschen besser, jedoch dann doch ziemlich seifig. Die Haltbarkeit ist gering (3-4 Stunden, würde ich sagen).
Der Flakon gefällt mir ganz gut von der Haptik, passt für mich aber nicht zu einem Blumenduft, dafür ist er zu minimalistisch/ klobig.