10.07.2025 - 06:00 Uhr

Mairuwa
53 Rezensionen

Mairuwa
Sehr hilfreiche Rezension
8
Olfaktorische Wiederaufforstung in Patagonien
Es ist eine Geschichte mit problematischem Hintergrund, an die der Duft „Melinka“ des chilenischen Hauses 432 Wild Botanic Perfumes erinnert: Die Geschichte der Erschließung des südamerikanischen Kontinents mittels der Eisenbahn, verbunden wie überall mit der Vertreibung und Dezimierung indigener Bevölkerungsgruppen und dem Raubbau an der Natur. Felipe Arnold Westhoff Rodhius, ein litauischer Einwanderer deutscher Herkunft, kam Mitte des 19. Jahrhunderts im Auftrag der peruanischen Eisenbahngesellschaft Ferrocarril Central Andino auf die Guaitecas Inselgruppe vor der Küste Patagoniens. Sein Auftrag: Eisenbahnschwellen für den Bau der Bahntrasse zwischen Callao und Lima zu organisieren. Auf den bewaldeten Inseln gab es große Bestände der Chilenischen Flusszeder (Pilgerodendron uviferum, eigentlich zu den Zypressen gehörend und lokal auch als Guaitecaszypresse - Cyprés de las Guaitecas - bezeichnet), die sich hierfür hervorragend eigneten. Westhoff leitete die industrielle Abholzung und Verarbeitung und gründete im Jahr 1860, ursprünglich als Verwaltungssitz der von ihm geleiteten Firma, den Ort Melinka, den er nach seiner Schwester benannte. Heute ist Melinka das Verwaltungszentrum der Gemeinde Guaitecas mit rund 1300 Einwohnern. Die Guaitecaszypresse gibt es hier noch immer, doch sind ihre Bestände durch die Übernutzung stark dezimiert worden. In noch früheren Zeiten wurde der Ort, der später nach dem Willen eines Holzbarons Melinka heißen sollte, von Walfängern Puerto Arenas genannt. Ihr Einfluss auf die Walbestände vor der Küste, war um nichts besser als der der Holzindustrie auf die Waldbestände auf den Inseln.
Die dritte Kreation in der Reihe „7 Mestizos“, obwohl er den Namen „Melinka“ trägt, ist sicher keine Hommage an Felipe Westhoff, noch an seine namensgebende Schwester, sondern vielmehr an die Guaitecaszypresse, die südlichste Konifere der Welt, als Hauptakteur des Duftes. Dennoch macht das vor dem Hintergrund der Ausführungen über „Mestizaje“ durchaus Sinn. Joel L. Martinez, der sich selbst als „Mestizo“ bezeichnet, versteht die Duftkreationen seiner „Perfumería Mestiza“ als rebellische Akte des Widerstands gegen die Einschränkungen und Unterdrückung durch die Mächtigen. Dazu gehört, wie @ElAtterine in ihrer Rezension zu Arrayán Rojo überzeugend herausgearbeitet hat, die positive Umwertung des rassistisch konnotierten Begriffs „Mestizo“. Und eben auch die Wiederaneignung des kolonialen Toponyms Melinka samt olfaktorischer Wiederaufforstung: Wo im 19. Jahrhundert Wildnis domestiziert und kommodifiziert wurde, herrscht hier unter dem Namen wieder unbändiger Wildwuchs. Das zumindest drückt der Duft für mich aus. Das Destillat der Guaitecaszypresse, das auf lebendige Weise den patagonischen Küstenwald evoziert, wird hier durch Baummoos und Harze wie Labdanum, Myrrhe und Weihrauch ergänzt, was einen aromatisch-würzigen, eher kühlen Dufteindruck ergibt. Auch die ausdrückliche Verwendung von südlichem Baummoos aus den Valdivianischen Regenwäldern zusammen mit solchem aus der nördlichen Hemisphäre passt gut zur „Mestizaje“-Philosophie.“Melinka“ ist, wie schon Arrayán Rojo , ungeschliffen und unprätentiös, herb-würzig und grünbraun-harzig, voller Kraft und Unmittelbarkeit, von wilder und schlichter Schönheit. Ebenso vergleichbar mit jenem, ist der Verlauf nicht sehr ausgeprägt, sondern manifestiert sich eher in einem sanften Sichzurückziehen. Nach einem kräftigen Auftakt, bei dem silbern kühler Weihrauch die dominante Kopfnote bildet, wird der Duft schnell intimer und weicher, hat dann aber, obwohl nur verhalten projizierend, keine schlechte Haltbarkeit. Die würzigen Waldnoten von Zypresse, Harzen und Moos bleiben für einige Stunden ein sanfter, angenehmer Begleiter.
Die Verschlusskappe des Flakons ist handgefertigt aus Pilgerodendron-Holz. Dafür wurden jedoch, ebenso wie für den Duft selbst, keine geschützten Bestände abgeholzt. Vielmehr wurde auf Holz von alten Zaunpfählen zurückgegriffen, die auf Weinbergen im chilenischen Anbaugebiet des Aconcagua-Tales lange typischerweise aus dem Holz gefertigt waren. Flakon, Duft und die Philosophie des Hauses bilden so eine stimmige Einheit.
Noch einmal herzlichen Dank an @ElAtterine für die Probenmöglichkeit.
Die dritte Kreation in der Reihe „7 Mestizos“, obwohl er den Namen „Melinka“ trägt, ist sicher keine Hommage an Felipe Westhoff, noch an seine namensgebende Schwester, sondern vielmehr an die Guaitecaszypresse, die südlichste Konifere der Welt, als Hauptakteur des Duftes. Dennoch macht das vor dem Hintergrund der Ausführungen über „Mestizaje“ durchaus Sinn. Joel L. Martinez, der sich selbst als „Mestizo“ bezeichnet, versteht die Duftkreationen seiner „Perfumería Mestiza“ als rebellische Akte des Widerstands gegen die Einschränkungen und Unterdrückung durch die Mächtigen. Dazu gehört, wie @ElAtterine in ihrer Rezension zu Arrayán Rojo überzeugend herausgearbeitet hat, die positive Umwertung des rassistisch konnotierten Begriffs „Mestizo“. Und eben auch die Wiederaneignung des kolonialen Toponyms Melinka samt olfaktorischer Wiederaufforstung: Wo im 19. Jahrhundert Wildnis domestiziert und kommodifiziert wurde, herrscht hier unter dem Namen wieder unbändiger Wildwuchs. Das zumindest drückt der Duft für mich aus. Das Destillat der Guaitecaszypresse, das auf lebendige Weise den patagonischen Küstenwald evoziert, wird hier durch Baummoos und Harze wie Labdanum, Myrrhe und Weihrauch ergänzt, was einen aromatisch-würzigen, eher kühlen Dufteindruck ergibt. Auch die ausdrückliche Verwendung von südlichem Baummoos aus den Valdivianischen Regenwäldern zusammen mit solchem aus der nördlichen Hemisphäre passt gut zur „Mestizaje“-Philosophie.“Melinka“ ist, wie schon Arrayán Rojo , ungeschliffen und unprätentiös, herb-würzig und grünbraun-harzig, voller Kraft und Unmittelbarkeit, von wilder und schlichter Schönheit. Ebenso vergleichbar mit jenem, ist der Verlauf nicht sehr ausgeprägt, sondern manifestiert sich eher in einem sanften Sichzurückziehen. Nach einem kräftigen Auftakt, bei dem silbern kühler Weihrauch die dominante Kopfnote bildet, wird der Duft schnell intimer und weicher, hat dann aber, obwohl nur verhalten projizierend, keine schlechte Haltbarkeit. Die würzigen Waldnoten von Zypresse, Harzen und Moos bleiben für einige Stunden ein sanfter, angenehmer Begleiter.
Die Verschlusskappe des Flakons ist handgefertigt aus Pilgerodendron-Holz. Dafür wurden jedoch, ebenso wie für den Duft selbst, keine geschützten Bestände abgeholzt. Vielmehr wurde auf Holz von alten Zaunpfählen zurückgegriffen, die auf Weinbergen im chilenischen Anbaugebiet des Aconcagua-Tales lange typischerweise aus dem Holz gefertigt waren. Flakon, Duft und die Philosophie des Hauses bilden so eine stimmige Einheit.
Noch einmal herzlichen Dank an @ElAtterine für die Probenmöglichkeit.
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