NiMaJazzEr
14.06.2023 - 17:53 Uhr
11
Hilfreiche Rezension
7
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft

Lindenbaumkaleidoskop

Schritt für Schritt. Gemächliches Promenieren, die begradigte Allee entlang.
Alles flirrt, flimmert, leicht und träumerisch.
Geschwätzigkeit, verwaschene Wortfetzen, manch albernes Auflachen – Passenten in Gesellschaft. Und doch jeder für sich, ohne Eile, der Zeit enthoben.
Eifrig streichelt die Wärme pastelliger Lichtpunkte über Haar und Gesicht. Die tiefe Sonne bricht sich in den herzförmigen, sich sachte wiegenden Blättern; ein Lindenbaumkaleidoskop.
Am Rand bündelt eine Reihe Schaufenster sich reflektierendes Licht zu blendenden Strahlen. Der Blick gleitet ab – zu viel Überfluss. Zum Vergessen.
Selbstvergessenheit und Selbstverschwendung als Gegenkonzepte.
Der Absinth aus der Vornacht als frischherbe Erinnerung noch lebhaft in der Nase.
Exquisiter, lieblicher Lindenblütentee mit Bergamotte zum Frühstück reichte nicht, um Klarheit und Leichtigkeit im Kopf zu schaffen.
Schritt für Schritt – drückt Schwere aufs Gemüt, werden die Passanten als fremde Wesen bewusst, Unnahbarkeit eine innere Gewissheit.
Eingeschlafen auf der Parkbank.

Meine Gefühle gegenüber Flâneur sind verworren und uneindeutig. Er gefällt mir eigentlich nicht wirklich, ganz subjektiv, aber er fasziniert mich. Und ich staune, wie erfolgreich er sein Konzept einlöst. Denn tatsächlich, impressionistische Stadtansichten mit Parkanlagen, dandyhafte Décadence-Kultur, betont langsame Schwelgereien, Ziellosigkeit an der warmen aber frischen Luft – solche Szenen streifen voller Klarheit an meinem inneren Auge vorbei. Mir fällt jene Bemerkung Walter Benjamins ein, in der das Flaneurgefühl für mich zu einem Höhepunkt kommt: „Um 1840 gehörte es vorübergehend zum guten Ton, Schildkröten in den Passagen spazieren zu führen. Der Flaneur liess sich gern sein Tempo von ihnen vorschreiben.“
Nun denn, Schildkröte rieche ich nicht, aber entschleunigende Eleganz wohnt den dominierenden Lindenblüten hier mindestens inne. Anfangs verzaubern mich diese sehr, frisch, luftig und spannend durch den absinthigen Beiklang. Habe ich so auch noch nirgends gerochen. Zum Problem wird die Schwere, die darauffolgt, mit Irisbutter und Mandel (grundsätzlich mag ich beides). Die Blumigkeit wird sehr viel süßer, die Gesamtwirkung recht cremig – für mich erdrückend. Das Zuviel an Langeweile, ein Übermaß an „Mußestunden“, so fühlt sich das an.
Dennoch: Der Duft scheint mir recht unterbewertet, angesichts seiner visuellen Kraft und Individualität. Diese Rezension hat er mir jedenfalls komplett ungeplant in Eile abgerungen. Ich möchte gerne loben, den Verlauf, die Eigenständigkeit, die Verbindung von natürlichen und urbanen Elementen. Und ich kann nicht so ganz loslassen von ihm. Könnte ich mit dieser Süße, wäre Flâneur wohl ein Partner, in dem ich mich gänzlich verlieren würde.
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