Higher Peace 2021

DolcePita
09.06.2023 - 17:13 Uhr
2

Kafkaesk

Endlich war es so weit. Kevin und seine Freunde genossen ausgelassen den frühen Sommer nach dem Abitur auf einer wilden Wiese. Schon während sie ihr Zelt aufstellten, stellte sich diese unendliche Gefühl ein. Das Gefühl, was einem nur der Sommer fühlen lassen kann. Die goldene Freude und das Lachen in der Abendsonne waren ansteckend, und die gemeinsame Zeit schien grenzenlos zu sein. Als die Nacht anbrach, versammelten sich die Freunde um das wärmende Lagerfeuer und teilten ihre Geschichten und Lieder. Die Glut tanzte im Rhythmus ihrer Lachen und das Knistern des Holzes füllte die Luft mit einer geheimnisvollen Melodie. Eine Nacht voller unbeschwerter Freude, in der die Sorgen des Alltags verblassten und die Verbindung untereinander wuchs.

Warm umschlossen von diesem friedlichen Moment, spürte Kevin plötzlich einen seltsamen Stich im Nacken. Zeitgleich tauchten um die Zelte herum merkwürdige blaue Lichter auf, die wie Glühwürmchen durch die Dunkelheit flirrten. Der Moment war so schnell vorüber wie er gekommen war und genauso schnell war er vergessen.

Als Kevin am nächsten Morgen erwachte, durchzuckte ihn eine unglaubliche Verwirrung. Etwas hatte sich verändert. Was ihn da in der Nacht gebissen hatte, war über Nacht zu seiner Familie geworden. Er spürte sechs Beine, anstatt wie vorher, zwei drahtige Stelzen, die seine Mutter oft Chopsticks genannt hatte. Arme und Hände fühlte er nicht mehr. Um es kurz zu machen: Kevin war ein Käfer geworden. "Kafkaesk", sagter er zu sich selbst. Er konnte immer schon in jeder Situation einen gewissen gesunden Sarkasmus bewahren.

Aber was nun?

Die Wiese, die vor ein paar Stunden noch vertraut und zugänglich erschien, hatte sich in ein verwunschenes Labyrinth verwandelt. Kevin kämpfte sich an den Reißverschluss heran und blickte in diesen mächtigen, strahlenden Wald, hunderte Male so groß wie er selbst.

Er kämpfte sich tapfer durch das hohe Gras, bestaunte riesige, glitzernden Tautropfen, die besser und klarer schmeckten als jedes Wasser vorher und verfiel vor gigantischen Grashalmen, die sich wie majestätische Bäume in den ewigen Himmel erhoben, in Ehrfurcht. Mit jedem Schritt füllten die Düfte der frischen Wiese seine winzigen Käferlungen und erweckten seine neuen Sinne zum Leben.

Während Kevin seinen Weg bahnte, konnte er die vielfältigen Gerüche der frischen Wiese in sich aufnehmen. Es war, als könnte er die Farbe Grün plötzlich riechen. Und die hauchige Frische der Blüten! Vor ihm ragte eine längliche Pflanze empor, mit strahlenden gelben Blättern. Ihr entspannender Duft nahm ihm die letzte Angst. Er war jetzt ganz Käfer.
Inmitten dieser sanften Frische stieß Kevin plötzlich auf einen winzigen Krümel. Es war ein Cannabiskrümel, der eine verführerische Aura der Entspannung und des Abenteuers in sich trug. Der leicht harzige würzige Geruch. War das schon immer so? Matilda hatte ihn wohl fallenlassen, letzte Nacht. Sie hatte es selber auf dem Balkon gehegt und gepflegt und erst vor Kurzem geerntet. Mit zögerndem Herzen kostete er einen Moment davon, bevor er sich entschied, seine Reise fortzusetzen.

Mit jedem Schritt durch das Gras fühlte Kevin die frische Kraft der Natur, die sich streckte, die aufwachte und voller Kraft war, um ihm neue Perspektiven zu eröffnen. Er war wach. Die Schönheit und Vielfalt dieser Welt war atemberaubend, und er begriff, dass seine wahre Reise darin bestand, die Wunder und Geheimnisse der Natur zu entdecken und zu erforschen, im Fluss dieser Aufgewecktheit und Frische durch die Herausforderungen zu fließen.

So krabbelte Kevin unbeirrt weiter, seine kleinen Käferbeine trugen ihn beharrlich voran. Während er sich durch das Gras kämpfte, umgeben von den Düften und den Schönheiten der frischen Wiese, wusste er, dass seine Verwandlung letztendlich ein Geschenk war. Es war eine Gelegenheit, die Welt aus einer anderen Perspektive zu erleben und die Magie des Lebens in all ihren Facetten zu erfahren.

Kevin wachte auf. Natürlich, irgendwann musste er ja aufwachen. Er öffnete die Zelttür und sah auf das weite Grün, welches ihn vor ein paar Sekunden im Traum noch überwuchert hatte. Der Geruch in der Nase halbierte sich mit jeder Sekunde, entfernte sich leise, Hand in Hand mit den Bildern. Plötzlich waren da wieder die alten Gerüche. Das schwitzige Zelt, Lars grillte schon wieder Frühstück und Matilda zündete sich für das Selbige erstmal eine Lunte an. Er drückte sein Gesicht so nah es ging an den Boden, drückte mit beiden Händen so viel Wiese Richtung Nase wie es ging. Da war es wieder. Aber es war nicht dasselbe.

Träume sind immer schneller verblasst, als man es gerne hätte.

2 Antworten