Jeob
25.06.2023 - 06:14 Uhr
15
Top Rezension
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Vom vorwärts wundern

Ein Anklang feuchten Betons oder Steins, zögerlich durchbrochen von Natur. Als wüchse eine zweite Haut über Stein, atmend, sich stetig ausdehnend. Ein seidiger, transparent-feinbitterer Schleier, getränkt vom Grün der Stängel, dem Duft der Blüten und Hölzer.
Geruch als Textur, sich ständig wandelnd.
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Ich gehöre bei Düften zu den sich zögerlich Verliebenden. Mag sein, dass sich beim ersten Riechen eine Verzauberung einstellt, eine, die dann befühlt und erprobt werden will. Ich trage ihn mit mir spazieren, lasse ihn mit mir schwitzen, frieren, zur Post gehen und existenzielle Lebenskrisen bewältigen. Ich übertreibe, aber nur bedingt. Die Zeremonie gleicht eher einem vorsichtigen Zusammenwachsen als einem spontanen Kniefall.
Miracula hingegen gehört zu den Düften, die meine romantische Zögerlichkeit aushebeln, obwohl er - zumindest in mancher Hinsicht - nicht in mein übliches olfaktorisches Forstgebiet fällt.
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Das Wunder beginnt mineralisch, kühl. Es eröffnet angenehm herb, ein wenig abweisend, mehr menschgemachte Fläche als Natur. Dann, in kleinen Verschiebungen tritt Organisches hervor, entwickelt sich dieser Duft zu einer nie ganz greifbaren und von mir so noch nicht gerochenen Tuberose. Zu grün erscheint sie mir, zu wenig der Kaugummi-Anspielungen sind enthalten.

Tatsächlich blümelt es hier erstaunlich wenig, die Balance der Noten erschafft stattdessen etwas, das sich mir eher als Textur erschließt statt als Zusammenspiel klar benennbarer Komponenten. Miracula gleitet von Kühle langsam in die Wärme, so nahtlos, so inkrementell, dass es schwer wäre, den Verlauf in klare Stadien zu trennen.

Und so taumele ich - mich vorwärts wundernd - durch diesen Duft. Ich, erklärte Gegnerin (oder doch zumindest Skeptikerin) blümelnder Düfte, haltlos im Bann einer Tuberose.

Die holzigen Nuancen des Ausgangs haben einen cremigen Einschlag und so vermutet meine - nicht sonderlich in Rohmaterialien versierte Nase - Anteile von Sandelholz in der Basis. Wenn es so ist (erfahrenere Nasen dürfen gern widersprechen) so ist es weder eine der unangenehmeren synthetischen Varianten noch ein kokoslastiger Vertreter seiner Art.
Die subtile Cremigkeit die entsteht, erinnert an seidiges Textil, nichts verkleistert den Gaumen oder biegt forciert ins Kuschelige ab. Mag sein, dass der cremige Eindruck auch einfach der Tuberose selbst geschuldet ist.

Das Wundern währt, selbst bei sehr zögerlichem Auftrag (die Probe ist klein, die Angst ihn schnell zu leeren groß) gute 8 Stunden. Die Sillage ist für mich noch unbestimmbar, aber ich vermute sie liegt im Mittelfeld. Dass er preislich im Luxussegment angesiedelt ist, gehört zu den Schweinereien des Schicksals. Ich nehme es hin und hoffe geduldig auf unerwarteten Geldsegen.

Ich danke Bigalchen1, ohne die ich diesen, hier eher selten zu findenden Duft, wahrscheinlich nicht kennengelernt hätte.
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